Statement des Katholischen Militärbischofs bei der Veranstaltung "Der Friede als Ernstfall" am 12. Oktober 2001 in Berlin

Bundespräsident Johannes Rau (2.v.r.) im Auditorium der Veranstaltung, nachdem er den Eröffnungsvortrag gehalten hat.
Sehr verehrter Herr Bundespräsident,
sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender, lieber Bruder Kock,
sehr geehrter Herr Professor Dürr,
meine Damen und Herren!

Berlin, 12.10.2001. Zuerst möchte ich mich für die ehrenvolle Einladung zu dieser Vortrags- und Diskussionsveranstaltung bedanken. In der Tatsache, dass der Katholische Militärbischof als Repräsentant seiner Kirche zu diesem Thema angesprochen wird, sehe ich eine Bestätigung der von meinen Amtsvorgängern und mir selbst vertretenen Linie. Der Militärbischof und seine Seelsorger vertreten gegenüber den Soldaten und der Öffentlichkeit zu den Grundfragen von Frieden, Sicherheit und dem Einsatz militärischer Mittel in theologischer und ethischer Hinsicht keine anderen Positionen, als die der Gesamtkirche, insbesondere die unserer Deutschen Bischofskonferenz.

Ich meine, dass das Thema unserer Veranstaltung seit dem 11. September einerseits an Gewicht gewonnen hat, andererseits aber auch einer Vertiefung bedarf. Gustav Heinemanns Diktum aus dem Jahre 1964 wurde - zu Recht - als Titel für eine Sammlung von Texten unseres Herr Bundespräsidenten gewählt, die einen Begriff und Zusammenhang von "Frieden" entwickelt, der den Aufgaben, Chancen und Gefährdungen gerecht wird, die mit dem Begriff von "Frieden" zusammenhängen. Doch die vom bewussten Zivil-Bürger Gustav Heinemann in dieser Aussage pointierte Zurückweisung des Krieges und der Gewaltanwendung zur Durchsetzung irgendwelcher Ziele hat den damals gegebenen, zeitgeschichtlichen Kontext verloren. Die jüngste Gegenwart belegt: dass es "hinter dem Frieden" eben doch noch eine Existenz gibt. Krieg und Gewalt sind wieder möglich.

Unter drei Aspekten will ich mich dem Spektrum des vom Bundespräsidenten entwickelten Friedensbegriff annähern: der Frage der Gewaltursachen-Bekämpfung, der ethischen Legitimation militärischer Einsätze und dem notwendigen Dialog der Kulturen und Religionen.

1. Bekämpfung der Kriegs- bzw. Gewaltursachen

Gerade in den vergangenen Wochen war der eine oder andere doch verwundert, dass der Katholische Militärbischof in seinen Stellungnahmen zum 11. September und den Folgen sich nicht zuerst mit der Begründung gerechtfertigter Gegengewalt befasst hat, sondern mit der Frage nach den Ursachen angewandter Gewalt und den zu erwartenden Folgen einer möglicherweise überzogenen Gegengewalt. Die seit Beginn des 20. Jahrhunderts in meiner katholischen Kirche systematisch entfaltete Theologie und Soziallehre vom Frieden hat schon immer nach den Bedingungen gefragt, unter denen Friede möglich sein kann. Es sind dies - nach der festen Überzeugung von uns Christen - die Gnade Gottes, der in der Menschwerdung seines Sohnes ein für alle mal den Frieden in die Weltgeschichte gestiftet hat (vgl. Eph 2,14) - und die Bereitschaft zum Aufbau einer in jeder Hinsicht gerechten Weltordnung. Das gilt für die politische Macht, die Wirtschaft, die Kultur und die Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens. Pius XII. hat 1939 als Motto über sein Pontifikat das Jesaja-Zitat gewählt "Opus Iustitiae Pax" - "Gerechtigkeit schafft Frieden". Genauso lauten darum auch die Botschaften von uns deutschen Bischöfen aus den Jahren 1983 und 2000.

Wenn ich gesagt habe, dass wir katholischen Christen Frieden für wirklich möglich halten, weil Menschen aller Religionen, Kulturen und Staaten durch die Gnade Gottes und den Gebrauch der Vernunft zum Aufbau der Gerechtigkeit befähigt sind, ist das mehr als ein "frommer Satz". Hier sehe ich einen Widerspruch zum politischen Denken der Moderne. Thomas Hobbe`s negative Anthropologie, die letztlich nur in der Anwendung staatlicher Gewaltsamkeit die allgemeine Sicherheit ermöglicht sieht, verbindet sich ja mit der Vorstellung der Spätaufklärung und des Liberalismus. Sie besagt, dass durch den freien Austausch der Individuen, insbesondere im Bereich der Wirtschaft, ein allgemeiner Ausgleich der Interessen möglich sei. Wenn man beide Auffassungen parataktisch miteinander verbindet, könnte daraus die strategische Maxime gefolgert werden: uneingeschränkte Globalisierung ohne soziale Marktwirtschaft, Austragung entstehender Konflikte mit Mitteln staatlicher, besonders militärischer Gewalt.

Wir Katholiken hingegen sehen vorrangige Aufgaben der Förderung des Friedens in der Beseitigung der Ursachen für Krieg und Gewalt, insbesondere im Bereich der Gerechtigkeit. Ebenso sehen wir dies im praktischen, auch politisch organisierten Respekt vor dem Eigenrecht der Nationen auf ihre Kultur und Religion und die sich daraus ergebene soziale Organisation.

Wenn der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, sehr zu Recht eine "Kultur der Prävention", statt der militärischen Intervention fordert, entspricht dies durchaus dieser Grundauffassung. Wie aber, Herr Bundespräsident, sind jene zwei Voraussetzungen herstellbar, die Sie dazu in Ihrem Vortrag am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg am 06. Januar des vergangenen Jahres genannt haben: die Gewinnung einer gemeinsamen Wertegrundlage und das Prinzip der Multilateralität wirksamer Prävention? Der selben Frage müssen auch wir Bischöfe uns stellen, wenn wir unserem Wort "Gerechter Friede" den Vorrang der gewaltfreien Konfliktprävention zum ethischen Prinzip erheben.

Militärbischof Dr. Walter Mixa bei dem Vortrag seines Statements. Mit im Bild das Podium mit weiteren Diskussionsteilnehmern: Prof. Dr Hans Peter Dürr, Präses Manfred Kock, Prof. DDr. Dieter S. Lutz (v.l.)
2. Ethische Legitimation militärischer Interventionen

Um es gleich zu sagen: bei diesem Thema geht es keineswegs zuerst um Versuche, auf die Anfragen Einzelner, zumal von Soldaten, die militärischen Befehlen folgen müssen, eine moralisch qualifizierte Antwort nach dem "Warum?" zu geben. Natürlich werden solche Fragen gestellt, und meine Militärseelsorger fragen mich zu Recht, was sie ihrerseits im Namen der Kirche den Soldaten sagen sollen. Ich bin daher froh, dass die deutschen Bischöfe gemeinsam mit ihrem Wort "Gerechter Friede" vom September des vergangenen Jahres ausdrücklich ethische Kriterien formuliert haben, die erfüllt sein müssen, damit der Einzelne und die Öffentlichkeit einen Militäreinsatz als ethisch zulässig bzw. gerechtfertigt ansehen können.

Ich möchte zwei der hier angesprochenen Aspekte besonders hervorheben: militärischer Gewalteinsatz darf nur als "äußerstes Mittel" in Betracht kommen, wenn die Abwehr des Angriffes auf andere Weise nicht möglich ist. Öffentliches Entsetzen führt eher dazu, diese Restriktion zu überspringen.

Bei der Gewaltanwendung selber ist strikt auf die "Proportionalität", d.h. die Verhältnismäßigkeit, von Mitteleinsatz und vorhersehbaren Wirkungen zu achten; unbeteiligte Zivil-Personen dürfen nicht direkt angegriffen werden. Auch darf der Schutz der Nichtkombattanten nicht gegen ein Kalkül zum Schutz der eigenen militärischen Angriffskräfte in Anschlag gebracht werden. Auch demokratische Rechtsstaaten haben gerade diese Gesichtspunkte, kriegsgeschichtlich betrachtet, nicht immer beachtet. Und schließlich möchte ich auf die zumindest heute äußerste Fragwürdigkeit der "strafenden Gerechtigkeit" in der herkömmlichen Kriegsethik hinweisen. Der Strafgedanke ist hier kein Selbstzweck, denn er kann sehr leicht die Spirale der Gewaltanwendung eher anheizen - sondern muss eher im Hinblick auf eine klug kalkulierte Abschreckung hin verwirklicht werden.

Als verantwortlicher Seelsorger der katholischen Soldaten der Bundeswehr ergibt sich für mich damit die nicht leichte Aufgabe, dazu beizutragen, dass die genannten ethischen Kriterien nicht nur im stillen Kämmerlein dem einzelnen Soldaten auferlegt werden. Mein Auftrag erstreckt sich vielmehr auch darauf, dass diese Kriterien in einer öffentlich geführten Debatte der zuständigen politischen Institutionen und in den Medien im Blick auf Tatsachen und Absichten offen diskutiert werden. In einem Vortrag in der Führungsakademie der Bundeswehr im Mai d. J. habe ich diesen Zusammenhang im einzelnen ausgeführt.

Sie, Herr Bundespräsident, haben sich in Ihrer Antrittsrede nach Ihrer Vereidigung am 01. Juli 1999 auch dieser Fragestellung gewidmet, nämlich wie man durch "vorbeugende Politik ... falsche Alternative(n)" vermeiden kann. Wenn unsere Soldaten politische Entscheidungen über ihren Einsatz vertrauensvoll akzeptieren können sollen, bedarf es immer wieder einer Vergewisserung über diese Zusammenhänge, notfalls auch im Nachhinein. In der Situation selber, das haben wir in den letzten Wochen deutlich gesehen, bleiben öffentliche politische Deklarationen eher unspezifisch und die Tatsachen und Zusammenhänge, die zur politischen Entscheidung führen, bleiben öffentlich oft unbekannt.

3. Dialog der Kulturen und Religionen

Als Mann der Kirche bin ich, sehr geehrter, lieber Herr Bundespräsident, Ihnen persönlich besonders dankbar, dass Sie diesem Dialog in Ihren öffentlichen Äußerungen ein besonderes Gewicht beimessen. Er ist, wie die jüngsten Ereignisse in äußerster Dramatik unter Beweis stellen, unverzichtbar. Papst Johannes Paul II. hat seit Beginn seines Pontifikates den Gedanken, Gewaltanwendung und das Erleiden von Ungerechtigkeit durch den innergesellschaftlichen, den internationalen und interkulturellen Dialog zu überwinden, immer besonders hervorgehoben. Der Staatspräsident des Iran, Mohammed Chatami hatte gefordert, das Jahr 2001 einem solchen "Dialog der Kulturen" zu widmen. Sie selbst, Herr Bundespräsident, haben in Ihrer Ansprache in Davos am 01. Februar des vergangenen Jahres vor der unbedachten Rede von einem "Zusammenstoß der Zivilisationen" gewarnt. Sie nannten vier Grundsätze, die in dem notwendigen Dialog beachtet werden müssen: Offenheit, Solidarität, Verantwortung und Nachbarschaft.

Ich stimme Ihnen uneingeschränkt zu, erweitere aber zugleich die Fragestellung: Kann es zu einem wahren Dialog kommen, wenn auf einer Seite grundlegende Voraussetzungen der anderen weder recht verstanden noch gar wirklich respektiert sind? So erlebt nicht nur der einzelne Moslem, auch in unserem Land, sondern die ganze Ummah den abendländischen Westen weithin als atheistisch. Ja, es entsteht in manchen Bereichen der Eindruck der Verachtung von Religion und Gott in unseren Breiten. Das führt zu einer tiefen Verunsicherung, ob jenseits aller aktuellen Konflikte grundsätzlich mit einem solchen System gemeinsam eine gerechte Ordnung entwickelt und aufgebaut werden kann.

Welchen Eindruck erweckt es etwa bei unseren muslimischen Mitbürgern, wenn unter dem Vorwand der Freiheit der Kunst Grundwerte der christlichen Religion offen verhöhnt werden dürfen. Ich erinnere beispielsweise an die Vorgänge um das Theaterstück "Corpus Christi" in Heilbronn und jetzt in Köln. Vielleicht haben - im internationalen Maßstab - zahlreiche Kommentierungen des Falles Salman Rushde in den westlichen Medien mehr zur Förderung eines islamischen Terrorismus beigetragen als spektakuläre Ölverkäufe oder die Stationierung westlicher Truppen in muslimischen Ländern. Es stellt sich mir also die Frage, ob die westliche Zivilisation im Hinblick auf die des Orients tatsächlich und wahrhaft dialogfähig ist.

Zu Beginn habe ich die Frage aufgeworfen, ob wir denn wirklich davon überzeugt sind, dass Frieden möglich ist. Ich hoffe sehr, dass die von Max Weber vorgelegte Interpretation der modernen Gesellschaftsentwicklung, die so wichtig für das Selbstverständnis unserer Gesellschaft geworden ist, unrecht behält. Für Weber stellt das Projekt der Moderne im Kern einen Prozess der Rationalisierung und System-Differenzierung dar, der den Menschen einen unmittelbaren Zugang zum Lebenssinn verstellt. Zumindest die traditionelle Religion mit ihrem Sinnangebot sieht Weber faktisch als erledigt an. Der Zeitgeist dürfte ihm darin weithin folgen. Dem Menschen wirklich erfüllendes sinnstiftendes Erlebnis kann - so Weber - dem modernen Menschen letztlich nur ein charismatischer Führer vermitteln. Und nicht zuletzt das Erlebnis des Krieges. Der Krieg als sinnstiftende Instanz, dieser Gedanke ist dem 20. Jahrhundert nicht fremd geblieben. In der These vom notwendigen "Kampf der Kulturen" tritt er auch in dieses unser neues Jahrhundert ein. Haben wir auf diese Herausforderung eine Antwort?

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