Interview des Katholischen Militärbischofs Dr. Walter Mixa für die Zeitung "Die Tagespost"

erschienen am 13. November 2001

Die "Spirale der Gewalt" verhindert den gerechten Frieden

Berlin, 11/2001. Ausgerechnet der Katholische Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr und Bischof von Eichstätt Walter Mixa erhebt zum Erstaunen der Öffentlichkeit seit Beginn der US-Militäraktionen in Afghanistan erhebliche Bedenken gegen den Streitkräfteeinsatz und votiert für den Einsatz friedlicher Mittel und den Dialog der Kulturen und Religionen. Die TAGESPOST befragte den als konservativ geltenden Geistlichen nach seinen Motiven und Argumenten.

Tagespost: Herr Bischof Mixa, mit einiger Verwunderung nimmt die Öffentlichkeit zur Kenntnis, dass Sie wiederholt Kritik an der US-Kriegführung übten und sich gegen eine Beteiligung der Bundeswehr aussprachen. In welcher Eigenschaft sprechen Sie: als Bischof von Eichstätt oder als Militärbischof?

Bischof Mixa: Ich spreche als katholischer Bischof unseres Landes. Da gibt es keine Sonderrolle des Militärbischofs. Es ist Aufgabe aller Bischöfe, als Hirten der Kirche zum Frieden zu mahnen und als Lehrer der Kirche den Gewissen der politisch und militärisch Verantwortlichen die verbindliche kirchliche Lehre vom gerechten Frieden in Erinnerung zu bringen.

Aber hat der Militärbischof da nicht eine besondere Verantwortung?

Das ist richtig, die hat er. Die Soldaten der Bundeswehr haben ein Recht darauf, die erforderliche Hilfe für eine konkrete Gewissensbildung im Hinblick auf jene Planungen und Handlungen zu erhalten, die sie konkret verantworten müssen. Dasselbe gilt für die verantwortlichen Politiker in Bundesregierung und Bundestag. Die Hirten der Kirche können sich also nicht damit begnügen, in einer solchen Entscheidungssituation, wie sie in diesen Tagen in unserem Land gegeben ist, allgemeine moralische Prinzipien und Normen in Erinnerung zu rufen, sondern sie müssen in ihrer pastoralen Hirtensorge als Mahner oder - wie das vor kurzem eine große deutsche Zeitung ausgedrückt hat - notfalls auch als "Bedenkenträger" darauf dringen, dass in aller Öffentlichkeit Ziele, Motive und Methoden politischen und militärischen Handelns kontrovers diskutiert werden.

Also wollen Sie sich doch in die Politik einmischen? Kann das nicht hinderlich sein für Ihre pastoralen Aufgaben innerhalb der Bundeswehr?

Wir leben in einer Demokratie. Da sollte man in diesem Zusammenhang nicht von "Einmischung" reden. Ich erinnere an die zahlreichen Initiativen von uns Bischöfen zum Schutz des ungeborenen Lebens, zu einer verantwortlichen Schwangerschaftskonfliktberatung oder - in letzter Zeit - zu ethischen Grundfragen der Bio-Medizin. Die auch vom II. Vatikanischen Konzil ausdrücklich anerkannte "Autonomie" des Politischen hat ihre Grenzen im Sittengesetz, dessen Wahrung und Geltendmachung vor allem dem kirchlichen Lehramt aufgetragen ist. Die Würde der menschlichen Person und das göttliche Grundgebot der Liebe wird aber gerade durch die systematische Anwendung von Gewalt auf das Schwerste verletzt. Darum dürfen wir Bischöfe in Fragen von Krieg und Frieden nicht schweigen.

In der Geschichte der Militärseelsorge unseres Landes ist es aber neu, dass der Militärbischof dem Staat, wenn man so will, in den Arm fällt, wenn der das Schwert zur Verteidigung von Recht und Ordnung ergreifen will.

Die Geschichte zeigt doch eher das Gegenteil: Beim Beginn des Ersten Weltkrieges etwa hätten die katholischen deutschen Bischöfe, selbst wenn sie es gewollt hätten, gar keine Chance gehabt, sich kritisch mit den Kriegsgründen und Kriegszielen auseinanderzusetzen, die beiden Feldbischöfe in Preußen und Bayern am allerwenigsten. Im protestantisch dominierten Wilhelminismus wäre das als Verrat an der Nation erschienen. Der damalige deutsche Nationalismus war ja auch mit dem obskuren Hinweis auf eine dem Bündnispartner geschuldete "Nibelungentreue" bereit, den Schritt in den großen Krieg zu wagen. Beide Kirchen haben damals "die Waffen gesegnet", nicht in einem liturgischen Sinn, sehr wohl aber in einem politisch-ethisch-legitimatorischen - übrigens nicht nur in Deutschland. Im Weltkrieg der Hitler-Diktatur wäre ein Widerstand, der im Nachhinein immer wieder eingefordert wurde, oder nur eine Kritik an Kriegszielen und Methoden der Kriegführung der Herrschenden seitens der Militärseelsorge deren sicheres Ende gewesen. In der Demokratie unserer Bundesrepublik muß das anders möglich sein, auch wegen der Glaubwürdigkeit des Militärbischofs und seiner Seelorger bei den Soldaten.

Worin bestehen denn Ihre Bedenken gegen die Kriegführung der US- und der britischen Truppen in Afghanistan?

In dem, was uns über die Medien über die Operationsführung bekannt geworden ist, und das ist ja offensichtlich herzlich wenig: durch konzentrierte Lufteinsätze gegen bewohnte Städte sollen die militärischen Möglichkeiten des Talibanregimes eingeschränkt und die Offensiv-Chancen der anderen Bürgerkriegspartei im Norden verbessert werden. Die unvermeidliche Folge davon ist der Tod zahlreicher unschuldiger Zivilisten und die effektive Verhinderung der Hilfe für die Massen an Flüchtlingen und Obdachlosen im Land. Das ist nicht akzeptabel. Darauf hat Papst Johannes Paul II. in diesen Wochen mehrfach hingewiesen. Die amerikanischen Bischöfe haben unterdessen deshalb ein Ende dieser Militäraktionen verlangt. Allein die Verletzung dieser kriegsethischen Normen, die wir deutschen Bischöfe in unserem Wort "Gerechter Friede" vom September 2000 nachdrücklich eingeschärft haben, wirft die Frage auf, ob sich Deutschland mit seinen Streitkräften an der Gesamtoperation beteiligen darf, weil dadurch natürlich in höherem Maße auch moralische Mitverantwortung übernommen werden müßte.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann, zeigt sich in seiner Erklärung vom 8. November überzeugt, dass Bundesregierung und Bundestag die anstehenden Entscheidungen "mit aller gebotenen Sorgfalt" fällen und die Argumente für und gegen einen Bundeswehreinsatz mit Umsicht abwägen werden. Fehlt Ihnen dieses Vertrauen in unsere politischen Institutionen?

Die Frage aktzeptiere ich so nicht! Natürlich habe ich keinen Grund, an der Kompetenz und Integrität der politischen Entscheidungsträger zu zweifeln. Es geht aber letztlich nicht nur um Personen, sondern um Handlungsspielräume und nach außen und innen durchsetzbare Ziele, nicht zu vergessen die unabdingbare Akzeptanz für getroffene Entscheidungen bei den Menschen unseres Landes. Darum müssen jetzt Fragen, Argumente und Antworten auf den Tisch! Unser Parlament und die Medien stehen vor einer wirklich großen Herausforderung.

Was heißt das konkret?

Ich nenne einen Aspekt. Sollten - was wir alle nicht hinreichend wissen - weiterreichende militärische Operationen unverzichtbar sein, um die Schutzherren der Terroristen unter den Taliban und die Terroristen selbst an weiteren Verbrechen zu hindern, müßte unser Land auch bereit sein, die dazu angemessenen Mittel einzusetzen. Ist der derzeitige Luftkrieg aber wegen der Schädigung zu vieler Unschuldiger ethisch nicht vertretbar und wäre er darüber hinaus nicht im Sinne der politisch-militärischen Zielsetzungen erfolgreich, müssten letztlich erhebliche eigene Opfer an Menschenleben in Kauf genommen werden, um die notwendigen Ziele zu verwirklichen. Davor schrecken wir aber zurück, durchaus zu Recht. Wenn dem aber so ist, müssen schon jetzt Alternativen zu den militärischen Maßnahmen bedacht und vorbereitet werden.

Offensichtlich haben Sie grundsätzliche Vorbehalte gegen militärische Lösungen, wie sie gegenwärtig im Vordergrund stehen ?

Die gewaltsame Abwehr und Beantwortung von Gewalt birgt in sich immer die Gefahr, dass sich letztlich eine "Spirale der Gewalt" ergibt, die nicht mehr durchbrochen werden kann. Darauf hat unser Heiliger Vater immer wieder, auch in diesen Wochen, hingewiesen, das haben wir in unserem Bischofswort "Gerechter Friede" nicht nur politisch, sondern auch anthropologisch und biblisch-theologisch herausgearbeitet. Und die gegenwärtige Wirklichkeit unterstreicht diese Erkenntnis. Die effektive Abwehr eines pseudo-muslimisch legitimierten Terror-Krieges gegen die westliche Welt kann nur gemeinsam mit den muslimischen Ländern und Völkern gelingen. Die gegenwärtige Entwicklung scheint eher auf eine ungewollte Solidarisierung vieler Muslime mit den selbst ernannten Helden des "Djihad" hinauszulaufen. Darum müssen jetzt bestehende Brücken des Dialogs mutig beschritten und ausgebaut werden. Dazu bedarf es nach meiner Überzeugung auch muslimischerseits der Erkenntnis und Bereitschaft, die konkret gegebenen Kulturen und Gesellschaften des Westens als Gesprächspartner zu akzeptieren. Den Kirchen, uns Christen überhaupt, wird dabei eine wichtige Rolle zukommen, weil wir über Bezüge und Gemeinsamkeiten mit den Muslimen verfügen; zuerst im religiösen Glauben an den einen Gott, dann aber nicht zuletzt aufgrund langer Traditionen eines friedlichen, nicht selten auch fruchtbaren Miteinanders im Nahen Osten, vor allem im Heiligen Land, in Afrika und Ostasien und nicht zuletzt auch in Deutschland selbst.

Es ist schwer erkennbar, wie ein solcher Ansatz kurzfristig wirksam werden kann. Der Politiker könnte den Eindruck gewinnen, daß der Bischof ihn mit den Notwendigkeiten einer unmittelbaren Gefahrenabwehr allein läßt und sich auf eine "Insel der Gesinnungsethik" zurückzieht. Was können Sie darauf antworten?

Das Problem der Dringlichkeit verschiedener Maßnahmenebenen will ich nicht leugnen. Ich plädiere für die Gleichzeitigkeit entsprechender Anstrengungen. Vor allem sollte man im öffentlichen Bewusstsein die begrenzte Reichweite "polizeilicher" und militärischer Strategien im Hinblick auf die eigentlichen Problemursachen deutlich machen. Die von mir immer wieder angesprochene "Gerechtigkeitslücke" im politischen und vor allem im wirtschaftlichen Bereich zwischen Nord und Süd muß in der jetzigen Situation öffentlich und offensiv angegangen werden. Ich erinnere an die Forderung nach einem Schuldenerlass, die Papst Johannes Paul II. bei seiner kürzlichen Begegnung mit Präsident Bush erneut erhoben hat. Diese Frage jetzt erneut auf die Tagesordnung zu setzen, hätte weltweit auch eine große symbolische Bedeutung. Es würde sichtbar, dass "der Westen" es ernst meint mit einem globalen Ausgleich. Ich nenne den zusammenbrechenden Friedensprozeß im Nahen Osten. Es ist doch kein Zufall, dass sowohl der Papst als auch andere kirchliche Oberhirten des betroffenen Bereichs vor einer Eskalation der Gewalt warnen und unverzügliche, erfolgsorientierte Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern zur Entspannung der Gesamtsituation fordern. Auch in der Jerusalem-Frage sollten die vom Heiligen Stuhl seit langem in großer Geduld vorgetragenen Kompromisslösungen erneut diskutiert werden. Die Zeit drängt! Ein Weiterdrehen der "Spirale der Gewalt" würde einen gerechten Frieden im Nahen Osten und zwischen Muslimen und westlichen Gesellschaften unmöglich machen.

Der Deutsche Bundestag diskutiert in diesen Tagen das Mandat, das er der Bundesregierung für den Einsatz der Bundeswehr bei der Terrorabwehr in der Unterstützung der Vereinigten Staaten erteilen will. Welche Erwartungen hat der Oberhirte der katholischen Soldaten und Soldatinnen und ihrer Familien an das Parlament?

Die Soldaten müssen den Auftrag, den ihnen der Staat erteilt, guten Gewissens erfüllen können. Ich nenne darum eine zentrale ethische Frage, die beim Einsatz der Streitkräfte hinreichend beantwortet sein muss: die nach der militärischen Gewaltanwendung als "ultima ratio". Der Gesichtspunkt spielt sowohl in der Erklärung von Kardinal Lehmann wie auch dem Beschluss der Amberger Synode der EKD eine zentrale Rolle. Es genügt nicht einfach zu behaupten, ein anderer Weg zur Sicherung des Friedens sei nicht möglich. Die Beweislastregel ist - unter ethischen Aspekten - quasi umgekehrt: die Alternativlosgkeit muss plausibel , die politischen und dementsprechend die militärischen Ziele klar definiert, der "Einsatzbereich" zeitlich, räumlich, personell und organisatorisch (und auch unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten) klar definiert sowie eine Rückzugsstrategie (wenn auch nur "geheim") implementiert sein. Auch der politische Rahmen muss stimmig sein. Die Soldaten sollen auf einen Dienstherren setzen können, der sich auf eine Bundestagsmehrheit stützen kann. Vor allem ist es erforderlich, dass der Bundestag so entscheidet, dass unser Volk die notwendigen Maßnahmen und Programme wirklich unterstützt. Soldaten ohne Unterstützung der Heimat kämpfen auf verlorenem Posten!

Eine letzte Frage: Kommen auf die Soldaten unserer Bundeswehr und ihre Seelsorger harte Zeiten zu?

Das ist nicht auszuschließen. Die Ungewissheit über die nahe und nächste Entwicklung, die in der jetzigen Situation liegt, belastet uns alle ja zusätzlich. Ich sehe darin zuerst eine Einladung an uns Christen, uns in Gebet und Liturgie auf die Kraftquellen des Glaubens zu besinnen. Standhaftigkeit, der harte Kern der Tapferkeit, wie der hl. Thomas von Aquin uns lehrt, ist auf jeden Fall verlangt, auch von den Militärseelsorgern unserer Soldaten im In- und Ausland. Die Soldaten und ihre Familien, die zu Hause bleiben und eigenen Belastungen ausgesetzt sind, dürfen sich darauf verlassen, dass wir Militärgeistlichen sie bei den anstehenden Einsätzen seelsorglich begleiten werden, übrigens auch der Militärbischof selbst, soweit ihm das möglich ist.

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