Statement des Katholischen Militärbischofs Dr. Walter Mixa vor dem Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages

am 14. November 2001

Es gilt das gesprochene Wort

Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrter, lieber Herr Militärbischof Dr. Löwe,
meine Damen und Herren!

Berlin, 14.11.2001. In diesen Tagen trifft der Deutsche Bundestag wichtige Entscheidungen für unser Land und das westliche Bündnis, die nicht zuletzt für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und ihre Familien schwerwiegende Konsequenzen haben. Da kann es nicht überraschen, dass ich als der Katholische Militärbischof dieser Bundeswehr auch durch öffentliche Stellungnahmen dazu beizutragen versuche, dass in politisch angemessener Weise Wege der Abwehr des verbrecherischen Terrors und der Förderung eines Dialoges zwischen der westlichen Welt und der des Islam gesucht werden, die begründete Hoffnung auf einen gerechten Frieden eröffnen. Am heutigen Tage, an dem dieser Ausschuss einen wichtigen Beschluss zum Anti-Terror-Einsatz der Bundeswehr fasst, will ich meine zentralen Argumente kurz zusammenfassen. (Zusammenhängend sind sie einem Interview mit der TAGESPOST zu entnehmen, das gestern veröffentlicht wurde.)

1. Der Einsatz militärischer Mittel droht, selbst wenn er kurzfristig erfolgreich zu sein scheint, zu einer "Spirale der Gewalt" zu führen, die einen gerechten Frieden letztlich unmöglich macht. Dies gilt zumal dann, wenn der Streitkräfteeinsatz nicht der unmittelbaren Abwehr einer gewaltsamen Aggression dient. Mit dieser Auffassung folge ich, wie noch gestern in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zutreffender Weise zu lesen war, der von Papst Johannes Paul II. nachdrücklich vertretenen Lehre der katholischen Kirche.

2. Jeder Einsatz militärischer Potentiale darf im Sinne einer "ultima ratio" nur bei klar gegebenen politischen Zielen - und zwar zur Wiederherstellung eines wahren Friedens -, in möglichst enger Begrenzung und unter Wahrung eines hinreichenden Schutzes der unschuldigen Zivilbevölkerung erfolgen. Dabei ist auch die erforderliche humanitäre Hilfe für Flüchtlinge und Obdachlose zu bedenken. Nach wie vor kann ich nicht erkennen, dass die hier genannten Aspekte einer moralisch noch vertretbaren Kriegführung bei der aktuellen Operationsführung der westlichen Streitkräfte in Afghanistan angemessen beachtet werden.

3. Ein wirklicher Friede, gerade zwischen Staaten und Völkern unterschiedlicher Kulturen, Religionen, Welt- und Lebensaufassungen kann erfolgreich nur auf dem Weg eines offenen, vom wechselseitigen Respekt getragenen, geduldig geführten Dialoges mit dem Ziel einer allseits als gerecht anerkannten politischen und wirtschaftlichen Ordnung gewonnen werden. Die Wurzeln terroristischer Gewalt liegen ja, wie allseits bekannt ist, letztlich in einer langandauernden, schwerwiegenden Verletzung dieser Gerechtigkeit. Vorrangig und grundlegend erforderlich ist, wie es unser Heiliger Vater noch zum Weltfriedenstag zu Beginn dieses Jahres 2001 formuliert hat, ein "Dialog zwischen den Kulturen für eine Zivilisation der Liebe und des Friedens".

Jeder von uns, der wirklich die Hoffnungen und Erwartungen der Menschen unseres Landes, gleich welcher sozialen Zugehörigkeit, kulturellen und religösen Herkunft sie auch sein mögen, kennt, weiss, dass ihre große Mehrheit vom Deutschen Bundestag Entscheidungen erwartet, die den genannten Grundüberzeugungen gerecht werden.

Als Mann der Kirche kann ich die in der öffentlichen Diskussion und dann in diesem Hohen Hause zu klärenden Einzelfragen, die sich mit den von mir skizzierten Grundthesen verbinden, nicht abschließend beantworten. Es muss mir aber als dem Hirten und Seelsorger unserer Soldaten daran gelegen sein, dass die aufgeworfenen Fragen eine angemessene Beantwortung erfahren, damit die Soldaten den ihnen zu erteilenden militärischen Auftrag guten Gewissens erfüllen können. Aus zahlreichen Reaktionen unserer Soldaten und Soldatinnen weiß ich, dass dieses mein Anliegen verstanden und anerkannt wird.

Es ist allgemein unumstritten, dass die von der Bundesregierung und vor allem vom jetzigen Bundesminister der Verteidigung Rudolf Scharping eingeleitete Neuausrichtung der Bundeswehr, die auf die Bewältigung der gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen der Sicherung und Festigung des Friedens abzielt, notwendig ist. Die neue Bundeswehr verlangt zugleich auch eine umfassende Neuausrichtung der Militärseelsorge mit weitreichen Konsequenzen für die inhaltlichen Schwerpunkte und die Organisationsstruktur dieses Seelsorge.

In einer einsatzbezogen ausgerichteten Bundeswehr sehe ich diese Schwerpunkte zuerst in einer wirksamen, menschennahen seelsorglichen Einsatzbegleitung. Meine eigenen Erfahrungen und die meiner Militärseelsorger zumal in den verschiedenen Einsatzgebieten zeigen, dass unsere Soldaten und Soldatinnen die Nähe, den Rat, auch den Trost, des geistlichen Dienstes wünschen und in Anspruch nehmen. Das gilt auch für Soldaten, die keiner Kirche angehören.

Einen weiteren, in dieser Form bisher nicht erforderlichen Schwerpunkt stellt die Sorge und Begleitung der Familien und Angehörigen unserer Soldaten dar. Hier stellen sich, nicht zuletzt aufgrund der langen Einsatzdauer und zusätzlichen Ausbildungsprogramme neue, erhebliche Belastungen ein. Der vom Grundgesetz gewährleistete besondere Schutz von Ehe und Familie muss auch für unsere Soldaten und Soldatinnen gelten. Sie, das Parlament, trägt eine schwere Verantwortung dafür, dass die damit verbundenen Grundrechte auch in der Bundeswehr verwirklicht werden. Hier stellen sich erheblich weiterreichende Fragen als die einer wirksamen Personalgewinnung. Der Gesetzgeber muss nicht zuletzt die erforderlichen Mittel zur geschuldeten Betreuung und Fürsorge bereitstellen.

Angesichts der veränderten Auftragslage der Bundeswehr ergeben sich weiterhin neue Herausforderungen und Aufgaben der geistigen Auseinandersetzung mit Leben und Auftrag des Soldaten. Das ist der Grund, warum ich, in Abstimmung mit den zuständigen militärischen Dienststellen und in engem Kontakt mit der evangelischen Militärseelsorge, dem traditionell bewährten Institut des Lebenskundlichen Unterrichtes neue Impulse und Inhalte geben will. Daraus ergibt sich der dritte neue Schwerpunkt im Dienst unserer Militärseelsorger.

Auf der Grundlage der genannten neuen Schwerpunkte und Aufgaben muss die Neuorganisation der Struktur der von mir zu verantwortenden Seelsorge und der Einsatz der verschiedenen Dienste in dieser Seelsorge erfolgen.

Der Personalbedarf ist dabei wesentlich durch zwei Faktoren bedingt: Einerseits müssen die bezeichneten Schwerpunktaufgaben gleichzeitig und verläßlich erfüllt werden. Dabei sind durch die Rahmenplanungen zur Bereitstellung einsatzbereiter militärischer Kräfte zugleich Daten für die Anzahl vorzusehender einsatzbegleitender Militärgeistlicher vorgegeben. Nicht vergessen werden darf die Notwendigkeit der zeitgleichen Sicherstellung dieser pastoralen Einsatzbegleitung und einer verstärkten Seelsorge an den Familien der eingesetzten Soldaten und Soldatinnen.

Andererseits machen es die speziellen Inhalte der Seelsorge erforderlich, die in den Diözesen Deutschlands in den vergangenen Jahrzehnten entwickelten neuen pastoralen Dienste zum Einsatz zu bringen. Ich nenne hier neben den schon seit einer Reihe von Jahren auch in der Katholischen Militärseelsorge tätigen Pastoralreferenten die Gemeindereferenten und vor allem -referentinnen, die spezielle Kompetenzen für die Familien- und Frauenseelsorge mitbringen. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob auch weitere Seelsorgsdienste für besondere Aufgabenfelder in Betracht kommen. Von zentraler Bedeutung wird weiterhin sein, dass - je nach den Besonderheiten der stationierten Truppen - neue Organisationsmodelle der örtlichen Seelsorge entwickelt werden können, die nicht zuletzt Synergieeffekte für erfolgreiche Kooperationsformen freisetzen. Die notwendige Neuausrichtung der Militärseelsorge kann nur gelingen, wenn auch im Bereich der Organisation mehr Flexibilität und Kreativität möglich wird. Der Weiterführung und Intensivierung der bewährten Zusammenarbeit mit der evangelischen Militärseelsorge kommt selbstverständlich eine zentrale Rolle zu. Bei der Zuweisung von Dienstposten an die beiden Zweige der Militärseelsorge verdient schließlich die Tatsache Berücksichtigung, dass auch zahlreiche konfessionslose oder anderen Religionen und Konfessionen angehörige Soldaten den Dienst der katholischen Militärseelsorger suchen und in Anspruch nehmen.

Meine Damen und Herren, damit die Militärseelsorge von den Soldaten der Bundeswehr und ihren Familien als Dienst an der durch das Grundgesetz gewährleisteten Religionsfreiheit und freien Religionsausübung und als wirkliche Lebenshilfe erlebt werden kann, müssen Staat und Kirche im Rahmen der langjährig bewährten Zusammenarbeit, die auf soliden rechtlichen Grundlagen aufruht, sich den größeren Aufgaben in Gegenwart und Zukunft stellen. Die effektive Wirksamkeit dieser Seelsorge sollte dabei im Mittelpunkt stehen. Seitens der katholischen Diözesen und Ordensgemeinschaften Deutschlands werden mir dazu Priester und Laienseelsorger zur Verfügung gestellt, die angesichts der exorbitanten Personalengpässe in diesem Bereich dort schmerzlich fehlen. Dies ist nur zu vertreten, wenn die Militärseelsorge in Form und Inhalt neue Wirksamkeit entfalten kann. Dazu möchte ich heute nicht nur Ihr Interesse, sondern auch Ihre Unterstützung erbitten.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

den Vortrag des Militärbischofs finden sie hier

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