"Das deutsche Modell der Seelsorge in der Bundeswehr als Exempel für ein eigenes Kirche-Staat-Verhältnis"

Ansprache von Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

Verlegung der Dienststelle des Katholischen Leitenden Militärdekans von Mainz nach Koblenz am 27.02.2002

Wappen von Karl Kardinal Lehmann
1. Entgegen vielen Annahmen gibt es nur in allgemeinen Strukturen ein "System" von Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Das Wort "System" wird nicht selten dazu benutzt, um ein festes Gefüge wechselseitiger Interessen zu kennzeichnen. Dieses existiert so nicht. Vielmehr gibt es immer noch, auch im Raum der EU, sehr verschiedene Grundtypen im Verhältnis von Staat und Kirche (vgl. nur Frankreich, Griechenland, England, skandinavische Länder).

2. Das Staat-Kirche-Verhältnis ist weitgehend davon bestimmt, welches Ergebnis durch historische Auseinandersetzungen zwischen beiden gewachsen ist. Man darf die geschichtlichen Voraussetzungen der Ausprägung des Staat-Kirche-Verhältnisses weder ignorieren noch fixieren. Aber gerade im Raum abendländischer Kirchenfreiheit gehört diese historische Dimension auch heute noch zur Ausprägung der Sache (vgl. Antike, "libertas Ecclesiae", Reformation, Aufklärung, Säkularisation von 1803, moderne Verfassungen usw.).

3. Vor diesem Hintergrund sehe ich im vielgestaltig ausgeprägten Verhältnis von Staat und Kirche ein offenes Gefüge grundlegender Beziehungselemente und konkreter Regelungen in einzelnen Sachbereichen. Dieses Verhältnis ist historisch und regional verschieden abgewandelt und bestimmt worden.

4. Die beiden Grundpfeiler einer Verhältnisbestimmung sind, mindestens in der in der Bundesrepublik Deutschland und den Bundesländern geltenden Beziehung:

Gewährleistung von Unabhängigkeit und Freiheit für Staat und Kirche, um die jeweiligen Aufgaben zu erfüllen; partnerschaftliche Kooperation im Dienste des einen konkreten Menschen, der zugleich in vielen Fällen Staatsbürger und Christ ist. Deshalb sind die Beziehungen zwischen Staat und Kirche für die einzelnen Sachbereiche bis in das Detail vereinbart, wie z.B. im Blick auf Schulen aller Art, soziale Aufgaben, Seelsorge, in verschiedenen Situationen (Krankenhaus, Bundeswehr, Polizei, Bundesgrenzschutz, Gefängnis usw.), Denkmalpflege. Diese Regelungen gehen zwar von den eben erklärten Grundsätzen aus, variieren diese, sind sehr funktional und situativ bestimmt und darum auch wandelbar. Dazu bedarf es eines differenzierten Instrumentariums zur Ausgestaltung dieses Verhältnisses in Konkordaten, Verträgen und Vereinbarungen. Dies ist m.E. auch heute noch gültig und hat sich prinzipiell bewährt.

5. Der Staat selbst ist wertanschaulich neutral, ist aber gerade dadurch auch auf das Ethos der Bürger und religiös - weltanschaulicher Gemeinschaftsbildungen angewiesen ("Grundwerte"-Problem). Deshalb besteht die auch im Zweiten Vatikanischen Konzil katholischerseits durchgesetzte Religionsfreiheit nicht nur negativ im Sinne der Neutralität und Toleranz, sondern auch positiv im Offenhalten der Rahmenbedingungen für ein freies, unabhängiges Existieren und Wirken der Kirchen und Religionsgemeinschaften nach ihren eigenen Grundsätzen. In einer nur negativ verstandenen Auffassung von Religionsfreiheit, die die Gewährleistung der positiven Religionsfreiheit vernachlässigt oder ausschließt, entstehen nicht selten insgeheim oder offen inhaltliche, weltanschauliche bedingte Annahmen des Staates zur Ausgestaltung einzelner Sachbereiche.

6. Das heutige Staatsverständnis ist kaum mehr bestimmt von Voraussetzungen des 19. Jahrhunderts (vgl. z.B. die Rolle der Nationen, Souveränität), Auch wenn man einen "starken Staat" begünstigen will, so existiert heute eine konstitutive Schwäche des Staates durch den Mangel oder wenigstens in Folge der Verringerung gemeinsamer Wertüberzeugungen. An dieser Stelle ist der moderne Staat äußerst verletzlich. Hier ist ein wichtiger Ansatzpunkt nicht zur Etablierung von Staatsdoktrin und weltanschaulichen Stabilisatoren vor allem im Staatsinteresses, sondern zur freien, partnerschaftlichen Kooperation, die auch dem gesellschaftlichen Pluralismus Rechnung trägt.

7. Die eher einlinige, eindimensionale und traditionelle Beziehung von Staat und Kirche ist spätestens im 20. Jahrhundert aufgesprengt und differenziert worden. Die Staat-Kirche-Beziehung ist stärker mitgeprägt durch das gesamte pluralistische Kräftespiel der Gesellschaft. Deshalb kann das konkrete Verhältnis von Staat und Kirche nicht mehr für sich allein betrachtet werden, sondern muss immer auch den Wandel der Gesllschaft berücksichtigen. Dies bedeutet jedoch nicht eine opportunistische Anpassung an den jeweiligen Geist der Zeit. Jedenfalls muss man das Dreieck Staat-Kirche-Gesellschaft für alle Erörterungen im Auge behalten. Es genügt darum nicht, bei staatskirchenrechtlichen Überlegungen weitgehend nur auf die formale Verbindlichkeit und Gültigkeit von Verträgen zu blicken.

8. Zur partnerschaftlichen Regelung der Verhältnisse müssen beide Partner die Schwächen und Stärken des anderen wahrnehmen. Der Staat darf die eigene Situation der Kirche im pluralistischen Gemeinwesen nicht vernachlässigen. Der Kirche kann die innere Not und Verletzlichkeit des modernen Staates im Blick auf die notwendige Einheit der Wertüberzeugung nicht gleichgültig sein. Hier bedarf es einer neuen solidarischen Nähe, die die Freiheit und Unabhängigkeit, aber auch die partnerschaftliche Kooperation verlangen.

9. Die Fragestellung hat auch durch die ökumenische Zusammenarbeit der Kirchen eine neue Dimension erhalten, wie sie sich u.a. auch in der von den Kirchen geförderten Zusammenarbeit von Vertretern des Staatskirchenrechts zeigt (vgl. Essener Gespräche, Handbuch des Staatskirchenrechts usw.).

10. Das Staat-Kirche -Verhältnis erhält auch durch die europäische Dimension, speziell auch durch die Bestimmungen im Zusammenhang des Maastrichter-Vertrages, eine wichtige Erweiterung, die man künftig nicht aus den Augen verlieren darf, besonders wenn es um eine europäische Verfassung geht.

11. Die Stellung der Seelsorge für die Bundeswehr trägt zunehmend diesem differenzierten Verständnis von Kirche und Staat Rechnung. Dabei wurden die früheren Erfahrungen in den beiden Weltkriegen berücksichtigt, in denen die Militärseelsorge eine zu große Nähe zum Staat hatte und auch in der Gefahr war, sich gegenüber der Kirche in den Diözesen abzukapseln und als autarkes Gebilde ein problematisches Eigenleben zu führen.

12. Dieser neuen Situation haben bereits die "Statuten für die Seelsorge in der Deutschen Bundeswehr" vom 31. Juli 1965 entsprochen. Am 23. November 1089 sind diese Statuten unter dem neuen Titel "Statuten für den Jurisdiktionsbereich des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr" überarbeitet und aktualisiert worden. Dabei musste das verhältnis zur Apostolischen Konstitution "Spirituali Militum curae" vom 21. April 1986 neu bestimmt werden. Diese Rechtstexte sind die normativen Grundlagen des heutigen Verhältnisses.

13. Das hiermit umschriebene und von den zuständigen römischen Instanzen genehmigte Modell der Seelsorge der Deutschen Bundeswehr trägt in einzigartiger Weise der Geschichte unserer Erfahrung mit der Militärseelsorge und der Einbeziehung der Militärseelsorge in die Gesamtseelorge Rechnung.

14. Diese eigene und einzigartige Konstruktion, die immer wieder auch gegen Wünsche nach einer Angleichung an die Strukturen anderer Länder angefochten wird und verteidigt werden muss, hat folgende tragende Bestimmungen: Es gibt keinen eigenen Militärbischof, der ausschließlich dieser Aufgabe dient, sondern ein Diözesanbischof übernimmt die Aufgabe des Militärbischofs. Dieser hat zwar einen eigenen Jurisdiktionsbereich, der freilich mit dem Jurisdiktionsbereich der Diözesanbischöfe konkurrieren kann, aber er ist keine Diözese im Vollsinn, wie dies in vielen anderen Ländern der Fall ist. Der Jurisdiktionsbereich des Militärbischofs tendiert auf eine Ortskirche hin, aber es gibt z.B. kein Inkardinationsrecht und keine ausschließlich eigene Kathedrale, auch kein Priesterseminar für die Militärseelsorge. Die Militärpfarrer sind zum allergrößten Teil Beamte auf Zeit und kehren nach einigen Jahren in ihre Heimatdiözesen zurück. Dies ergibt einen lebendigen Austausch zwischen der ordentlichen Seelsorge in den Bistümern und der spezifischen Seelsorge für die Angehörigen der Bundeswehr. Hier gibt es einen bewussten Ausgleich und eine Vernetzung mit der Gesamtseelsorge der Bundeswehr, was sich auch sehr positiv für die Integration der Familien der Bundeswehrangehörigen auswirkt. Es ist folgerichtig, dass die Militärseelsorge weitgehend auch die Räte-Strukturen der Bistümer übernommen hat (Priesterrat, Pfarrgemeinderäte, Zentrale Versammlung der Katholischen Soldaten als Zusammenschluss von Vertretern des Laienapostolates). Für eine präsente und wirksame Seelsorge bei den Soldaten ist also eine offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Militärseelsorge mit den Bistümern und Ordensgemeinschaften notwendig. Deshalb sollten auch die Diözesanbischöfe dem Militärbischof genügend Priester zur Verfügung stellen. Militärseelsorge ist so ein wichtiger Teil der Gesamtseelsorge. Die Seelsorge der Soldaten ist eine enge gemeinsame Aufgabe der gesamten Kirche in unserem Land. Für die Freiheit der Militärseelsorge ist es ein wichtiges Zeichen, dass der Militärbischof in keinem Dienstverhältnis zum Staat steht.

15. So kann man zusammenfassend sagen: Die Militärseelsorge ergänzt die Seelsorge in den Ortsgemeinden und kirchlichen Verbänden. Sie will diese nicht ersetzen und schon gar nicht in Konkurrenz zu ihr treten.

16. Für die Militärseelsorge gelten nicht nur die territorialen Strukturen. Gerade die neuere Entwicklung zeigt hier auch eine größere Flexibilität. Die Militärpfarrer folgen den Soldaten dorthin, wo sie Dienst tun: in die Kasernen, auf die Truppenübungsplätze, im In- und Ausland, in den vielfältigen Situationen ihres Dienstes. Dadurch sind die Seelsorger auch sehr nahe bei den Lebensfragen und den ethischen Herausforderungen der Soldaten.

Herr Militärdekan Msgr. Carl Ursprung, der aus unserer Nachbardiözese Trier stammt und nun in gewisser Weise in sie nach Koblenz zurückkehrt, hat in den Jahren seines Mainzer Aufenthaltes und Dienstes in doppelter Loyalität dem Auftrag der Militärseelsorge und einem sehr guten Austausch mit den Bistümern seines Bereiches und besonders mit dem Bistum Mainz gedient. Darum hat er immer wieder an unserer Dekanekonferenz im Bistum und an anderen Veranstaltungen der Diözese teilgenommen. Ich möchte ihm dafür herzlich danken und für den künftigen Dienst in Koblenz Gottes reichen Segen wünschen.

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