"Ohne Vergebung gibt es keinen Frieden"

Predigt von Weihbischof Hans-Jochen Jaschke, Hamburg, anlässlich der Feier des Weltfriedenstages in Schwerin und Rendsburg, 26. / 27. Februar 2002

Weihbischof Jaschke bei der Feier des Gottesdienstes mit Konzelebranten
Schwestern und Brüder, liebe Christen!

Hamburg, 02/2002. Friede ist möglich, heißt ein gutes Leitwort, das uns ermutigen will. Wir alle brauchen solche Impulse, Zumutungen, Herausforderungen, gerade heute, wenn wir auf die Konfliktherde unserer Welt schauen, wenn wir die Fratze der Gewalt neu und unverblümt auftreten sehen. Ich weiß um das Ethos, die sittliche Haltung der Soldatinnen und Soldaten, die Frieden sichern, die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Friede möglich wird, immer neu, unter neuen und anderen Bedingungen, die unsere Welt bereitstellt.

Friede ist möglich. Ich gehe weiter und rufe uns zu: Friede ist wirklich, Friede ist eine Realität. Wie können wir heute in der Kirche so reden? Ich spreche nicht auf eigene Rechnung. Wir dürfen so reden, weil wir Gott trauen, der Frieden bereithält in einer friedlosen Welt, mit allen ihren Verwirrungen und Verwicklungen, mit allem was dazwischen tritt. Gott ist der Garant des Friedens, der diese Realität selber sicherstellt. Und sie wird wirksam, immer wieder blitzt sie auf. Das Friedensreich von dem Menschen träumen, seit es Menschen gibt, will nicht für alle anbrechen. Da sind immer wieder die Verunklärungen am Werk. Wo die Friedensreiche sich allzu sicher wähnen, ein Alexanderreich, ein römisches Reich - wir wollen nicht von anderen Reichen reden, da ist doch leicht der Friede die Ausrede für die tatsächliche Gewalt, die Maske für Brutalität, die ihn zu sichern glaubt. Aber wir lassen uns nicht entmutigen. Wir haben den Text aus dem Propheten Jesaja gehört: 500 Jahre vor Christus blickt er aus dem fernen Babylon nach Jerusalem und spricht von der Friedensstadt Jerusalem, über der die Herrlichkeit Gottes aufgehen soll. Der Friede soll die Aufsicht über sie haben, Gerechtigkeit soll der Vogt in Jerusalem sein. Gerade in den aktuellen Erfahrungen sehen wir, wie weit entfernt die Stadt Jerusalem in der Welt von heute von solchen Zumutungen ist. Aber Jerusalem bleibt für Christen in ganz besonderer Weise der Ort, von dem wir wissen, dass Gottes Sohn in dieser Welt ein für allemal das Friedenszeichen, das Friedensmal gesetzt hat, indem er am Kreuz gestorben ist. Und auf dem Weg zum Kreuz ermutigt er seine Jünger: Gebt nicht auf, laßt euch nicht verwirren, euer Herz soll nicht erschrecken. Meinen Frieden gebe ich euch, nicht wie die Welt ihn gibt. Laßt euch nicht verwirren von allem, was dazwischentritt, laßt euch nicht verwirren von schönen Reden, einem Scheinfrieden, der angepriesen wird. Setzt auf den Frieden, den ich euch schenke. Setzt auf die Versöhnung in mir. So ist Frieden wirklich. Frieden in dieser Weise erfahren und für ihn eintreten, geschieht in verschiedenen Bereichen, auf verschiedenen Ebenen.

Es beginnt mit dem inneren Kreis, der mit uns ganz persönlich zu tun hat. Innerer Frieden, das ist die Erfahrung, die ich machen kann, wenn ich mit mir ausgesöhnt bin. Man soll nicht einfach zufrieden mit sich selber sein. Das ist nicht gut, es muß immer der Stachel da sein, der uns antreibt und herausfordert. Innerer Frieden ist ein Geschenk, eine Gnade. Jeder von uns weiß, dass es dies gibt, wir können es spüren. Der gläubige Mensch hat es vielleicht einfacher, weil er darauf setzen darf, dass er sich nicht mit sich selber aussöhnen muß, sondern dass ihm Frieden von einem anderen geschenkt wird. Aber jeder Mensch, wenn er auch nicht ausdrücklich glaubt, aber eine sittlich verlässliche und gute Persönlichkeit ist, kann den inneren Frieden erfahren und in seinem Verhalten Sorge dafür tragen, dass er weiter wächst. Im nächsten Kreis wirkt er in meiner Umgebung. Ich kann friedlich sein, friedfertig im alltäglichen Lebensbereich mit den Menschen, mit denen ich unmittelbar zu tun habe. Wir versagen, wir werden überrascht von Aggressivität, die auch bei uns selber ausbricht, von Unbeherrschtheiten, von Machtgelüsten, von Rangstreitigkeiten. All das wird jeder bestätigen können. Und dennoch: friedfertiger Umgang im persönlichen Leben ist keine Utopie. Auch wenn wir den Kreis auf die großen Fragen ausweiten, darf ich uns zurufen: Friede ist in unserer Welt eine Realität, wenn wir für ihn eintreten. Der streitige, der strittige Einsatz kann eine bittere Notwendigkeit sein. Friede braucht auch die starke Hand, die dafür Sorge trägt, dass die Schwachen nicht untergehen, dass die Rechte der Kleinen und Geringen gewährt werden. Gerechtigkeit bleibt eine beständige Voraussetzung für den Frieden. Und wir alle stehen in einem großen Lernprozess, Gewalt zu kontrollieren, zu legitimieren, zu begrenzen und mehr und mehr durch gemeinsame Übereinkunft zu überwinden. In diesem Einsatz sind wir verbunden mit allen Menschen guten Willens. Christen wissen sich getragen vom Glauben an Gott, der uns in diesen Erfahrungen bestärkt und uns die Kraft gibt, sie weiter voranzubringen.

Der Friedensdienst der Bundeswehr in unserem demokratischen Land, auf das wir stolz sein können, steht selbstverständlich unter diesen Zielen. Die Bundeswehr ist geleitet von der Grundidee, dem Frieden zu dienen, indem sie ihn sichert. Die Zeiten ändern sich. Die Situationen in der Verteidigung sind heute andere, als sie es zu Beginn der Bundeswehr waren. Verteidigung nimmt neue Dimensionen an. Wir stehen unter der Herausforderung von Terror, von unberechenbarer Gewalt, die die Unschuldigen opfert, die unvermittelt auftritt und auch den Kleinen und Geringen den Garaus macht. So wird jede zivilisierte Menschheitskultur vernichtet. Darum ist der Einsatz gegen den Terror auch eine Form der Verteidigung. Wir müssen ihn als eine gemeinsame Herausforderung aller Menschen betrachten.

Natürlich müssen wir acht geben, dass Gewalt, auch die jetzt angewandte, die Gewalt einer Allianz gegen den Terror sich nicht verselbständigt, dass sie nicht Züge annimmt, die andere unnötig demütigt, dass sie nicht zu Hochmütigkeiten führt, die anderen Menschen keine Chance mehr gibt. Es wird gerade Aufgabe der Europäer sein, in der weltweiten Völkergemeinschaft ihr Gewicht zur Geltung zu bringen, damit wir alle zu tragfähigen Lösungen kommen.

Aber ich will es auch deutlich und deutlich sagen: Bleiben wir vorsichtig gegenüber scheinheiligen Friedensreden, hinter denen dann doch die Fratze des brutalen Terrors hervorschaut.

Friede ist eine Realität, die wir besonders im Gottesdienst erfahren. Wir lassen uns von Gott anrühren und ansprechen. Sein Wort will in mein Herz eindringen und meine Seele gesund machen, in all dem, was mir nicht gelingt, was mich beunruhigt und umtreibt. Dieser Friede wirkt ein auf die Lebenssituationen im Kreis meiner Mitmenschen, gerade wenn ich mich schämen muß, dass es mir nicht gelungen ist, der liebenswürdige friedfertige, ausgleichende, vermittelnde Mensch zu sein, der ich sein wollte. Gott vergibt und schenkt mir die Kraft, neu zu beginnen, so dass ich dazu beitragen kann, mit den anderen Menschenkindern ein humanes Leben zu gestalten und zu prägen. Und wir dürfen uns neu dafür motivieren lassen, dass es in unserer Welt auch mit den Mitteln der modernen Technik und der modernen Politik gelingen kann, Menschen zu vernünftigen Ordnungen zusammenzuführen. Humanität und Zivilisation sollen eine Chance behalten. Gott macht es sich zur Ehre, uns viel zuzutrauen. Nehmen wir diesen Ehrendienst wahr. Amen.

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