"Gefahr besteht, dass Krieg normales Mittel wird"

Interview von Militärbischof Dr. Walter Mixa - "Neue Bildpost" 10. April 2003

"Bischof Dr. Walter Mixa ist der katholische Militärbischof in Deutschland. Mixa, zugleich Diözesanbischof von Eichstätt, gehört zu jenen Geistlichen, die den Irak-Krieg sehr deutlich verurteilt haben. Über sein tägliches Erleben des Konflikts sprach mit dem Bischof Uwe Schmalenbach.

Herr Bischof, wie informieren Sie sich über den Irak-Krieg? Finden Sie Zeit, in die täglichen Sondersendungen im Fernsehen reinzusehen?


Ich informiere mich - so weit es meine Zeit erlaubt, auch in Kriegszeiten muß ein Bischof ja noch andere Aufgaben bewältigen - vor allem aus der seriösen Tagespresse. Zum Fernsehen komme ich nur gelegentlich. Die Presse hat auch den Vorteil, daß sie größere Zusammenhänge herstellen und Hintergründe tiefer ausleuchten kann. Sie ist weniger auf unmittelbare Aktualität und starke Bildwirkung ausgerichtet als die elektronischen Bildmedien. Die "Langsamkeit" der Presse ist in Zeiten, wo täglich ein oft unübersichtlicher und verwirrender Informationsfluß zu ordnen und zu bewerten ist, auch ein Vorteil: es ist leichter die Übersicht zu bewahren. Ich weiß aber, daß meine Berater auch das Internet sehr intensiv zur Informationsgewinnung auswerten.

Haben Sie - bei aller Notwendigkeit, sich dem Leid der Menschen im Krieg und den Aufrufen zur Hilfe nicht zu verschließen - Verständnis dafür, daß viele Menschen in Deutschland mittlerweile genug haben von den Kriegsberichten - und sich eher abwenden?

Dafür habe ich Verständnis. Der Überdruß der schon nach einigen Tagen des Krieges entstanden ist und der sich ja in Umfragen deutlich spiegelte, hat sicher auch mit den Problemen der Bildmedien zu tun, die ich schon in der Antwort auf Ihre erste Frage angedeutet habe. Die Bilder, mit denen wir in Überfülle bombardiert werden, sind einerseits oft schwer zu ertragen, andererseits können weder die "schrecklichen", die Leid und Unheil zeigen, noch die "ästhetischen", die die Dynamik und Kraft des militärischen Vormarschs, die technische Faszinationskraft moderner Waffensysteme kommunizieren sollen, die Wirklichkeit des Krieges wiedergeben. Manchmal, eher selten, gelingt es im sorgfältigen Zusammenspiel von Bild und Wort, diese Wirklichkeit symbolisch zu verdichten. Das ist dann eine echte journalistische Leistung. Aber an die Unmittelbarkeit von Bildern im Krieg glaube ich nicht. Dazu kommt ein weiterer Punkt. Insbesondere der deutsche Fernsehjournalismus zeigt sich gegenüber diesem Krieg - so weit ich es wahrgenommen habe und um es vorsichtig auszudrücken - als sehr hilflos. Oft ersetzt Gesinnung in einer schlimmen Weise die Sachkenntnis, die einfach notwendig wäre, um die Bilder, die auf den Zuschauer einbrechen, in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen: auch wer gegen diesen Krieg ist, muß wissen, wie er funktioniert. Die massenhaften Interviews mit wirklichen oder vermeintlichen - für die Zuschauer ist das oft schwer zu unterscheiden - "Experten", können sozusagen die grundlegende Sachkenntnis der Journalisten, die Nachrich- ten und Berichte machen, nicht ersetzen. Daß unsere Journalisten vielfach eher "militärfremd" sind, ist an sich sicher kein Makel, denn dies hat historische Hintergründe, für die wir nur dankbar sein können. Aber jetzt wäre es nötig, sich Grundkenntnisse anzueignen. Als ich Militärbischof wurde und plötzlich mit den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen konfrontiert war, da mußte ich das auch. Man muß kein "Militärexperte" werden, um seine Urteilsfähigkeit deutlich zu verbessern. Kurzum: zu viele Bilder kombiniert mit zu wenig sachgerechter Berichterstattung erzeugt Überdruß, der dem Umgang mit einem so ernsten Thema nicht guttut.

Das Amt des Militärbischofs ist ein sehr anspruchsvolles. Ist es in dieser Zeit noch schwieriger, es auszuüben, weil ja auch die Sorgen der Soldaten und ihrer Familien zugenommen haben dürften?

Deutsche Soldaten nehmen an diesem Krieg ja nicht unmittelbar teil. Dennoch können sie von seinen Folgen betroffen werden, besonders bei den Auslandseinsätzen in Kuwait und Afghanistan. Natürlich ist hier die Gefährdung größer als zuvor. Kuwait ist ja mehrmals mit Raketen beschossen worden, ins Hauptquartier der ISAF in Kabul ist erst vor Tagen eine Rakete eingeschlagen - Gott sei Dank ohne größere Folgen. Ob dies im Zusammenhang mit dem Krieg im Irak stand, ist nicht genau zu sagen, dennoch ist die Sicherheitslage heikel. Unsere Militärseelsorger vor Ort, aber auch in den Standorten, dort wo die Familien der Soldaten leben, versuchen natürlich, Sorgen und Ängste aufzugreifen. Sie suchen das Gespräch, bieten das seelsorgerische Gespräch an. Aber auch das Gebet für die uns an- vertrauten Soldaten ist mir sehr wichtig.

Sie haben sich vor kurzem für eine deutlich kritischere Haltung gegenüber den USA ausgesprochen. Was denken Sie über die Haltung von CDU- und CSU-Führung, der die deutsche Außenpolitik ja schon zu kritisch war?


Man muß da genau unterscheiden. Die Vereinigten Staaten sind und bleiben unser wichtigster Verbündeter. Sie sind - ob es uns und ihnen selbst paßt oder nicht - nicht allein die stärkste Militärmacht der Welt, sind es auch auf vielen anderen Gebieten. Mit dieser Macht, die sie faktisch haben, müssen sie in einer verantwortlichen Weise, zum Wohle aller umgehen. Die Vereinigten Staaten haben eine lange und gute Tradition diese Verantwortung wahrzunehmen. Der kritische Aspekt - kritisch im Sinne von griech. "krinein", unterscheiden -, den die Europäer ganz dringend einzubringen haben, sollte frei sein von jeder Form von antiamerikanischem Ressentiment. Mein Bedenken gegenüber der neuen amerikanischen Sicherheitspolitik nach dem 11. 9. 2001 ist aber, daß zumindest die Gefahr besteht, daß das völkerrechtliche Gewaltverbot ausgehöhlt wird und Krieg wieder ein "normales" Mittel der Politik eines einzelnen - wenn auch sehr starken - Staates wird. Ich glaube nicht, anders als viele im Augenblick meinen, daß die gegenwärtige amerikanische Führung dies so einfach will. Aber ihre Reaktion auf die Sicherheitspolitischen Herausforderungen des 11. 9. könnten in diese Richtung führen. Dies aber wäre mit großen Gefahren verbunden. Dies ist auch eine der gegenwärtigen Hauptsorgen des Hl. Stuhls und des Papstes, über den gegenwärtigen Krieg hinaus. Dabei käme es auf eines an: Amerika akzeptiert auch einen kritischen europäischen Ge-sprächspartner dann, wenn Europa bereit ist, auch wirkliche Verantwortung zu übernehmen, eine Verantwortung, die ihre glaubwürdige Grundlage auch in entsprechenden militärischen Fähigkeiten und einer wirklich gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik hat.

Herr Stoiber hat gar "Verständnis" für das Vorgehen der USA gefordert vor dem Hintergrund des 11. Septembers; Frau Merkel verlangt wörtlich "rückhaltlose Unterstützung der USA" - der Papst lehnt den Krieg strikt ab. Was raten Sie angesichts dieses offenkundigen Gegensatzes Christen, die wegen ihres Glaubens in den Gewissenskonflikt geraten, ob sie beim nächsten Mal noch Union wählen oder Mitglied einer Partei bleiben können, die zwar das "C" in Namen trägt, sich aber gegen die deutliche Meinung des Oberhauptes der katholischen Kirche stellt?

Der Heilige Vater war der Überzeugung, daß noch nicht alle politisch-diplomatischen Mittel ausgeschöpft waren, ein Krieg deshalb vielleicht noch zu verhindern gewesen wäre. Persönlich belastet ihn der Krieg schwer, ich habe es selbst vor kurzem in Rom erlebt. Einige hochrangige Vertreter des Heiligen Stuhls haben deutlich ein negatives Urteil abgegeben. Die offizielle Stellungnahme des Heiligen Stuhls ist aber sehr viel zurückhaltender ausgefallen. Sie hat vor allem auf die schwerwiegende Verantwortung der Handelnden hingewiesen, noch vor Kriegsausbruch, dann Schmerz und Bedauern ausgedrückt, darüber, daß zum einen der Irak, der auch direkt benannt wurde, seine Verpflichtungen nicht erfüllt hat, zum anderen aber die Verhandlungen, die gemäß dem internationalen Recht geführt wurden, abgebrochen wurden. Darin spiegeln sich die völkerrechtlichen Bedenken des Heiligen Stuhls, aber es wurde keinerlei direkte Verurteilung ausgesprochen. Letztlich obliegt dann auch die Beantwortung der Frage, ob alle friedlichen Mittel ausgeschöpft sind nach der katholischen Lehre (Weltkatechismus Nr. 2309) dem Urteil des Politikers. Man kann hier also zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Aber jeder, der sich für die Anwendung militärischer Mittel entscheidet, muß wissen, wie groß die Verantwortung ist."

Quelle: Neue Bildpost, 10.04.2003

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