"Gott in der Europäischen Verfassung? Hintergründe einer aktuellen Diskussion"

Vortrag von Karl Kardinal Lehmann beim Heeresführungskommando in Koblenz

Koblenz - „Gott in der Europäischen Verfassung? – Hintergründe einer aktuellen Diskussion“ hatte Karl Kardinal Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, seinen Vortrag betitelt, den er am vergangenen Donnerstag (30. Oktober 2003) im NATO-Saal beim Heeresführungskommando in Koblenz vor mehr als 500 Zuhörern hielt.

Der Entwurf einer „Verfassung für Europa“ wird augenblicklich heftig diskutiert. Konventspräsident Valéry Giscard d`Estaing hat dem Europäischen Rat bei seiner Tagung am 6. Juni 2003 in Thessaloniki das Werk vorgelegt. Seither versuchen verschiedene gesellschaftliche Institutionen noch „Verbesserungen“ anzubringen. Viel Zeit bleibt dafür nicht und so ist hinter den Kulissen Überzeugungsarbeit zu leisten.

Auch die Kirchen wollen ihre gesellschaftliche Bedeutung und die Rolle der Religion in der Präambel und im Verfassungstext stärker betonen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Karl Kardinal Lehmann und der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Präses Manfred Kock haben schon während der Beratungen gemeinsam die Aufnahme eines Gottesbezuges und eines Bekenntnisses zu den religiösen Wurzeln gefordert. Mit dem vorgelegten Verfassungsentwurf können sie nicht zufrieden sein.

„Gott in der Europäischen Verfassung? – Hintergründe einer aktuellen Diskussion“ hatte Kardinal Lehmann seinen Vortrag betitelt. Der Verfassungsentwurf besteht aus der Präambel und vier Teilen. Er nimmt bezug auf Religion, auf Religionsgemeinschaften und die Kirchen. Im zweiten Absatz der Präambel heißt es: „Schöpfend aus kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas, deren Werte in seinem Erbe weiter lebendig sind und die zentrale Stellung des Menschen und die Vorstellung von der Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit seiner Rechte sowie vom Vorrang des Rechts in der Gesellschaft verankert haben,“

Artikel 51 lautet: Status der Kirchen und Weltanschaulichen Gemeinschaften. Es folgen drei Unterpunkte.

(1) Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.
(2) Die Union achtet den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften in gleicher Weise.
(3) Die Union pflegt in Anerkennung der Identität und des besonderen Beitrages dieser Kirchen und Gemeinschaften einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit ihnen.

Für Lehmann sind die Präambelformulierungen sehr allgemein gehalten. Sie sind „nicht so recht in der Lage, eine konkrete, besonders auch die Kultur und Geschichte Europas begründende Identität zu stiften. Insofern wird die geschichtsbildende Eigenart Europas übergangen“.

Im 1. Absatz des Art. 51 wird auf die Stellung der Kirchen „in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften“ verwiesen. Diese ist in den EU-Staaten sehr unterschiedlich. „Es wird also kein kleinster gemeinsamer Nenner formuliert“, wie Lehmann feststellt.

Auch der 3. Absatz bedarf nach seiner Ansicht der „Konkretion“. In diesem Zusammenhang weist er auf darauf hin, dass z.B. mit den Europäischen Gewerkschaften konkrete Konsultationen üblich sind.

Ein ausdrücklicher Gottesbezug und die Nennung der christlichen Wurzel Europas hat in dem Entwurf keinen Eingang gefunden. Europa ist ohne die biblisch-christlichen Ursprünge nicht verständlich und zukunftsfähig. Europa braucht seine kulturelle Identität und Herkunft nicht verbergen. „Die Stärke Europas wird gerade so nicht evident“, betont Lehmann.

Versuche den Gottesbezug im Grundgesetz zu streichen schlugen fehl

Im Hauptteil seines Vortrages befasste sich der Kardinal mit dem Wesen, der Funktion und dem Gehalt einer Präambel. Hier nahm er die des Grundgesetzes zum Beispiel seiner Betrachtungen. „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, (...), so lautet sie, trotz verschiedener Versuche, so im Rahmen der Diskussion um die Wiedervereinigung, den Gottesbezug zu streichen. Die Bestrebungen kamen von verschiedenen weltanschaulichen Bewegungen, u.a. im Namen des „wissenschaftlichen Fortschritts“.

Als die Präambel des Grundgesetzes formuliert wurde, ging es um die Distanzierung vom Nationalsozialismus. Die Macht des Staates sollte begrenzt sein. Das Grundrecht gewährt dem Einzelnen Religionsfreiheit in dem vorgegeben Rechtsraum. Der Staat identifiziert sich nicht mit einer bestimmten Konfession oder Weltanschauung. Hier zitierte Lehmann aus den Erinnerungen von Carlo Schmid, einen der Verfassungsväter: “Die meisten Bewohner der Bundesrepublik werden unter diesem Gott, den die Präambel nennt, den Gott verstehen, dessen Gebote ihnen die religiöse Unterweisung im Elternhaus und in der Schule sowie ihr Leben in den Kirchen unseres Landes nahe gebracht haben.“

Mit der Nennung des Gottesnamen erfolgt keine ausdrückliche Anrufung Gottes, wie es in den Verfassungen der Schweiz, Griechenlands und Irlands der Fall ist. „Im Namen Gottes des Allmächtigen! Im Willen, den Bund der Eidgenossen zu erneuern; gewiss, dass frei nur bleibt, wer seine Freiheit gebraucht und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen; eingedenk der Grenzen aller staatlichen Macht und der Pflicht, mitzuwirken am Frieden der Welt, haben Volk und Kantone der Schweiz folgende Verfassung beschlossen.“

Nach demoskopischen Umfragen in Deutschland gibt es etwa zwei Drittel, die an ein „höheres Wesen“ glauben. Setzt man hierfür „Gott“ ein, dann ist damit eine religiöse Instanz gemeint. Lehmann akzeptiert die sinnvolle Abstraktion, widerspricht aber der Vernebelung des Begriffs und „dass er damit nicht mehr konkret identifiziert werden kann“.

Bei der Analyse weiterer Bezugspunkte Gottes im Grundgesetz, folgte auch der Hinweis auf Art. 140 GG „Recht der Religionsgesellschaften“. Hier sind die Art. 136 bis 141 der Deutschen Verfassung vom 11. August 1919 (Weimarer Verfassung) als Verfassungsrecht zusammengefasst. Für die Streitkräfte ist Art. 141 relevant. „Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zu Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist“.

Was in die Verfassung kommt hat Bezug für die Gestaltung des erweiterten Europas

Den Extrakt seiner Erläuterungen führte Kardinal Lehmann in einigen Thesen auf, deren zusammengefasster Inhalt in folgenden Aussagen wiedergegeben werden kann. Der Gottesbezug ist auch eine Bürgschaft gegen Verführungen zu diktatorischen Systemen und Totalitarismus. Er gewährleistet die Menschenwürde und den unveräußerlichen Schutz der Menschenrechte. Durch den Verlust der grundlegenden Werte in der Gesellschaft, werden die Aufgaben der Kirchen immer wichtiger für „Geist und Moral“. Die Kirchen müssen das Evangelium überzeugend vertreten, offensiver und wehrhafter werden. „Gott“ sollte daher einen Platz in der Verfassung für Europa haben.

Generalleutnant Axel Bürgener, Befehlshaber des Heeresführungskommandos, sprach im Namen der Mitveranstalter, Heerestruppenkommando und Zentrum Innere Führung, nach einer Fragerunde das Schlusswort. Nachdenklich verließen die mehr als fünfhundert Zuhörer die Abendveranstaltung.

Text: Peter E. Uhde
Fotos: Oberfeldwebel Dirk Bannert


Den Vortrag von Karl Kardinal Lehmann finden sie hier

zurück   oben