"Behinderte haben Vorfahrt"

Die deutsche Krankenpilgergruppe bei der 48. Soldatenwallfahrt

Kranke in Rikschas warten auf das Bad im Quellwasser
Lourdes (KNA). Blaulackierte Kranken-Rikschas leuchten bei der 48. Soldatenwallfahrt in Lourdes mit bunten Wolldecken um die Wette. Diese liegen in Stapeln im Foyer der Krankenherberge Accueil Notre-Dame - jedes Stück ein Unikat. Pilgerinnen aus aller Welt häkeln sie für pflegebedürftige Wallfahrer, die den Marienort am Fuße der Pyrenäen besuchen. Die Krankenpilgergruppe des deutschen Militärs zählt in diesem Jahr 20 Patienten, die von Pflegekräften oder Angehörigen begleitet werden.

Ambulanzfeldwebel Sabine Pries vom Koblenzer Bundeswehrzentral-Krankenhaus ist zum ersten Mal als Betreuerin dabei. Sie ist begeistert von der Art, wie die Menschen hier mit den Kranken umgehen. "Gestern abend war ich mit einer Patientin an der Marien-Grotte und sie wollte gerne ganz nah ran", erzählt die 37-jährige. Die Besucher der Grotte hätten wie selbstverständlich eine Schneise gebildet und sie seien bis ganz vorne durchgefahren. Eine Erfahrung, die auch der Hamburger Leutnant Hendrik Sandbrink gemacht hat: "Behinderte und Kranke haben hier ganz klar Vorfahrt", sagt er bestimmt. Und das zeigt sich sogar im Straßenverkehr, denn in Lourdes gibt es eine eigene Spur für Rollstuhlfahrer.

Im heiligen Bezirk bilden sich lange Pilgerschlangen vor den Ständen mit den Opferkerzen. Keine Teelichte, sondern richtige Wachsleuchten. Die größten - bis zu zwei Meter hoch und mit Bändern und Blumen geschmückt - sollen die Bitten der Menschen unterstützen. Aus mehreren Wasserhähnen zapfen Gläubige das Lourdes-Wasser, das bereits viele Kranke geheilt haben soll. Einige Pilger füllen es in große Kanister ab, andere stehen einfach andächtig vor der Marienstatur an der Grotte. "Ich weiß nicht ob, das Wasser wirklich heilt, aber der Glaube kann ja bekanntlich Berge versetzen", sagt ein älterer Mann nachdenklich.

"Unsere Kranken kommen vor allem um der Atmosphäre willen", glaubt Pries. Es sei gut zu sehen, wie sie in Lourdes aufblühten. Besonders der Besuch des Militärbischofs Walter Mixa, der mit jedem einzelnen spricht und die Kranken segnet, löst Begeisterung aus. "Einige sind so aufgeregt, dass sie immer wieder in Tränen ausbrechen", erzählt die Begleiterin lächelnd.

Großplastik am Eingang des Heiligen Bezirkes: "Maria, Heil der Kranken"
Von Tränen weit entfernt ist Andreas Reiter: er strahlt übers ganze Gesicht. Im Alter von 22 hatte er einen schweren Fahrradunfall, als er das Deutsche Sportabzeichen für einen Feldwebellehrgang ablegen wollte. Der Unfall veränderte sein Leben und das seiner Familie grundlegend. Bis heute sitzt der mittlerweile 37-jährige im Rollstuhl und ist vollständig auf die Hilfe anderer angewiesen. Eine Aufgabe, um die sich die Pfleger der Soldatenwallfahrt jedes Mal reißen, wie seine Mutter Ursula Reiter stolz erzählt. Denn Andi ist immer gut gelaunt und steckt mit seiner Begeisterung die Menschen an. Zum zehnten Mal ist er nun in Lourdes dabei, denn wie seine Mutter sagt, "die Soldatenwallfahrt ist für ihn der Höhepunkt des Jahres."

Stabsbotsmann Peter Sutter begleitet die Pilgergruppe der Kranken schon lange Zeit. Seit er im Ruhestand ist, fährt er ehrenamtlich mit. 13 Jahre kämpfte er mit seiner Frau gegen deren Krebserkrankung, bis sie im vergangenen Jahr starb. "Die Soldatenwallfahrt hat ihr in all den Jahren Kraft gegeben, weiter zu machen", sagt Sutter. Für ihn selbst seien die Reise und die Gespräche mit den Menschen in Lourdes nun eine Hilfe, um ihren Tod zu verarbeiten. Deshalb will im nächsten Jahr wieder dabei sein.

Auch Katharina Friese aus Hamburg kommt immer wieder. Seit ihrer Geburt ist die Masseurin blind. Das Abenteuer Lourdes erlebt sie daher akustisch. Sie spüre die Anwesenheit Gottes hier besonders durch die Gesänge und die vielen Sprachen, sagt sie. "Ich finde es toll, wenn neben mir jemand das Vater Unser mit afrikanischem Akzent spricht." Für sie selbst war ihre erste Soldatenwallfahrt vor vielen Jahren eine Offenbarung. "Ich habe Musik schon immer geliebt, und damals habe ich endlich angefangen zu singen", erzählt sie. Und sie tut es noch: am liebsten für Bischof Mixa, der die kleine Frau mit der großen Stimme zärtlich "meine Nachtigall" nennt.

Text: KNA-Mitarbeiterin Janina Müller

Fotos: gcjm

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