"Mein Leben als Kindersoldatin"

Ehemalige Kindersoldatin China Keitetsi zum Bundeswehreinsatz im Kongo

Frau China Keitetsi überreicht Dr. Thomas Elßner einen offenen Brief an die Bundeswehrsoldaten zum Thema Kindersoldaten.
Saarbrücken, 26.05.2006. Auf dem Katholikentag in Saarbrücken kam ein Gespräch mit Frau China Keitetsi, einer ehemaligen Kindersoldatin aus Uganda, zustande. Dieses Gespräch war von Pastoralreferent Dr. Thomas Elßner (Dienststelle Katholischer Standortpfarrer Koblenz IV) vorbereitet worden und hatte den bevorstehenden Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Kongo und die Sorge deutscher Soldaten, dort auf Kindersoldaten zu treffen, zum Inhalt. Auch Pater Josef Gerner MCCJ von den Comboni-Missionaren, der sich in Uganda um Kindersoldaten kümmert, nahm an dem Gespräch teil. Ergebnis ist der beigefügte offene Brief von Frau Keitetsi an die Bundeswehrsoldaten.

Frau Keitetsi ist 1976 in Uganda geboren. Mit acht Jahren flieht sie aus dem Elternhaus, gerät dabei in ein Rekrutierungslager der ugandischen Widerstandsarmee und wird Kindersoldatin. 1999 gelingt es ihr als Neunzehnjährige aus Uganda zu fliehen, und sie gelangt u.a. mit Hilfe der Vereinten Nationen im selben Jahr nach Dänemark, wo sie noch heute einen Wohnsitz hat.

Sie ist die erste Kindersoldatin, die ihre Erlebnisse in einem zum Bestseller gewordenen Buch festgehalten hat: "Sie nahmen mir die Mutter und gaben mir ein Gewehr. Mein Leben als Kindersoldatin", Ullstein-Verlag, München, 3. Auflage 2002 (ISBN 3-550-07556-1). Heute widmet sie sich der Problematik der Kindersoldaten, um so auf diese ganz besonders schlimme Art der Ausbeutung von Kindern weltweit aufmerksam zu machen. Sie hielt dazu bereits Vorträge vor dem Deutschen Bundestag, der Unesco und der UNO.

Frau Keitetsis Brief

Sehr geehrte Soldaten der Bundeswehr,

als ich die Nachricht vom Einsatz der deutschen Bundeswehrsoldaten in der Demokratischen Republik Kongo hörte, sprang ich vor Freude in die Luft und jubelte. Wenn Sie meine Geschichte kennen, werden Sie verstehen, warum mich die Botschaft so erfreut.

Ich heiße China Keitetsi, musste zehn Jahre als Kindersoldatin in Uganda kämpfen, konnte fliehen und fand in Dänemark Asyl. Ich war ein achtjähriges Mädchen, als für mich der Krieg begann. Eine AK 47 war für mich leicht zu tragen und kinderleicht zu bedienen. Meine Geschichte habe ich mir in dem Buch „Sie nahmen mir die Mutter und gaben mir ein Gewehr“ von der Seele geschrieben. Ich bin häufig in Deutschland, weil ich hier von mehreren Organisationen unterstützt werde.

Im Rahmen der "Aktion Volltreffer", einer Kampagne der Hilfswerke missio, Adveniat und dem Evangelisch-Lutherischen Missionswerk, setzen wir uns für den Schutz von Kindern vor Krieg und Zwangsrekrutierung in Afrika, Asien und Lateinamerika ein. Ich schreibe Ihnen, weil ich Ihnen im Voraus danken will für Ihren Einsatz in der Demokratischen Republik Kongo. Für die Zivilisten ist dies eine frohe Botschaft. Denn sie haben Hoffnung auf Schutz, Frieden und Freiheit. Für die Kriegstreiber ist Ihr Friedenseinsatz hingegen eine Drohbotschaft: Sie wissen, dass die internationale Friedenstruppe der Gewalt Einhalt gebieten wird.

Der Einsatz Ihrer Truppe ist ein so wichtiges Signal für Frieden und Demokratie in Afrika. Aber wie sollen sich Bundeswehrsoldaten verhalten, wenn sie in einen direkten Konflikt mit Kindersoldaten geraten? Müssen Sie dann um des Friedens Willen auf Minderjährige schießen? Diese Frage habe ich in den letzten Wochen oft gehört. Natürlich ist es eine schwierige Frage, die ich Ihnen aus meiner Sicht als
ehemalige Kindersoldatin beantworten möchte. Zu jener Zeit als Kindersoldatin wusste ich nicht viel über die Welt, aber der professionelle Ruf der westlichen Soldaten war bis zu uns gedrungen, und wir Kindersoldaten hatten und haben Respekt vor ihnen. Wir selber waren eine zusammengewürfelte Truppe aus entführten Kindern, die von skrupellosen Kriegstreibern in die Schlacht geschickt wurden. Es gab keine richtige militärische Ausbildung, keine Strategie.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie auf Kindersoldaten treffen ist gering. Und wenn es dazu kommen sollte, werden nicht Sie diejenigen sein, die Kindersoldaten angreifen werden. Sollten Kindersoldaten in die Offensive geschickt werden und ihr Leben bedrohen, so werden Sie wie jeder vernünftige Soldat handeln: Sie werden zuerst versuchen die Angreifer abzuschrecken und notfalls werden sie sich verteidigen.

Wenn Sie nach den demokratischen Wahlen nicht den Frieden sichern, droht die Fortführung des Krieges und Leids. Dann werden die Kindersoldaten in das sogenanntes Feindesland geschickt und in den Dörfern Zivilisten angreifen. Dies muss verhindert werden.

Mit Ihrer Friedensmission sind Sie nicht alleine. Die Projektpartner der Aktion Volltreffer gegen Kindersoldaten setzen sich bereits seit Jahren für Frieden und Versöhnung im Kongo ein. Es sind kirchliche Mitarbeiter, die dort als Seelsorger traumatisierte Kindersoldaten betreuen. Sie rufen die Menschen in der Demokratischen Republik Kongo auf, den Krieg zu beenden und eine friedliche Gesellschaft aufzubauen.

Wir brauchen Ihren Schutz und Ihre Hilfe. Sehen Sie mich als Kindersoldatin nicht als Monster an, sehen sie mich als Kind, als ein Mitglied einer großen Familie. Helfen Sie uns. Denken Sie einfach an mich. An China Keitetsi, die ihre Tochter sein könnte und die aus den Händen der Entführer und Kriegstreiber befreit werden muss. Ich habe es geschafft und konnte fliehen. Hingegen haben die Menschen in der
Demokratischen Republik Kongo nur durch Ihren Einsatz eine Chance.

Möge Gott Ihnen viele Schutzengel auf den Weg für ihre Friedensmission in der Demokratischen Republik Kongo geben.

Ihre zutiefst dankbare
China Keitetsi

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