Neue Kriege und Ethik

Teilnehmer des Lebenskundlichen Seminars "Neue Kriege und Ethik" in Untermarchtal
Untermarchtal, 05.12.2006. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit militärischer Einsätze brennt Soldaten - zumal solchen mit Auslandserfahrung - unter den Nägeln. 30 Teilnehmer aus dem Kommando Operative Führung Eingreifkräfte aus Ulm versammelten sich vom 30. November bis zum 1. Dezember 2006 zu einem Lebenskundlichen Seminar "Neue Kriege & Ethik" im Mutterhaus der Vinzentinerinnen in Untermarchtal. Sind Militäreinsätze moralisch legitimiert? Auch der Primat der Politik, der für Streitkräfte in der Demokratie gilt, auch ein politisches Mandat des Bundestags sowie Befehl und Gehorsam können die Beantwortung dieser Frage nicht ersetzen. Soldaten sind im wesentlichen Kern ihres Berufs mit Töten und Sterben konfrontiert. Wer sich zuvor nicht mit den ethischen Grundlagen beschäftigt hat, kann nach dem hautnahen Erleben von Verwundung und Tod nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

Da im täglichen Dienstbetrieb einer Höheren Kommandobehörde der übliche Lebenskundliche Unterricht kaum unterzubringen ist, verfolgen der katholische Militärdekan für Baden-Württemberg Thomas Stolz und sein evangelische Kollege Christian Renovanz im Ulmer Stab das Konzept, interessierte Soldaten in zweitägigen Seminaren in klösterlicher Umgebung Gelegenheit zum intensiven Austausch über ethische und religiöse Themen zu geben. Ob Vorträge, Diskussionen, abendliche Gespräche an der Kellerbar oder Gebet in der Morgenandacht: Die Angebote werden genutzt - selbst von Soldaten, die keiner Konfession angehören. Dass dies im Geist praktizierter Ökumene geschieht, entspricht der guten Tradition der Militärseelsorge in der Bundeswehr. Der Stellvertretende Befehlshaber und Chef des Stabes, Generalmajor Rainer Fiegle, sowie der Stellvertretende Chef des Stabes Unterstützung, der österreichischen Brigadier Anton Oschep, unterstrichen mit ihrer Anwesenheit, welche Bedeutung die Führung des Kommandos Operative Führung Eingreifkräfte einer solchen Veranstaltung beimisst.

"Ein Mensch ist für die Folgen seiner Handlungen verantwortlich", betonte Privatdozent Dr. Heinz-Gerhard Justenhoven, der Direktor des Hamburger Instituts für Theologie und Frieden (ITHF). Der Theologe zeigte auf, wie wichtig ethische Grundlagen sind: "Doch wenn die Überzeugung von der Begründbarkeit moralischer Normen nicht mehr besteht, dann wird auch die Norm nicht mehr befolgt." Justenhoven verwies auf den Kategorischen Imperativ des Philosophen Immanuel Kant, wonach das praktisch gut ist, was für jeden einsehbar ist: "Der rein vernünftige Wille kann nur das Gute wählen." So gehört zum ethischen Grundkonsens, keine direkte Gewalt gegen diejenigen auszuüben, von denen keine Gewalt ausgeht. Dazu gehören als Prämissen die Unterscheidbarkeit von Soldaten und Zivilisten, Kombattanten und Nichtkombattanten, die Trennung von Kampfgebiet und Hinterland sowie die Bereitschaft der Konfliktparteien, diese Grenzen zu akzeptieren. Die neuen Kriege der Gegenwart sind jedoch von asymmetrischer Bedrohung geprägt, die diese Voraussetzungen bewusst und vorsätzlich untergraben.

"Wie human kann man vor diesem Hintergrund Kriege führen?", fragte Oberst a.D. Ludwig Jacob und gab eine Einführung in das Kriegsvölkerrecht. Der Referent doziert an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg und am ITHF. Rechtfertigt der Kampf gegen den internationalen Terrorismus die Missachtung völkerrechtlicher Regelungen? Die Frage stellen, heißt sie zu verneinen - daran ließ Jacob nicht den geringsten Zweifel: "Die Bundeswehr muss das humanitäre Völkerrecht uneingeschränkt achten." Das ist leichter gesagt als getan. Im Auslandseinsatz werden Bundeswehrsoldaten mit Grenzsituationen konfrontiert, die einen ethischen Kompass erfordern. "Ethik darf nicht im Theoretischen verharren, sondern muss sich im konkreten Handeln niederschlagen", erklärte Jacob: "Der Mensch mit seiner unveräußerbaren Menschenwürde und seinen Menschenrechten ist dabei in den Mittelpunkt zu stellen."

In den Diskussionen machten altgediente Soldaten deutlich, dass Auslandseinsätze nur dann erfolgreich sein können, wenn die legitimen Interessen der einheimischen Bevölkerung respektiert werden. Zwar werden mit Militäreinsätzen auch eigene nationale Interessen verfolgt, dennoch verlangt ethisches Handeln immer einen Interessenausgleich. Wer aus einer Position der Stärke Macht gegen Recht setzt und sich nicht ans Völkerrecht hält, der verliert seine Glaubwürdigkeit, insbesondere dann, wenn er vorgibt, Menschenrechte und Demokratie zu verteidigen. Doch ohne Glaubwürdigkeit ist langfristig ein Scheitern vorprogrammiert. Dozent Jacobs sieht einen einzigen Ausweg: "Wir müssen das internationale Recht weiter entwickeln und die Vereinten Nationen stärken."

Text und Foto:
Leo Mayerhöfer

zurück   oben