Erfahrungen eines heutigen Militärseelsorgers als NVA-Soldat

Christen in der Nationalen Volksarmee

Zum Schwerpunkt-Thema der November-Ausgabe von "kompass. soldat in welt und kirche"

Militärpfarrer Thomas Bohne beim unterrichten von Bundeswehr-Soldaten
Es ist jetzt gut 30 Jahre her, dass ich meinen Wehrdienst von 18 Monaten bei der damaligen Nationalen Volksarmee (NVA) geleistet habe. Am 28. April 1978 verließ ich das Kasernengelände in Eggersdorf bei Strausberg und blickte dann auf vielfältige Erfahrungen in dieser nach preußisch-russischem Vorbild aufgebauten Armee zurück.

Ich diente im damaligen NVA-Wachregiment "Hugo Eberlein", stand an Gebäuden des NVA-Stabes in Strausberg Wache, erlebte die so genannte "EK-Bewegung" (Entlassungskandidaten) und hatte die Möglichkeit, alle vier Wochen einen Pfarrer im nahe gelegenen Petershagen zu besuchen, der sein Pfarrhaus für viele katholische Soldaten zu einem Haus der Soldatenbetreuung machte. Die Adresse hatte ich damals von meinem Heimatpfarrer in Leipzig-Markkleeberg bekommen.

Das war auch die einzige Möglichkeit, seelsorgliche Begleitung in Anspruch zu nehmen, denn eine Militärseelsorge nach dem Modell der Bundeswehr gab es in der DDR-Armee nicht. Auch gab es selten die Möglichkeit die Kaserne zu verlassen: in der Regel alle vier Wochen Ausgang für sechs Stunden und im halben Jahr einen Wochenendurlaub von Freitag bis Montag sowie einen so genannten Erholungsurlaub von Freitag bis Donnerstag.

Belastend war für viele DDR-Soldaten die bereits erwähnte EK-Bewegung. Diese wirkte sich meist nach Dienst innerhalb der Gruppenstuben aus. Drei Soldaten von einem jeden Diensthalbjahr waren in der Regel in jeder Stube untergebracht, dabei galten Soldaten des ersten Diensthalbjahres als "Spritzer", die des zweiten Diensthalbjahres als "Zwipi's" ("Zwischenpisser") und die des dritten Diensthalbjahres als "EK's" oder "E's" (Entlassungskandidaten). Das Leben in dieser Struktur lief oft wie in einer Sklavenhalterordnung ab: Soldaten des ersten Diensthalbjahres mussten alle Arbeiten machen, auch entwürdigende, die Soldaten des zweiten Halbjahres wiesen Arbeiten an, die Soldaten des dritten Halbjahres "sonnten" sich. Die Vorgesetzten schritten gegen diese Struktur nicht ein; aus heutiger Sicht hat die DDR mit dieser Struktur die Armee auch bewusst geführt - nach dem Prinzip: divide et impera (teile und herrsche). Ich selber habe diese Zeit relativ unbeschadet überstanden, Klassenkameraden von mir haben teilweise darunter sehr gelitten.

Es gab in meiner NVA-Zeit auch sehr schöne Erlebnisse, beispielsweise als wir in der Kompanie ein Pop-Festival mit Beatles-Liedern organisierten, und es gab auch viel Zeit ein gutes Buch zu lesen. Vorgesetzte und Soldaten wussten, dass ich christlich eingestellt war, das brachte mir aber keine erkennbaren Nachteile. Zum Gottesdienst ging ich nur immer im Rahmen meines Ausgangs zum Pfarrer in Petershagen. Noch heute bin ich diesem Pfarrer Johannes Aßmann sehr dankbar, der damals schon 65 Jahre alt war und mit mir bei jedem Besuch bis 23.30 Uhr zusammenblieb. Danach beeilte ich mich, die letzte S-Bahn nicht zu verpassen und pünktlich kurz vor Mitternacht wieder in der Kaserne zu sein.

Militärpfarrer Thomas Bohne,
Leiter des Katholischen Militärpfarramtes Leipzig

Fotos: Jörg Volpers

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