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Die Moral der Truppe

Ethische Aspekte der Berufszufriedenheit von Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr

Erholung darf nicht zu kurz kommen
"Mit schlechten Gesetzen und guten Beamten lässt sich immer noch regieren. Bei schlechten Beamten helfen auch die besten Gesetze nichts", soll Otto von Bismarck einst bemerkt haben. Für die Bundeswehr könnte diese Erkenntnis bald zum bitteren Alltag werden, wenn sie, wie seitens des Verteidigungsministeriums prognostiziert, den qualifizierten Nachwuchs nicht in dem benötigten Umfang gewinnen kann. Fraglich bleibt dann, wie die Bundeswehr den ihr gestellten Aufgaben gerecht werden soll, wenn auf weniger gut qualifizierten Nachwuchs zurückgegriffen werden muss. Dabei sind es aber nicht nur die körperlichen, handwerklichen und kognitiven Fähigkeiten und Qualitäten des Nachwuchses, die zu möglichen Problemen führen können, sondern auch die Frage nach der moralischen Legitimation der Bundeswehr selbst und die Fähigkeit der Führungskräfte, diesen moralischen Auftrag zu vermitteln.

Zur Bedeutung von Legitimation und Öffentlichkeit

Problematisch an der derzeitigen Lage der Bundeswehr scheint aus ethischer Perspektive mindestens zweierlei: Zum einen wird der moralische Auftrag der Bundeswehr nach außen zunehmend in Frage gestellt, zum anderen wirkt sich dies intern auf ein fehlendes Selbstverständnis der Soldatinnen und Soldaten aus.

Bis zum Zusammenbruch des Warschauer Paktes schien der Auftrag der Bundeswehr innerhalb Deutschlands und als Bündnispartner der Nato klar umrissen. Auftrag der Bundeswehr als einer Armee von Wehrpflichtigen war die Landesverteidigung. Trotz Friedensbewegung und der mitunter durchaus kritischen Einstellung der Wehrdienstverweigerer zum Dienst an der Waffe war dieser Auftrag der Bundeswehr weitgehend moralisch legitimiert. Mit den zahlreichen neuen Aufgaben der Bundeswehr scheint diese Legitimation jedoch zunehmend in Frage gestellt. Weder herrscht in der Öffentlichkeit Einigkeit über die Notwendigkeit der Auslandseinsätze, an denen sich die Bundeswehr derzeit beteiligt, noch gibt es ein klares und eindeutiges politisches Bekenntnis zu einem neuen Aufgabenspektrum der Bundeswehr, das dem einzelnen Bundeswehrangehörigen die zu erwartenden Aufgaben klar vermitteln würde.

Die Folge hiervon ist, dass intern das Rollenverständnis der Soldatinnen und Soldaten ins Wanken gerät. Wenn dem Einzelnen die Zielsetzung und die Legitimität der eigenen Aufgabe nicht mehr klar vermittelt werden oder vermittelt werden können, wenn das eigene Handeln einer allgemeinen öffentlichen Zustimmung ermangelt, letztlich aber nicht mehr in die Entscheidungshoheit und Handlungskompetenz des Einzelnen gestellt ist, mündet dies in eine kognitive Dissonanz zwischen der eigenen Einstellung und der erfahrenen Wirklichkeit. Trotz einer positiven Einstellung zur Bundeswehr führt dies letztlich zu Zweifeln an der Richtigkeit der eigenen Entscheidung für den Wehrdienst. Dies mag erklären, warum der aktuellen Studie des Bundeswehrverbandes zufolge nahezu 50% der befragten Berufssoldatinnen und Berufssoldaten und mehr als ein Drittel der Soldatinnen und Soldaten auf Zeit sich kein zweites Mal mehr für einen Dienst in der Bundeswehr entscheiden würden.

Die Rolle der Vorgesetzten

Gerade angesichts der problematischen äußeren Rahmenbedingungen kommt im direkten Verhältnis zu den einzelnen Soldatinnen und Soldaten dem Vorbild der Vorgesetzten eine besondere Bedeutung zu. Gemeint sind damit nicht die durch hierarchische Befehlsstrukturen klar definierte Rolle der Vorgesetzten und deren formale Führungskompetenzen, sondern deren moralische Integrität und ihr klares Wertebekenntnis. Je schwächer die formale Rollendefinition und die von außen zugeschriebene Akzeptanz, desto bedeutsamer werden die informellen Strukturen für das Ausmaß der Identifikation des Einzelnen mit seiner Rolle und seinen Aufgaben. Diese, innerhalb von Unternehmen als Unternehmenskultur bezeichnete gemeinsame Grundüberzeugung für die Richtigkeit des eigenen Handelns hängt wesentlich von der Vermittlung zentraler Werte durch direkte Vorgesetzte und Führung ab.

Damit aber stellt sich zum einen die Frage nach den zentralen zu vermittelnden Werten und Normen innerhalb der Bundeswehr. Zum anderen besteht das Problem, dass Einstellungen sich nicht befehlen lassen.

Die Aufgaben der Soldaten sind vielfältig
Gerade bei der zunehmenden Übernahme komplexer Aufgaben in interkulturellen Kontexten ist neben einem erhöhten Maß an kultureller Sensibilität auch eine eigene moralische Orientierung unabdingbar. Dies nicht zuletzt deshalb, da die Angehörigen der Bundeswehr im Ausland als Repräsentanten westlicher Werte und Normen angesehen werden, deren Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit an den Handlungen der Soldatinnen und Soldaten gemessen werden. Eine Normen- und Wertdebatte innerhalb der Bundeswehr scheint angesichts der zunehmenden Vielzahl neuer Aufgaben in unterschiedlichsten politischen und kulturellen Kontexten daher längst überfällig. Welche Auswirkungen eine unklare Wertebasis haben kann, haben die Geschehnisse im Abu Ghraib-Gefängnis mehr als deutlich gemacht. Neben dem formalen Ordnungsrahmen muss daher auch eine Kultur geschaffen und aufrechterhalten werden, die moralisches Handeln befördert und ermöglicht. Dies umso mehr, als sich die Konfrontation mit Gewalt und der damit verbundene psychologische Druck auf das individuelle Handeln auswirken und dabei Hemmschwellen möglicherweise abbauen kann.

Wenn sich Führungskräfte selbst nicht den Normen, Werten und Regeln entsprechend verhalten, so ist auch für viele Untergebene nicht einsichtig, weshalb ihr eigenes, werte- und normenwidriges Verhalten falsch sein sollten. Selbst wenn dies im Kontext der Bundeswehr merkwürdig klingen mag, kommt den Offizieren damit auch die Funktion von "moral leaders" zu. Zum einen sind sie direkt für die Moral der ihnen anvertrauten Soldaten verantwortlich. Zum anderen aber kann moralisches Verhalten nur dann befördert werden, wenn Werte und Normen nicht nur vermittelt, sondern auch aktiv vorgelebt werden. Bedingung hierfür ist, dass Werte und Normen nicht nur eingesehen werden, sondern zugleich eine intrinsische Motivation besteht, das eigene Handeln auch an diesen auszurichten. Diese Bereitschaft zum moralischen Handeln hängt von individuellen Faktoren wie Fähigkeiten und Kenntnissen des einzelnen sowie seiner individuellen moralischen Einstellung ab. Diese kann mit einem geeigneten Ordnungsrahmen gefördert werden, doch ist dies kein Ersatz für eine individuelle moralische Integrität. Regelkonformes Verhalten qua Befehl kann moralisches Verhalten aus Einsicht nicht ersetzen. Aufgabe der Führungskräfte im Sinne einer "moral leadership" ist es, die moralische Sensibilität der Soldatinnen und Soldaten und deren eigenständige moralische Urteilsfähigkeit zu befördern.

Fachwissen und Technik bestimmen den Berufsalltag
Die Bundeswehr als Arbeitgeber

Wenn die Bundeswehr ihren neuen Aufgaben als globale Einsatztruppe gerecht werden soll, hat dies auch Konsequenzen für das berufliche Anforderungsprofil, das an die künftigen Soldatinnen und Soldaten gestellt werden muss. Entsprechend den zunehmend komplexeren Aufgaben und den kürzer werdenden Vorbereitungszeiten auf diese Aufgaben wird sich das Berufsbild verändern. Zu den neuen Erwartungen an die Soldatinnen und Soldaten im internationalen Einsatz gehören neben formalen Qualifikationen wie Sprachkompetenz, technisches Know How und körperliche Fitness zunehmend auch informelle Faktoren wie soziale Kompetenz, Teamfähigkeit, Integrität und Anpassungsfähigkeit.
Um den zur Bewältigung dieser Aufgaben qualifizierten Nachwuchs rekrutieren zu können, scheint es jedoch dringend notwendig, die Reputation der Bundeswehr als Arbeitgeber zu verbessern. Wie die aktuelle Studie des Deutschen Bundeswehrverbandes aufzeigt, ist es dabei nicht nur die mangelnde monetäre wie materielle Ausstattung der Bundeswehr, sondern insbesondere die hohe Arbeitsunzufriedenheit der Truppenangehörigen, die das Image der Bundeswehr als Arbeitgeber schädigt.

Dabei hängen die Arbeitszufriedenheit und das Engagement der Soldatinnen und Soldaten vermutlich ebenso wie die Zufriedenheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in wirtschaftlichen Unternehmen nicht ausschließlich von materiellen Bedingungen ab. Bereits Mitte der 1920er Jahre wies Elton Mayo in seinem berühmt gewordenen "Howthorne Experiment" die Bedeutung informeller Einflussfaktoren auf die Leistungsbereitschaft und Motivation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei General Electrics nach. Im Verlauf dieses Experiments zeigte sich, dass zwischenmenschliche Beziehungen einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die Arbeitsleistung von Beschäftigten ausübten. Menschen verhalten sich nicht ausschließlich als durch äußere Anreize gesteuerte "Maschinen", sondern agieren und reagieren innerhalb einer sozialen Gruppe, mit der sie sich letztlich identifizieren. Die wesentliche Einsicht der von Elton Mayo begründeten "Human-Relationes-Bewegung" bestand denn auch in der Erkenntnis, dass es die Aufgabe von Organisationen sein müsse, nicht nur "Produkte" zu produzieren, sondern auch Zufriedenheit unter den Organisationsmitgliedern zu erzeugen. Motivierend, so fand Frederick Herzberg, ein späterer Vertreter der Human Relations Bewegung heraus, seien dabei vor allem jene Faktoren, die sich auf die Arbeitsinhalte selbst beziehen. Derartige intrinsische Faktoren sind die "Arbeit selbst", "personelles Wachstum", "Leistungs- und Erfolgserlebnisse", "Verantwortung", "Aufstieg" und "Anerkennung für geleistete Arbeit". Externe Faktoren wie "Gehalt", "Status" oder "Beziehung zu Vorgesetzten" wirken nicht motivierend sondern im Sinne so genannter "dissatisfiers". Sie werden vom einzelnen Mitarbeiter vorausgesetzt; werden sie nicht im ausreichenden Maße erfüllt, hat dies jedoch demotivierende Folgen.

Familie und Beruf vereinbaren: Ein Herausforderung für viele
Ausblick

Problematisch an der derzeitigen Selbsteinschätzung der Zufriedenheit innerhalb der Bundeswehr durch die Soldatinnen und Soldaten, wie sie in der aktuellen Studie des Bundeswehrverbandes zum Ausdruck kommt, scheint in erster Linie, dass die Bedürfnisse nach Anerkennung, motivierenden Erfolgserlebnissen und Identifikation mit den eigenen Aufgaben innerhalb der Bundeswehr offensichtlich nicht hinreichend erfüllt sind. In einem Umfeld, in welchem Soldatinnen und Soldaten ihre eigene Aufgabe unklar bleibt, diese selbst durch den Auftraggeber, die Politik und letztlich die Gesellschaft, nur hinreichend gewürdigt wird, in dem berufliche wie persönliche Entwicklungsmöglichkeiten als kritisch angesehen werden, wird sich eine intrinsische Motivation nur schwer erzeugen lassen. Hierzu bedarf es grundlegenderer Reformen als diese allein mit den Mitteln der Bundeswehr durchgeführt werden könnten.

Prof. Dr. phil. Dr. rer. pol. habil. Michael Aßländer ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der Universität Kassel. Er ist Vorstandsmitglied im Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik und Gründungsvorstand des Österreichischen Netzwerks Wirtschaftsethik.

Markus Schenkel (geb. 1976) studierte in Freiburg und Madrid Soziologie, Wissenschaftliche Politik und Betriebswirtschaftslehre. Seit Dezember 2005 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der Universität Kassel.