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Seelsorge in der Bundeswehr

Staat und Kirche in gemeinsamer Verantwortung

„Doch helfen juristische Gutachten darüber, wie die maßgeblichen Rechtsgrundlagen ausgelegt werden können und ob bestimmte Fragen von der staatlichen oder von der kirchlichen Seite zu entscheiden sind, letztlich nicht weiter.“
Rechtlich gesehen ist das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen durchaus kompliziert. Dies zeigt sich schon daran, dass das Grundgesetz zu diesem Thema keine eigenständigen Vorschriften enthält, sondern auf Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung verweist. Demnach kennt die Verfassung keine Staatskirche. Doch garantiert der Staat Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit. Dazu gehören die ungestörte Religionsausübung auch in den Streitkräften und ein Anspruch der Soldatinnen und Soldaten auf Seelsorge. Um dies zu gewährleisten, gibt es die Militärseelsorge - von den Kirchen geleistet, vom Staat gewünscht und unterstützt. Geregelt ist die Militärseelsorge in einer ganzen Reihe von Vorschriften, in staatlichen wie in kirchlichen Bestimmungen, aber auch in Verträgen und sonstigen Abmachungen zwischen den Partnern. Diese Grundlagen verstehen die Seelsorge in den Streitkräften als gemeinsame Angelegenheit von Kirche und Staat. Katholische und Evangelische Kirche erfüllen im Truppenalltag sowohl eine staatsrechtliche Verpflichtung als auch einen kirchlichen Auftrag. Kernelement ist die Unabhängigkeit der kirchlichen Aufgabenwahrnehmung. Militärgeistliche wie Pastoralreferentinnen und -referenten sind bei der Erfüllung ihres geistlichen Auftrages frei von staatlicher Einflussnahme. Sie sind nicht in die militärische Struktur eingegliedert, sondern militärischen Dienststellen nur zugeordnet. Auf der anderen Seite sorgt der Staat für den organisatorischen Aufbau der Militärseelsorge. Er trägt auch die entstehenden Kosten. Kontinuierliche An-passungen der Militärseelsorge an die Entwicklung der Bundeswehr sind die Folge. Die Transformation der Streitkräfte kann, ebenso wie die veränderte Aufgabenstellung - etwa durch vermehrte Einsätze im Ausland - nicht ohne Auswirkungen auf die Militärseelsorge bleiben.

Gemeinsames Ziel von Kirche und Staat ist es, Angehörigen der Streitkräfte in ihrer speziellen Lebens- und Arbeitssituation - am Stationierungsort, im Manöver, besonders aber im Auslandseinsatz - eine wirkungsvolle Seelsorge anzubieten. Naturgemäß ergeben sich immer wieder Diskussionen zwischen kirchlicher und staatlicher Seite darüber, wie dieses Ziel am besten zu erreichen ist. Als Stichworte seien nur die räumliche Verteilung der Dienststellen der Militärseelsorge, die Dauer der Amtszeit von Militärgeistlichen, die Altersgrenze für ihre Einstellung oder der Umfang des Einsatzes von Pastoralreferenten erwähnt. Doch helfen juristische Gutachten darüber, wie die maßgeblichen Rechts-grundlagen ausgelegt werden können und ob bestimmte Fragen von der staatlichen oder von der kirchlichen Seite zu entscheiden sind, letztlich nicht weiter. Um eine effektive Militärseelsorge zu gewährleisten, ist der Staat auf die Kirche, die Kirche aber auch auf den Staat angewiesen. Nur ein Zusammenwirken mit Verständnis für die Sichtweise und die Rahmenbedingungen des Partners führt zum gemeinsamen Erfolg im Interesse der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Die Militärseelsorge blickt nun schon auf fünf Jahrzehnte ihres Bestehens zurück. Es sind über fünfzig Jahre der Bewährung, die davon zeugen, dass Kirchen und Staat ihr Bekenntnis zur gemeinsamen Verantwortung für die Seelsorge in der Bundeswehr ernst genommen haben. Mit der Militärseelsorge ist es gelungen, eine dem Selbstverständnis von Staat und Kirche adäquate Form der Zusammenarbeit zu finden. Hieraus ist eine von gegenseitiger Anerkennung und Respekt getragene Partnerschaft erwachsen. Als zuverlässige Begleiter unserer Soldatinnen und Soldaten, gerade in den internationalen Friedenseinsätzen, sind die Militärgeistlichen nicht mehr weg zu denken. Ihre bewährte seelsorgerische Betreuung bleibt unverzichtbar für die Armee in der Demokratie und das Selbstverständnis des Staatsbürgers in Uniform.

Ministerialdirektor Dr. Dieter Weingärtner, BMVg, Abteilungsleiter Recht