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Die Besonderheiten des soldatischen Dienstes erfordern eine ausgeprägte ethische Kompetenz

Brigadegeneral Heinrich Wilhelm Steiner, Stabsabteilungsleiter im Führungsstab der Streitkräfte I
Kompass: Die Grundsätze der Inneren Führung für und in deutschen Streitkräften bilden eine wichtige Richtschnur für Erziehung, Führung und Ausbildung. Mit Blick auf die Herausforderungen, die sich den Streitkräften und den Soldatinnen und Soldaten stellen – bedarf es nicht auch eines ethischen Kompasses?

Brigadegeneral Steiner: Bisher haben sich fast 250.000 Soldatinnen, Soldaten und zivile Angehörige der Bundeswehr in den Krisengebieten der Welt engagiert. Zurzeit befinden sich rund 7.000 Bundeswehrangehörige auf drei Kontinenten in zehn Auslandseinsätzen. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, den Frieden zu erhalten, ein sicheres Umfeld zu schaffen und so den Wiederaufbau des Gemeinwesens durch die Bevölkerung vor Ort zu ermöglichen.

Aufgabe verantwortlicher Politik ist es, den Bürgerinnen und Bürgern einschließlich der Soldatinnen und Soldaten einen Einsatz der Bundeswehr politisch, aber auch unter Hinzuziehung ethischer Kategorien zu begründen. Dementsprechend hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, im Rahmen der „Politikergespräche“ der Gemeinschaft Katholischer Soldaten (GKS) bereits am 9. November 2006 in einer von mehreren Thesen betont, dass man als Soldat einen ethischen Kompass brauche. Die Konzeption der Inneren Führung stellt mit ihren Zielen und Grundsätzen auch einen „ethischen Kompass” dar. Das aktive Eintreten für diese Ziele und Grundsätze entspricht einem ethisch gefestigten und ehrenhaften Verhalten, das die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auszeichnet.

Denn die Besonderheiten des soldatischen Dienstes erfordern eine ausgeprägte ethische Kompetenz. Richtschnur dafür ist ein soldatischer Wertekanon. Soldatinnen und Soldaten sind überzeugt von den Werten und Normen des Grundgesetzes. In diesem Sinne sind sie tapfer, treu und gewissenhaft, kameradschaftlich und fürsorglich, diszipliniert, fachlich befähigt und lernwillig, wahrhaftig gegenüber sich und anderen, gerecht, tolerant und aufgeschlossen gegenüber anderen Kulturen und moralisch urteilsfähig, wie es in der Zentralen Dienstvorschrift 10/1 „Innere Führung” heißt.

Einstieg in den Lebenskundlichen Unterricht: Auf einer Landkarte mit Themen des Lebens markieren Soldaten mit Schiffen, wo sie sich derzeit gefühlsmäßig befinden.
Kompass: Bislang ist der Lebenskundliche Unterricht (LKU) der beiden Kirchen über die Militärseelsorge ein fester Bestandteil in Führung, Erziehung und Ausbildung. Bleibt es dabei, oder wird man sich auf Veränderungen einstellen müssen?

Brigadegeneral Steiner: Es bleibt dabei, dass der LKU ein fester Bestandteil in Führung, Erziehung und Ausbildung ist. Allerdings sind zwei wesentliche Änderungen zu erwarten:
Zum einen wird der LKU eine berufsethische Qualifizierungsmaßnahme werden. Er ist kein Religionsunterricht und auch keine Form der Religionsausübung und somit verpflichtend für alle Soldaten und Soldatinnen. Denn es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Soldatinnen und Soldaten in allen Gestaltungsfeldern der Inneren Führung die leitenden Werte unseres Staates – wie zum Beispiel Menschenwürde, Freiheit und Gerechtigkeit – verinnerlichen und daraus ethische Kompetenz entwickeln. Unter ethischer Kompetenz ist die Befähigung der Soldatinnen und Soldaten zu verstehen, sich selbstbestimmt an den Werten und Normen des Grundgesetzes und den daraus resultierenden Werten und Normen des soldatischen Handelns zu orientieren und sie zur Richtschnur des gesamten Verhaltens als Staatsbürger in Uniform zu machen. Der LKU leistet bei der Entwicklung berufsethischer Kompetenz eine unverzichtbare Ergänzung. In diesem Verständnis wirkt er auf die Persönlichkeitsbildung in den Bereichen „Individuum und Gesellschaft“, „Persönliche Lebensführung und soldatischer Dienst“ sowie „Moralische und psychische Herausforderungen des soldatischen Dienstes“.

Zum anderen wird der LKU zwar auch in der Zukunft in der Regel durch Militärseelsorger und Militärseelsorgerinnen zu erteilen sein. Aber im Bedarfsfall können auch andere berufsethisch besonders qualifizierte Lehrkräfte, die über eine entsprechende akademische Ausbildung verfügen und die die Gewähr für die Qualität des Unterrichts bieten, für die Durchführung des LKU herangezogen werden.

Wir wollen niemanden alleine lassen, wenn es ihr oder ihm am geistigen und ethischen Rüstzeug fehlen sollte. Der Wertekanon für soldatisches Handeln bildet das sittliche Grundgerüst in Ausbildung und Erziehung in den Streitkräften. Der Wertekanon zeigt neben den Freiräumen und Möglichkeiten des selbstverantwortlichen Handelns aber auch dessen Grenzen auf.

Denn auch das muss uns klar sein: Moralisches Handeln kann unmöglich wie in der „Klippschule” gelehrt und überprüft werden, es muss vielmehr durch stetiges Nachdenken, Bewerten und „Verteidigen“ des eigenen Handelns weiterentwickelt werden und an den Werten des Grundgesetzes und des soldatischen Handelns ausgerichtet sein. Insofern ist der LKU ein Ort freier und vertrauensvoller Aussprache und lebt von der engagierten Mitarbeit der Soldatinnen und Soldaten.

Kompass: Gibt es zwischenzeitlich beim Bundesminister der Verteidigung konkrete Überlegungen – und wann ist damit zu rechnen, dass neue Grundlagen geschaffen werden?

Brigadegeneral Steiner: Die derzeit gültige Zentrale Dienstvorschrift (ZDv) 66/2 „Lebenskundlicher Unterricht (Merkschrift)“ stammt aus dem November 1959. Sie soll demnächst durch die neue ZDv 10/4 „Lebenskundlicher Unterricht“ ersetzt werden.

Der entsprechende Entwurf wurde mit dem Evangelischen Kirchenamt und dem Katholischen Militärbischofsamt abgestimmt. Zwischenzeitlich konnte auch der Abstimmungsprozess innerhalb des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) abgeschlossen werden. Allerdings wird die Einbeziehung der Beteiligungsgremien beim BMVg, die Verbändebeteiligung und die Rechtsförmigkeitsprüfung noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Die Vorschrift soll zunächst für drei Jahre zur Erprobung in Kraft gesetzt werden, um Erfahrungen mit den zuvor genannten Neuerungen zu gewinnen.

Das Interview führte
Josef König