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Die Kirche für eine gerechte Welt

von Erzbischof Dr. Ludwig Schick, Bamberg

Erzbischof Ludwig Schick, Vorsitzender der Kommission „Weltkirche“, informiert sich im Mai 2008 im Senegal über die Nahrungsmittelsituation vor Ort.
Der Auftrag der Kirche in der Welt

Besonders seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil setzt sich die katholische Kirche weltweit zusammen mit vielen evangelischen und orthodoxen Christen in verschiedenen Aktionen und Gremien für "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" ein. Seit ein paar Jahren sind auch andere Religionen in diese Initiativen eingebunden. Das "Friedensgebet von Assisi", das seit 1986 alljährlich durchgeführt wird, und die "Religionsgipfel" zu den G8-Gipfeln seien beispielhaft genannt.

Die Kirche hat durch Jesus Christus selbst den Auftrag bekommen, sein Wirken bis zu seiner Wiederkunft fortzuführen. Der Sohn Gottes kam in diese Welt, damit "die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben" (vgl. Joh 10,10) und um Gottes Reich anzukündigen, das in "Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist" besteht (Röm 14,17).

Jesus hat keinen Zweifel daran gelassen, dass das Leben in Fülle und Gottes Reich in dieser Welt immer nur anfanghaft und gebrochen erlangt werden. In Glaube, Hoffnung und Liebe kommen der einzelne Mensch und die Menschheit diesen Zielen näher. Endgültig und für immer werden die Fülle des Lebens sowie Gerechtigkeit, Friede und Freude erst verwirklicht sein, wenn der Neue Himmel und die Neue Erde von Gott selbst errichtet sind. Dieser sogenannte "eschatologische Vorbehalt" ist sehr wichtig. Denn kein einzelner Mensch und keine Menschengruppen dürfen dem Wahnsinn verfallen, sie könnten die Fülle des Lebens verwirklichen und das Paradies auf Erden herbeiführen. Solche Versuche gab es im Laufe der Geschichte; sie haben Größenwahn, Unterdrückung, Krieg und Terror hervorgebracht. Dennoch müssen jeder Christ und die Kirche alles tun, um dem Auftrag Jesu zu entsprechen.

Symbol für die Weltkirche: Projektion auf der ,,Harbour Bridge“ in Sydney
Die Kirche und andere gesellschaftliche Gruppen

Die Kirche will für den Auftrag, eine gerechte und friedvolle Welt zu schaffen, nicht allein verantwortlich sein. Sie ist nach den Worten Jesu "Sauerteig", der die ganze Welt mit dem Evangelium durchdringen soll; sie will und kann aber nicht zugleich und allein Mehl, Wasser, Teig und das fertige Brot sein. Die Kirche ist das Salz der Erde und nicht die ganze Erde. Sie ist Licht der Welt und nicht die ganze Welt. Das bedeutet auch, die Kirche erkennt die verschiedenen Institutionen der Gesellschaft an, z. B. die Politik, die Gesetzgebung, die Gerichte und die staatliche Verwaltung. Bereits im Römerbrief und im 1. Petrusbrief werden die Christen zur Zusammenarbeit mit dem Staat und den Staatsorganen aufgerufen. Die Kirche will mit ihnen zusammenarbeiten und sie inspirieren. Zu den wichtigen staatlichen Institutionen gehören auch der Dienst der Soldaten und das Militär.

Kirche: "Thinktank" und exemplarischer Handlungsmotor

Die Kirche will ihren Auftrag für die Welt vor allem in zweierlei Hinsicht erfüllen. Als "Thinktank" - Gedanken- und Ideenbiotop - und als "exemplarischer Handlungsmotor". Wie verwirklicht sie diese beiden Aufgaben? Die Kirche ist ein sehr geeigneter "Thinktank" für Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung und das Leben in Fülle, weil sie frei und unabhängig dafür ist! Sie will und darf keine eigenen Interessen verfolgen, z. B. ihre eigene Wirtschaft stärken, Märkte erobern oder politischen Einfluss gewinnen. Bei den Staaten und auch internationalen Organisationen ist das oft anders. Die "Welthandelsorganisation" (WTO) kommt z. B. deshalb bei der Bekämpfung der Armut in der Welt so schwer voran, weil die in ihr vertretenen Staaten ihre eigenen Interessen verfolgen. Im Juli dieses Jahres ist sie bezüglich der Handelsschranken und Einfuhrzölle wieder gescheitert.

Ein anderes Beispiel: Die G8-Gipfel verlaufen immer wieder unbefriedigend, derzeit vor allem für den Klimaschutz, weil die Eigeninteressen der Supermächte eine zu große Rolle spielen. Ähnliches gilt auch für Europa und die UNO. Die Kirche kann dagegen unvoreingenommen die weltweiten Probleme bedenken und Lösungen vorschlagen. Sie bringt ihre Ideen und Vorschläge in die Kommunen, Staaten und internationalen Organisationen ein. So halten die Diözesen bzw. Pfarreien Kontakte zu den Kommunalverwaltungen ihres Bereichs; die Bischofskonferenzen haben regelmäßig Gespräche mit den Regierungen, Parteien, Gewerkschaften, etc.; in allen europäischen und internationalen Organisationen arbeitet die Kirche mit. Sicher wird das, was Kirche denkt und als Lösungen vorschlägt, nicht gleich umgesetzt. Dicke Bretter sind zu bohren; aber wie der Samen langsam wächst und sich gegen das Unkraut durchsetzt, so ist es auch mit dem Wirken der Kirche für eine gerechte Welt: Ihre Bemühungen um das Reich Gottes werden schlussendlich Erfolg haben. Die Hoffnung auf die Vollendung, die die wichtigste Botschaft der Kirche für die Welt heute ist, wird den Menschen so viel Kraft vermitteln, dass sie das Mögliche tun, damit Gottes Reich auf dem Weg bleibt, der zur Vollendung führt.

Zum Abschlussgottesdienst des Weltjugendtags 2008 werden von Menschen verschiedener Völker liturgische Gegenstände auf die Altarinsel gebracht.
Neben dem Thinktank ist die Kirche "exemplarischer Handlungsmotor": Die Kirche muss nicht alles selbst tun. Sie muss aber exemplarisch handeln und dadurch motivieren. Das geschieht z. B. durch die kirchlichen Beratungsstellen, wie beispielsweise Familien-, Schwangeren- oder Schuldnerberatung, um nur einige zu nennen. Sie wirkt ebenfalls exemplarisch, indem sie durch Obdachlosenheime, Suppenküchen, "Tafeln", wo Arme kostengünstig oder kostenlos Lebensmittel erhalten, Bedürftige unterstützt. Sie unterhält Altenheime und Hospize. Die Kirche betreibt Kindergärten und Schulen, um auch im Bildungsbereich präsent zu sein. Sie ist in der Jugendarbeit, in der Erwachsenenbildung und in der Seniorenarbeit tätig. Global wirken von Deutschland aus besonders die kirchlichen Hilfswerke, z. B. Misereor, Adveniat, Renovabis, das Kinderhilfswerk "Sternsinger", Missio und Caritas international. Sie leisten weltweit Hilfen für Gerechtigkeit, Frieden sowie Bewahrung der Schöpfung und tragen zu Entwicklung und Fortschritt bei.

Die Kirche, die Soldaten und das Militär

Die Kirche nimmt mit ihrem Proprium, dem Evangelium, auch am Dienst der Soldaten und des Militärs teil. Sie ist niemals der Utopie verfallen, dass in dieser Welt endgültig Gerechtigkeit und Frieden geschaffen werden könnten. Menschen werden auch in Zukunft in der Versuchung sein, in feindlicher Absicht gegeneinander zu kämpfen. Um Krieg möglichst zu verhindern und um den Frieden zu wahren, gibt es Soldaten und Militär. Die Kirche achtet den Auftrag der Soldaten. Durch die Militärseelsorge will sie die Soldaten zum Dienst am Frieden erziehen und ihnen bei dieser Aufgabe beistehen.

Anders formuliert: Sie will verhindern, dass der einzelne Soldat und das Militär zur Ursache von Verletzungen und Krieg werden. Sie wirkt darauf hin, dass die Soldaten "Diener des Friedens" sind und nicht "Väter von Gewalt, Krieg, Unterdrückung und Tod". Deshalb verantwortet die Militärseelsorge den Lebenskundlichen Unterricht in der Ausbildung und ist im Gespräch mit den Verantwortlichen in der Streitkräfteleitung sowie in der Politik. In der Militärseelsorge begleitet sie die Truppe auch bei Auslandseinsätzen, leistet Seelsorge und versucht zu vermitteln, wie man sich gegenüber Menschen und Soldaten anderer Völker verhalten muss. Die Kirche ist für den Dienst der Soldaten und des Militärs wichtig und hilfreich, wie von den Verantwortlichen immer wieder bestätigt wird. Die Militärseelsorge in Deutschland ist eine Form der Zusammenarbeit von Staat und Kirche für den Aufbau einer gerechten Welt.

Prof. Dr. Ludwig Schick, Erzbischof von Bamberg,
Vorsitzender der Kommission "Weltkirche"
der Deutschen Bischofskonferenz