"Man muss auch fragen, wie es so weit kommen konnte" - Militärbischof Mixa lehnt blinde Vergeltungsschläge abKNA-Interview vom 18.09.2001Eichstätt, 18.9.2001. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hat die Nato den Bündnisfall festgestellt. Bei einer allgemein erwarteten Militäraktion der USA könnten auch Bundeswehrsoldaten auf eine Beteiligung verpflichtet werden. In einem Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach sich Militärbischof Walter Mixa am Dienstag in Eichstätt vehement gegen blinde Vergeltungschläge aus, bei denen zwangsläufig weitere Unschuldige sterben müssten.
KNA: Herr Bischof, wo war Gott am 11. September?
Mixa: Gott war da, wie er immer da gewesen ist. Gott ist für das Böse in der Welt nicht verantwortlich. Die freie Entscheidung des Menschen schafft das Gute, genauso aber auch das Böse. Gott zwingt uns seine Liebe nicht auf.
KNA: Jesus predigt Gewaltverzicht. Ist das realistisch angesichts einer solch monströsen Tat?
Mixa: Das ist für meine Begriffe durchaus realistisch. Jesus ist kein Fantast. In keiner seiner Aussagen geht er an der Wirklichkeit unseres Lebens vorbei. Und mit Gewaltverzicht meint Jesus nicht: "Seid umschlungen, Millionen", sondern, dass wir nicht Böses mit Bösem beantworten sollen, weil sich nämlich dann die Spirale des Hasses und der Feindseligkeit unendlich weiter dreht. Jeder mögliche militärische Einsatz muss sich am Grundsatz des gerechten Friedens messen lassen.
KNA: Die Nato hat zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Bündnisfall festgestellt. Bedeutet das auch eine neue Herausforderung für die Militärseelsorge?
Mixa: Ganz sicher. Ich erwarte aber, dass über entsprechende von den USA angeforderte unterstützende Maßnahmen durch die Bundeswehr nicht allein Bundeskanzler oder Bundesverteidigungsminister entscheiden, sondern das Parlament.
KNA:US-Präsident Bush spricht von einem Krieg zwischen Gut und Böse. Staaten, die den Terrorismus unterstützten, müssten "ausgelöscht" werden. Ist das die Wortwahl eines Christen?
Mixa: Dieser Wortwahl kann ich mich nicht anschließen. Ich halte es hier mit der Aussage unseres Papstes Johannes Paul II., der am vergangenen Sonntag seinen tiefen Schmerz ausgedrückt hat über das, was in Amerika geschehen ist. Gleichzeitig sagt er aber auch, es kann nicht Gewalt mit gleicher Gewalt beantwortet werden. Er bittet darum, dass diese Terrorakte auch jetzt so behandelt werden, dass nicht ein weltweiter Kriegsbrand sich entfacht und nicht willkürlich ganze Länder in diesen Krieg hineingezogen werden. Das Ende wäre schlimmer als das Furchtbare, das am 11. September geschehen ist.
KNA: Alle maßgeblichen Politiker in Deutschland beschwören die Solidarität Deutschlands mit den USA. Müssen wir auch bei blinden Vergeltungsschlägen mitmachen?
Mixa: Nein. Die Gewalttäter und ihre Hintermänner müssen gesucht und gerecht bestraft werden. Es darf aber niemals zu blinden Vergeltungsschlägen kommen, weil dann nämlich auch wieder unzählige unschuldige Menschen vernichtet würden.
KNA: Welche Reaktion halten Sie denn für angemessen?
Mixa: Es ist unbedingt notwendig, dass auch gefragt wird, wie es so weit kommen konnte. Zwischen dem Norden und dem Süden der Erde gibt es einen ganz großen Graben. Täglich sterben Tausende von Menschen an Hunger. Die Anschläge in New York und Washington waren nicht nur ein Angriff auf die freie Welt, sondern auch ein Angriff auf den Kapitalismus. Wir brauchen einen sozialen Ausgleich zwischen Reich und Arm. Der Papst hat im Gespräch mit George W. Bush einen Schuldenerlass gefordert. Was ist daraus geworden? Außerdem muss endlich ein Ausgleich zwischen Israel und den Palästinensern gefunden werden. Im Nahen Osten liegt sicher ein ganz entscheidender gefährlicher Keim für immer wieder neu ausbrechende kriegerische Handlungen.
KNA: Vermutlich hat ein auch religiös verbrämter Fanatismus die Täter angetrieben. Vor welche Aufgabe stellt das die Weltreligionen?
Mixa: Johannes Paul II. ist in den Sudan gegangen, hat eine Moschee betreten, was vor ihm nie ein Papst getan hat, hat in keiner Weise ausschließlich für den Wert des christlichen Glaubens geworben, von dem er vollkommen überzeugt ist, hat aber genauso ganz deutlich auch gesagt: Es darf nie und nimmer im Namen der Religion, im Namen Gottes Krieg geführt werden oder zu Terrorakten kommen. Das ist gegenüber der Gott geschuldeten Ehrfurcht, gleich welche Vorstellung einzelne Religionen von Gott haben, nicht zu verantworten. Es wäre wünschenswert, dass die Weltreligionen jetzt enger zusammenrücken. In Spanien haben Christen, Juden und Moslems über viele Generationen in toleranter Nachbarschaft zusammengelebt. Aus dieser gegenseitigen Anerkennung erwuchsen sehr viele kulturelle Leistungen und wissenschaftliche Erkenntnisse. Das müsste auch heute wieder so sein. Wir dürfen unsere Glaubensüberzeugung nicht aufgeben, müssen aber trotzdem die Überzeugungen Andersgläubiger achten.
KNA: Haben Sie selbst Angst vor einem Krieg?
Mixa: Ich will nicht sagen, dass ich Angst habe, aber ich bin sehr, sehr besorgt. Ich habe in den vergangenen Tagen sehr viele Gottesdienste gehalten und dabei viel darum gebeten, jetzt nicht nur für die Opfer der Terroranschläge und ihre Angehörigen zu beten. Das ist ganz selbstverständlich. Wir sollten auch beten für diejenigen, die den Terror verursacht haben, und dafür, dass sich die Verantwortlichen in der ganzen Welt innerlich mehr aufschließen für Gerechtigkeit und Frieden untereinander und erkennen, dass ein derart gewalttätiges Vorgehen niemandem nützt, sondern alles zerstört. Gott möge uns allen Gedanken des Friedens und der Gerechtigkeit geben.
Interview: Christoph Renzikowski (KNA) |