"Wer ist das, dass er sogar Sünden vergibt?" (Lk 7,49)"

Predigt des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr bei der AMI-Tagung, Erfurt 20. September 2001

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Erfurt, 20.9.2001. Diese Frage ist nicht nur damals entscheidend gewesen, sondern hat für uns heute unerwartet eine ganz plötzliche Aktualität erfahren. In unserer sog. säkularen Gesellschaft ist während der letzten Jahre das Wort "Sünde" peinlich vermieden worden. "Sünde" schien der Vergangenheit anzugehören, da der heutige Mensch sein Leben selber in die Hand nimmt und selbst entscheiden kann, was gut und gerecht ist. Nicht zuletzt strebt er auch immer danach, dass es ihm auf dieser Welt möglichst gut geht und sein Leben möglichst lange zu währen hat.

Diese törichte Selbstüberschätzung hat vor etwas über einer Woche eine unerwartete Niederlage erfahren müssen. Keiner auf der ganzen Welt hatte damit gerechnet, dass die Symbole des heutigen Welthandelszentrums, die himmelragenden Türme in Manhatten, innerhalb weniger Minuten wie Kartenhäuser in sich zusammenbrechen würden. Keiner hatte die Wahnvorstellung, dass das militärische Zentrum der größten Weltmacht, das Pentagon, durch einen Terroranschlag stark zerstört werden würde.

Diese Anschläge, bei denen Tausende von Menschen umkamen, deren Tod bei den Angehörigen Verzweiflung, langandauernde Trauer, ja schwerste Traumatisierung hervorruft, sind eine schwere Sünde, ein Vergehen gegen den Menschen mit seinem Lebensrecht. Alle, die diese Terroranschläge geplant haben, sind ebenfalls schwer sündig geworden!

Sind das aber die einzigen schweren Sünden? Stellen wir uns ganz kritisch die Frage, die öffentlich gar nicht ausgesprochen worden ist. Gibt es nicht auch Sünde durch das Verhalten von Menschen, die einem gnadenlosen Kapitalismus huldigen, die um Geld, Macht und Lebenslust wie um ein goldenes Kalb herumtanzen? Ist es nicht auch Sünde, wenn kleinere Volksgruppen, wie die Palästinenser, immer wieder neue Demütigungen erfahren und durch die Steigerung von Hass und Gewalt im gesamten Nahen Osten der Friede und der gerechte Ausgleich in weite Ferne gerückt zu sein scheint?

Bei ehrlicher Beantwortung all dieser Fragen gibt es wirklich schwere Sünden, d.h. schwerwiegende Verfehlungen gegen die Liebe zu Gott, gegen die Verantwortung vor dem Nächsten und gegen eine friedliche Gestaltung unserer Welt.

Gott will den Krieg und das Unrecht nicht, Gott will nicht bestrafen, sondern will das Heil für einen jeden Menschen! Diese Tatsache der göttlichen Liebe zeigt Gott unüberbietbar in der Menschwerdung seines Sohnes, in der Bereitschaft des Sohnes Kreuz und Leid auf sich zu nehmen, aber auch im Sieg der Liebe Christi über alles Böse und über den Tod.

Im Evangelium spricht Jesus in ganz eindrücklicher Weise zu uns mehr noch durch sein Verhalten als durch sein Wort. Er, der Sündenlose, lässt sich von der stadtbekannten Sünderin nicht nur berühren, sondern er lässt sich von ihr Gutes tun, ohne sie schroff abzuweisen. Jesus verniedlicht die Sünden dieser Frau nicht, er weiß, dass sie schwere Sünden begangen hat, aber er gewährt ihr aus seinem liebenden Herzen vollkommene Verzeihung, weil sie sich mit Liebe und Reue an ihn wendet. Durch die Sündenvergebung in göttlicher Autorität schenkt er dieser zuinnerst belasteten Frau wahre Freiheit und eine neue Lebensperspektive, einen neuen Lebensanfang.

Für uns alle ist es in der Militärseelsorge eine ganz große Chance, dass wir in den gegenwärtigen Weltbeziehungen, in denen der Frieden bedroht ist, die Wirklichkeit der Sünde aufzeigen, aber noch viel mehr die Überwindung von Sünde und Ungerechtigkeit durch die Liebe Gottes in Jesus Christus. Um auf die Terroranschläge einzugehen ist es fraglos, dass die Verantwortlichen für diese unglaublichen Taten aufgespürt und zur Verantwortung gezogen werden. Diese Bemühung darf aber nicht gleichgesetzt werden mit einem kriegerischen Gegenschlag, der einzelne Länder und wiederum Tausende von unschuldigen Menschen vernichten und ausrotten könnte. Die Antwort kann und darf nie heißen: Gewalt muss mit Gegengewalt brutal bestraft werden. Die Antwort kann nur heißen: Weltweites Bemühen auch in wirtschaftlicher Hinsicht um einen gerechten Ausgleich zwischen Reich und Arm, zwischen der nördlichen und südlichen Erdhemisphäre. Die Antwort kann nur heißen: entschiedenes Bemühen in allen militärischen Bereichen, gerade auch im Nahen Osten mehr Frieden und gegenseitige Achtung durchzusetzen.

Diese Einsicht und die damit verbundene Gnade zu wahrer Umkehr wird uns ermöglicht, wenn wir die Aufforderung des Apostels Paulus an seinen Schüler Timotheus ernst nehmen(vgl. 1 Tim 4, 12-16). Wir alle müssen uns neu auf das Angebot der Liebe und des Friedens durch Gott in Jesus Christus einlassen. Wir alle müssen neu in prophetischer, d.h. in eindeutiger Weise eintreten für die Ehrfurcht vor Gott und vor den Menschen, um dadurch die Vergötzung von Kapital und Macht zu überwinden. Dieser Einsatz ist die einzige Möglichkeit, für mehr soziale Gerechtigkeit und für die Überwindung von Hass und Feindseligkeit wirksam zu kämpfen.

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