"Bei uns ist immer Mittwoch"Mit dem Katholischen Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr, Walter Mixa, bei den Soldaten auf dem Balkanvon Carl-Heinz Pierk (erschienen in "Die Tagespost" am 10. Januar 2001)Balkan, 01/2002. Von Müllbergen, wie sie hier sonst üblich sind, ist nichts zu sehen. Der fast einen halben Meter hoch liegende Schnee bedeckt die Abfallberge am Straßenrand von Skopje (Mazedonien) oder Prizren (Kosovo) wie ein weißes Leinentuch. Idylle, scheint es. Doch der Müll ist eines der Übel in dieser Region auf dem Balkan. Niemand fühlt sich zuständig. Zu allen Zeiten verbrannte man den Abfall. Doch heute hat der Müll hier eine andere Dimension angenommen. Da zählen zum üblichen Hausmüll Autowracks wie ausgediente Kühlschränke. Alles liegt am Straßenrand. Und niemand nimmt daran Anstoß. Die Schneeschmelze, wenn sie dann kommt, wird zwar das Müll-Problem ans Tageslicht bringen. Doch es wird sich so leicht nichts ändern.
Wie vielleicht auch die politischen Verhältnisse. Ökonomische Unterentwicklung und demokratische Unreife erschweren eine Stabilisierung der Region. Die Gefahr von Frustrationen ist groß, die ihrerseits neue und gefährliche Konflikte provozieren können. Die Einsicht herrscht vor, dass die noch immer nicht gelösten Konflikte uralte Wurzeln haben, die zwar irrational sein mögen, aber doch nicht "in einem großen Wurf" zu lösen sind - wohl aber durch einen Prozess der Demokratisierung und der Schaffung wirtschaftlichen Wohlstands.
Hilfestellung will hier die internationale Staatengemeinschaft leisten. Es geht um die Lösung von Territorial- und Minderheitsfragen, die Behebung ökonomischer Rückständigkeit, den Aufbau demokratisch-ziviler Sozialstrukturen und die Entwicklung regionaler Kooperation. Das bedingt zunächst eine befriedete Region und ein garantiertes Mindestmaß an Menschen und Minderheitsrechten. Und dafür soll die militärische Präsenz der internationalen Gemeinschaft sorgen.
Es gibt positive Ansatzpunkte. Im Feldlager "Phoenix" der Bundeswehr bei Orahovac (Kosovo) gibt es jeden Monat eine so genannte "Happy hour". Mitten im weitflächigen Weinanbaugebiet des Amselfeldes gelegen, begegnen sich im Camp Albaner und Serben aus Orahovac und dem Serbendorf Velica Hoca. Der Kommandeur des Feldlagers, Oberstleutnant Goebel, ist stolz: "Das hat es vor kurzer Zeit noch nicht gegeben, dass etwa ein albanischer Fischhändler aus Orahovac in Velica Hoca seine Ware verkaufen kann und unbeschadet wieder heimkehren kann". Grenzüberwachung, Schutz der ethnischen Minderheiten, sind die Hauptaufgaben der Soldaten von "Phoenix". Doch vorrangig ist vor allem die humanitäre Hilfe. Dies bekräftigen im Feldlager Prizren auch der Kommandeur der Multinationalen Brigade Süd, Brigadegeneral Bach, sowie Oberst Althoff, stellvertretender Kommandeur der Multitnationalen Brigade Süd. Es geht um die Mitwirkung beim Wiederaufbau von Häusern und Schulen, der lokalen Infrastruktur. Hilfe leistet man auch beim Auf- und Ausbau der Wirtschaftsberatung und der Existenzgründung. Einige Beispiele kann man bereits vorweisen, wie etwa den Aufbau einer Druckerei oder einer Forellenaufzucht. Der CIMIC-Verband (Civil Military Cooperation) ist hier als einzigartiges Hilfsprogramm der Bundeswehr zu nennen.
Das Feldlager Prizren gleicht einer ständigen Baustelle. Auf einer kleinen Anhöhe liegt das Stabsgebäude. Teppichboden im Konferenzraum, moderne Leuchten in den Büros und isolierende Fenster. Vom dritten Stock aus kann man auf die Unterkünfte der Mannschaften blicken. Die Soldatinnen und Soldaten sind in zwei aufeinander gestapelten Containern zu Hause. Auf den Dächern sind Fernsehschüsseln in Reih und Glied in den wolkenverhangenen Himmel ausgerichtet. In der Nähe wurden weiße Fertigbauhäuser ausgerichtet, die etwas mehr Komfort und Platz bieten. Sauberkeit ist oberste Pflicht. Überall im Eingangsbereich sind Schilder mit der Mahnung "Stiefel putzen!" angebracht. Vor den Unterkünften stehen Müllcontainer. Wie in Deutschland wird der Abfall sortiert. Im langgestreckten Gebäude der "Oase", einer weltlichen wie kirchlichen Begegnungsstätte, herrscht am Abend "Hochbetrieb". Ein paar Soldaten nutzen das letzte Tageslicht für Jogging auf dem Gelände des Feldlagers. Andere gehen im lagereigenen "Einkaufszentrum" auf Shoppingtour. Kleine Holzhütten gruppieren sich hier auf einer gepflasterten Fläche. Sportartikel gibt's hier zu kaufen, äußerst preiswerte CD's sowie Souvenirs.
Ein Großteil der Brigade ist konfessionsungebunden, erläutert Oberst Althoff. Der überwiegende Teil der Soldaten kommt aus den neuen Bundesländern. Dennoch, erfährt der Katholische Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr, Walter Mixa, der vom 26. bis 29. Dezember 2001 die Soldaten und Militärpfarrer besuchte, dass die Militärseelsorge hoch willkommen ist. Am Sonntag besuchen zahlreiche Soldaten den Gottesdienst, "die sonst in keine Kirche gehen", heißt es. Das bestätigen auch die katholischen Militärpfarrer Norbert Sauer (Camp Fox Mazedonien), Paul Peter Gregor (Camp Airfield Prizren) und Benno Porovne (Feldlager Prizren). Sie sind für die Soldatinnen und Soldaten immer zur Stelle: hören zu, beraten, trösten und helfen. Sie leben im Einsatz - wie die Soldaten.
Besonders beeindruckt war Militärbischof Mixa vom abendlichen Gottesdienst in der "Oase" (während der heiligen Messe ruhte übrigens der Ausschank im abgetrennten Wirtschaftsraum), den eine Gruppe aus Soldatinnen und Soldaten musikalisch begleitete. Am Fest der Unschuldigen Kinder erinnerte Mixa an die Abtreibungspraxis in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt: "Welch geistigen Ressourcen werden hier vernichtet!" Beim Gottesdienst am zweiten Weihnachtsfeiertag im Camp Fox hatte der Militärbischof den Einsatz der deutschen Soldaten auf dem Balkan als "Dienst an den hiesigen Menschen" gewürdigt. "Sie versuchen", wandte sich Mixa an die Soldaten, "dem Frieden den Weg zu bereiten. Friede ist keine Utopie, wenn wir die Menschen zu gegenseitiger Achtung erziehen".
Die Operation "Fox" soll ein sicherheitspolitisches Vakuum und ein Wiederaufflammen des Konflikts in Mazedonien verhindern. Vor allem geht es darum, die Sicherheit der internationalen Beobachter zu gewährleisten. Mit der "Task Force Fox" leitet erstmals die Bundeswehr einen Nato-Einsatzverband im Ausland. Kommandeur ist Brigadegeneral Keerl, stellvertretender Kommandeur der 13. Panzergrenadierdivision in Leipzig.
Gespräche mit den Soldatinnen und Soldaten lagen dem Militärbischof besonders am Herzen. Erstaunlich, dass niemand über die familiäre Trennung von sechs Monaten oder über die Schwierigkeiten des Einsatzes sprach. Lag es daran, dass Vorgesetzte mit am Tisch saßen oder schlicht daran, dass sich die Kameraden des (fast frischen) 4. Einsatzkontingents erst "zusammenfinden" mussten. Dabei gab es durchaus interessante Meinungsbeiträge. Im Feldlager Prizren-Airfield etwa: Zwei nach eigenem Bekunden katholische Soldaten aus Westfalen und Hessen machten sich für eine "Oase" wie im Feldlager Prizren stark, plädierten für einen "kirchlichen Rückzugsraum, den wir bei unserem Dienst hier brauchen". Beifall kam von Militärpfarrer Gregor, der nachhaltig für dieses Projekt warb. Militärbischof Walter Mixa und Militärgeneralvikar Walter Wakenhut erklärten spontan, sich für dieses Projekt einzusetzen.
Heimweh scheint jedenfalls kein besonders Problem der deutschen Soldaten zu sein. Einer meint: "Die meisten haben einen 16-Stunden-Tag, trinken abends vielleicht noch ein Bier und fallen dann todmüde ins Bett. Wir haben Samstag und Sonntag nicht frei, bei uns ist immer Mittwoch. Man ist eigentlich froh, voll eingespannt zu sein. Die meisten haben daher gar keine Zeit für Heimweh oder Langeweile". |