"Krieg und Moral: Ethische Grenzen der Anwendung militärischer Gewalt"Vortrag des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr Dr. Walter Mixa, Bischof von Eichstätt, an der Offizierschule des Heeres in Dresden am 07. Februar 2002
Dresden, 7.2.2002. Die religiöse Botschaft des christlichen Glaubens ist das "Evangelium des Friedens": Gott hat sich durch seinen Sohn Jesus Christus mit der Welt versöhnt; durch Christus ist der Frieden gestiftet, der den Menschen, Völkern und Gesellschaften das Heil, Gerechtigkeit und Solidarität bringt. Das Reich Gottes, die Herrschaft der Liebe, Gerechtigkeit und Freiheit hat begonnen.
Ein schöner Traum, sagen heute nicht wenige. Andere sprechen von Ideologie, durch die die Herrschenden und Mächtigen nur leichter ihre ungerechten Systeme bemänteln können. Andere weisen schließlich auf Erfahrungen mit einer Wirklichkeit hin, die jeden Tag die Unglaubwürdigkeit einer solchen religiösen Botschaft unter Beweis stelle.
Ja, in der Tat, wenn ich als katholischer Christ und Bischof das Wort Jesu höre, der jene selig preist, "die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben" (Mt 5,5), dann muss ich mich schon fragen, in welchem "Land", in welcher Wirklichkeit, ich, ja wir alle leben. Denn der Soldat hat durch Recht und Gesetz den Auftrag, ungerechte Gewalt, wenn es denn anders nicht möglich ist, durch Gewalt abzuwehren. Wir deutschen Bischöfe haben diesen Sachverhalt in unserem Wort "Gerechter Friede" vom 27. September 2000 so ausgedrückt: "Die geltende Weltordnung, in der wir gemeinsam mit allen Menschen leben, geht nüchtern vom menschlichen Hang zur Gewalt aus. Sie rechnet damit, dass bei einzelnen Menschen wie bei ganzen Völkern wider alle Vernunft Gewalt ausbrechen kann. Daher wurden Mechanismen der Gewaltbändigung und Gewaltvorbeugung entwickelt, um den Frieden zu sichern. Das entspricht der Vernunft und ist sachgemäß" (Nr. 56).
Ich möchte heute der Frage nachgehen, wie diese Realität der Gewaltsamkeit mit jener Hoffnung des von Gott geschenkten Reiches des Friedens zusammenhängen.
1. Krieg und Recht
Zuerst ein Blick in die Geschichte. Mit dem Ende der europäischen Konfessionskriege im 17. Jahrhundert war endgültig die Idee zerbrochen, die Wahrheits- und die Machtfrage ließe sich in einem allgemeinen Rechtssystem vermitteln. Der souveräne Staat war jetzt die höchste und letzte Instanz, in der Recht und Macht zusammenfielen. Auch in tatsächlicher Hinsicht entwickelte sich der moderne Staat durch sein Gewaltmonopol damit zu einem realen Raum des friedlichen Miteinanders. Innerstaatliche Fehden und Kriege hörten auf. Der von dem englischen Staatsphilosophen Thomas Hobbes angenommene Naturzustand der menschlichen Gesellschaft im Krieg aller gegen alle war durch die "staatliche" Friedensordnung überwunden. Allerdings nur im Rahmen dieses Staates; jenseits seiner Grenzen bestand - so dachte man - der Naturzustand fort. Hat das - so fragte man sich - zwangsläufig im Gefolge, dass zwischen den Staaten ein permanenter Kriegszustand herrscht? Die Antwort suchte man in der erneuerten Vorstellung eines Völkerrechts, dessen Zustandekommen man sich vor allem durch Vertragsabschlüsse zwischen "zivilisierten" Staaten vorstellte. Dadurch entstand ein internationales Rechtssystem, das quasi zwei "Aggregatzustände" zwischen den Staaten unterschied: den des Friedens und den des Krieges. Beide waren - jeweils nach ihrer Natur - rechtlich geordnet. Zu recht hat der große niederländische Völkerrechtsgelehrte Hugo Grotius seinem Hauptwerk den Titel "De iure belli ac pacis" gegeben. Dahinter verbarg sich letztlich ein juristisches und politisches Programm. In seinem Mittelpunkt stand das freie Kriegführungsrecht der Staaten. Fragen des Machterhalts, des Machterwerbs und der Machtverteilung unter ihnen konnte und sollte - ohne jede Einengung durch Recht und Moral - durch organisierte Gewaltsamkeit, durch Krieg also, geklärt werden. Das Credo des Politischen war damit die Gewalt.
Viele von Ihnen werden sich in ihrer Ausbildung mit dem Werk des Carl von Clausewitz "Vom Kriege" befassen. Dabei handelt es sich quasi um das "Drehbuch" des Staatenkrieges, dem - nota bene - ethische Kategorien völlig abgehen. Zur Gewaltfrage etwa meint Clausewitz: "Der Krieg ist ein Akt der Gewalt, und es gibt in der Anwendung derselben keine Grenzen; so gibt jeder dem anderen das Gesetz, es entsteht eine Wechselwirkung, die dem Begriff nach zum äußersten führen muss" (S. 194). Die Gewalt selbst wird nicht in Frage gestellt. Sie gehört nach diesem Denken unabänderlich zum Wesen, zum Kern des Politischen. Ich möchte Sie einladen, meine verehrten Zuhörer, über derartige scheinbare Selbstverständlichkeiten nachzudenken - gerade über den Begriff vom Kriege und seine modernen Äquivalente.
Manchmal frage ich mich - bitte erlauben Sie mir diese Zwischenbemerkung - wie man heute noch über die sog. Kabinettskriege des 18. Jahrhunderts oder den napoleonischen Imperialismus sprechen kann wie über Naturereignisse der Vergangenheit, die christlichen Kreuzzüge des Mittelalters jedoch moralisch streng verurteilt. Damit will ich nicht die Kreuzzüge moralisch rechtfertigen. Ich möchte jedoch auf eine gewisse Blindheit der insofern immer noch unaufgeklärten Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts hinweisen, die nicht nur in unseren Schulbüchern, sondern auch in vielen Köpfen noch herumgeistert. Die autokratischen politischen Systeme des 18. bis 20. Jahrhunderts in Europa waren nicht nur im Hinblick auf die Grundfragen bürgerlicher Freiheit und Partizipation wie sozialer Gerechtigkeit äußerst mangelhaft. Die Institution des Krieges überhaupt und die Art und Weise, wie solche Kriege geführt wurden, verstießen in grundlegender Weise gegen die Würde des Menschen. Dafür gibt es viele Belege. Man sollte sich daran erinnern, wenn man von sog. "großen Persönlichkeiten" der Geschichte spricht.
An dieser Stelle ist der in der neuzeitlichen Theorie des Politischen zu Unrecht geleugnete innere Zusammenhang vom "ius ad bellum", dem Recht zum Kriege also, und dem "ius in bello", den Rechtsnormen, die in der Kampfführung zu beachten sind, anzusprechen.
An zwei historischen Beispielen will ich das Gemeinte erläutern.
· Nachdem die Fürstenstaaten ihren Frieden mit dem Aggressor Napoleon gemacht hatten, erhoben sich Volksbewegungen in Tirol - Andreas Hofer - und in Spanien - die sog. Guerilla - gegen die fremden Besatzer und ihre staatlichen Helfershelfer. Sie beriefen sich dabei auf eigene traditionelle, vorstaatliche Rechte von Freiheit und Selbstbestimmung. Und sie kämpften mit den Waffen, die ihnen zur Verfügung standen, in Formationen und mit einer Taktik, die nicht die der zeitgenössischen Streitkräfte waren. Damit war das entstanden, was man seitdem "Terrorismus" nennt. Für Kriegstheoretiker wie Clausewitz existierte hingegen nur der Staatenkrieg.
· Der andere Aspekt bezieht sich auf die Rechtsnormen der Kriegführung selbst. Das "ius in bello" wurde im 19. und 20. Jahrhundert im Sinne eines "humanitären Kriegsvölkerrechts" weiterentwickelt. Das Haager Recht zur Landkriegführung sowie die Genfer Konventionen von 1949 mit den Zusatzprotokollen von 1977 enthalten zahlreiche Schutznormen für Kombattanten und Nicht-Kombattanten, Kriegsgefangene, Kulturgüter und die natürliche Umwelt. Darin kann man einerseits einen Fortschritt sehen. Es fragt sich jedoch, ob der praktische Wert dieser Regelungen der politischen Theatralik, mit der man ihr Zu-Stande-kommen feierte, auch nur in etwa entsprach.
Außerdem verdient der Entstehungszusammenhang dieses Rechts Beachtung: die Rote-Kreuz-Bewegung entstammt nicht staatlicher Initiative, sondern liberal-bürgerlichen Kreisen. Bei den Haager Konferenzen handelt es sich um Reaktionen auf die sich verstärkende internationale pazifistische Bewegung. Politisch betrachtet lässt sich sagen, dass die Stärkung humanitärer Gesichtspunkte im Zusammenhang der Kriegführung in stärkstem Kontrast zur durchgängigen Weigerung der Großmächte stand, über allgemeine Abrüstung und eine internationale Schiedsgerichtsbarkeit zur Einschränkung des "ius ad bellum" zu verhandeln. So wurde - unter politischen Gesichtspunkten - zu Beginn des 20. Jahrhunderts das humanitäre Völkerrecht nicht zuletzt deshalb entwickelt, um sozusagen guten Gewissens weiterhin Kriege führen zu können.
Meine Damen und Herren,
den Rückblick auf staatsphilosophische und juristische Thematisierungen des Krieges in der Epoche der Staatenkriege habe ich vor allem deshalb unternommen, um ihre praktischen Auswirkungen auf die Realität damaliger Kriege kritisch zu überprüfen. Das Ergebnis ist eher bescheiden, ja negativ. Die organisierte Gewaltsamkeit führte de facto ein Eigenleben, das sich weder politisch noch gesellschaftlich wirklich steuern ließ.
Die Geschichte zeigt uns, dass
1. die institutionell und rechtlich nicht gebändigte politisch organisierte Gewaltsamkeit zunehmend zu Chaos und maßloser Zerstörung führt; Konkretionen dazu folgen noch;
2. die Begrenzung der Gewalt im Rahmen der Kampfführung, so sie gelingt, tatsächlich die Friedensfähigkeit aller beteiligten Parteien fördern kann.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Völkerrechtsordnung im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen ist historisch eine Situation neuer Qualität erreicht. Sie begründet ein unbedingtes Gewaltverbot im zwischenstaatlichen Bereich und beendet damit die Geschichte des freien Kriegführungsrechtes. Zugleich schafft sie die erforderlichen Institutionen. Bevor ich die sich damit verbindenden Chancen und Aufgaben anspreche, wende ich mich erneut der Auffassung und Praxis des Krieges zu, wie sie das vergangene Jahrhundert bestimmt haben.
2. Totaler Krieg
Der Begriff des "Totalen Krieges" wird gemeinhin verbunden mit der nationalsozialistischen Propagandakampagne, durch die der militärisch schon verlorene Zweite Weltkrieg verlängert und die definitive Niederlage Deutschlands in ungeahnte Dimensionen erweitert wurde. Der Sache nach war "totaler Krieg" aber gemeinsame Praxis der Hauptgegner beider Weltkriege. Gemeint ist - über den Einsatz von Streitkräften an der Front hinaus - die weit reichende oder sogar rückhaltlose Indienststellung aller wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen (auch religiösen), technischen und personellen Ressourcen eines Landes in den Dienst der Kriegführung. Damit war zweifellos - in gewisser Hinsicht - die strikte Trennung eines staatlichen Kriegs- von einem zivilen Friedenssektor aufgegeben. Diese Trennung war zwar auch in früherer Zeit nicht absolut; mit der technisch-industriellen Entwicklung, den modernen Produktionsmethoden der Kriegsgüter sowie der Organisierbarkeit großer Menschenmassen ergab sich doch eine neue Qualität.
Diese "innere" Ausweitung des Krieges hatte nicht zuletzt politisch gravierende Konsequenzen: durch Propaganda und Ideologisierung der Öffentlichkeit - teilweise in Kreuzzugs-Diktion, die zur Legitimation des Krieges erforderlich wurden, wurde die Definition der Kriegsziele beider Seiten immer weitreichender. Es gab kein Halten mehr. Im Ersten Weltkrieg wurde so etwa ein letzter Vermittlungsversuch Papst Benedikt XV. im Jahre 1917 sogar von der katholischen Zentrumspartei in Deutschland zurückgewiesen. Ein wirklicher "Friedensschluss" war schon am Ende dieses Krieges nicht mehr möglich. Der Vertrag von Versailles - und die anderen sog. Vorort-Verträge - waren faktisch Diktate, die neue Kriege provozierten. Wirtschaftliche Zusammenbrüche der unterlegenen Staaten, politische Revolutionen, der Beginn eines "Weltbürgerkrieges" waren die Folgen. Auch im politischen Bereich kam es zu ungeheuren Verschiebungen: Grenzen wurden willkürlich gezogen, das gerade vom amerikanischen Präsidenten Wilson verkündete Selbstbestimmungsrecht der Völker im Hinblick auf die unterlegene Seite weithin ignoriert. Im Kontext des Zweiten Weltkrieges wurde dies alles nochmals gesteigert. So machte die Forderung nach "bedingungsloser Kapitulation" Deutschlands und Japans jedweden Kompromissfrieden von vornherein unmöglich. Der Krieg als Mittel der Politik endete im Exzess.
Auch die Kriegführung selbst erfuhr eine ungekannte und kaum noch kontrollierbare Entgrenzung. Die grausame und militärisch letztlich sinnlose Giftgaskriegführung liefert dafür im Ersten Weltkrieg ein signifikantes Beispiel.
Am Beispiel der noch für die Gegenwart höchst bedeutsamen Grundsätze und Methoden der Luftkriegführung lässt sich ein weiterer Widerspruch illustrieren. Einerseits fordern die bereits im Haager Recht formulierten humanitären Prinzipien eine Unterscheidung von Personen, Orten und Objekten, die zulässigerweise direkt bekämpft werden dürfen, von solchen, die als zivile oder private einem weit reichenden Schutz unterliegen sollen. Dem stehen andererseits die sog. "militärischen Notwendigkeiten" gegenüber, die im konkreten Fall nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit humanitären Aspekten abzuwägen sind.
Die Geschichte der Luftkriegführung des zu Ende gegangenen Jahrhunderts liefert ein erschütterndes Beispiel dafür, wie tief das Ethos der Kriegführenden abstürzen kann. Ich will hier nicht vom Verhalten der nationalsozialistischen Führung oder der der Sowjetunion sprechen, die den humanitären Prinzipien und dem der Würde des Menschen in jeder Situation zustehenden Respekt aus ideologischen Gründen keine Achtung zollen wollten. Auch die westlichen Demokratien verloren jedes Maß.
Das geschah nicht einfach in einem schwer kontrollierbaren Kriegsverlauf in Krisensituationen. Schon 1921 hatte der italienische Luftwaffengeneral Giulio Douhet in seinem Werk "Die Vorherrschaft in der Luft" die These vertreten: "Der Krieg ist ... eine sehr ernste Angelegenheit und entscheidet über das Schicksal ganzer Völker. Siegen heißt, dem Gegner seinen eigenen Willen aufzwingen. Um das zu können, muss seine materielle und moralische Widerstandskraft restlos gebrochen werden. Und dies ist wiederum nur möglich, wenn dem Gegner mehr Schaden und Verluste zugefügt werden, als er ertragen kann". In diesem Prinzip wurzelte letztlich das Organisationskonzept der britischen - und dann der amerikanischen - Strategischen Luftflotten des Zweiten Weltkrieges und des von ihnen durchgeführten Flächenbombardements gegnerischer Städte und ihrer Zivilbevölkerung, auch wenn die politischen Führer dieser Länder dies zur Täuschung der Weltmeinung wiederholt in Abrede stellten. Auch das war "totaler Krieg". Nach amtlichen Angaben des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahre 1962 kamen allein in Deutschland dadurch 636 000 Menschen um´s Leben, darunter 56 000 Kinder unter 14 Jahren; ca. 350 000 Wohngebäude wurden zerstört oder beschädigt. Die Fachleute sind sich heute einig, dass das eigentliche Ziel dieser Kriegführung - die Zerstörung der Kriegsmoral der deutschen Bevölkerung - nicht erreicht wurde, eher das Gegenteil wurde bewirkt. Der klassische Staatenkrieg hatte sich endgültig als Niedergang der Kulturentwicklung entlarvt.
Die Öffentlichkeit in den angelsächsischen Ländern blieb zum Problem der Flächenbombardements weithin stumm. Wer die moralische Problematik unterschiedsloser Angriffe ansprach, setzte sich sofort dem Verdacht der Sympathie mit dem Feinde aus, gegen den ja gerade ein "Kreuzzug" (cruzade) geführt wurde. Ich möchte heute eines mutigen amerikanischen Jesuiten-Theologens gedenken, der im Sommer und Herbst 1944 in den U.S.A. seine Stimme gegen diesen vernichtenden Bombenkrieg ("obliteration bombing") erhoben hat. Unter Bezug auf mehrere öffentliche Kundgaben Papst Pius XII. erinnerte Pater John C. Ford S.J. an ein in der katholischen Moraltradition unbestrittenes Axiom: "Unschuldiges Leben darf niemals direkt (d.h. unmittelbar und willentlich) getötet werden" - aus welchen Gründen und Motiven, zu welchen Zwecken auch immer. In einer Jahrhunderte alten Lehre der Kriegsethik wuchs daraus die Unterscheidung in am Kampf Beteiligte und Unbeteiligte (Kombattanten und Nicht-Kombattanten bzw. "Zivilisten"). Unter Berücksichtigung der modernen Gegebenheiten der Kriegführung kam Ford zu dem Schluss, dass jedes Bombardement, das sich unmittelbar und ausschließlich auf Nicht-Kombattanten und Zivilisten richtet, moralisch nicht gerechtfertigt werden kann und darum weder befohlen noch durchgeführt werden darf.
Das Zweite Vatikanische Konzil (1961-1965) fordert darum alle Verantwortlichen auf, die "bleibende Geltung des natürlichen Völkerrechts und seiner allgemeinen Prinzipien" zu beachten: "Handlungen, die in bewusstem Widerspruch zu ihnen stehen, sind Verbrechen, ebenso Befehle, die solche Handlungen anordnen; auch die Berufung auf blinden Gehorsam kann den nicht entschuldigen, der sie ausführt." Die für den Kriegsfall bestehenden internationalen Konventionen müssen respektiert werden (vgl. GS, Nr. 79).
3. Ethik - Recht - Gewalt
Was bedeutet das alles nun für das Ethos des Soldaten? Für die Kampfführung existieren klare Grundsätze - für die Bundeswehr in der ZDv 15/1 "Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten" niedergelegt. Diesem Recht zu folgen ist zugleich - wie wir eben hörten - hohe ethische Verpflichtung. Doch wer stellt für den handelnden Soldaten Rahmenbedingungen sicher, die auch Verbotsirrtümer ausschließen wie etwa im Falle unterschiedsloser Angriffe nach Art. 51 Abs 4 Zusatzprotokoll I? Können wir wirklich gewiss sein, dass alle in einem operativen Verband eingesetzten Streitkräfte mit übereinstimmender Rechtsanwendung handeln? Hinsichtlich der Luftkriegsoperationen der US-Streitkräfte in Afghanistan etwa fällt auf, dass die m.W. einzige bisher vorliegende Studie zu zivilen Opfern des Luftbombardements (Aerial Bombing) von Marc W. Herold vom Dezember 2001 kaum auf amtliche Quellen zurückgreifen konnte.
Und schließlich: Wie wirkt sich im tatsächlichen Ergebnis einer Kriegführung (das kaum Chancen hat, öffentlich bekannt zu werden) aus, dass westliche Demokratien die eigenen Verluste an Menschenleben möglichst gering, die des Gegners jedoch möglichst hoch halten wollen? Und letztendlich: Wie verhalten sich verbündete Streitkräfte heute zu Operationsplanungen und -einsätzen in ihrer eigenen Vergangenheit?
In der kommenden Woche jährt sich zum 57. Mal die Zerstörung dieser Stadt Dresden durch britische und amerikanische Bomberverbände. Nach allen Umständen, auch den ausdrücklichen Zielsetzungen dieses militärischen Angriffs kann ich nur meiner Überzeugung Ausdruck verleihen, dass diese militärischen Operationen nach den allen wohlmeinenden Menschen zugänglichen Prinzipien des Naturrechts und nach der Lehre meiner Kirche sittlich nicht gerechtfertigt werden können. Wenn ich das feststelle, geschieht das nicht, um die Schuld oder Verantwortung anderer relativieren zu wollen. Es geschieht zuerst um der Wahrheit und um der Opfer willen. Dazu gehören in gewisser Weise auch die Flugzeugbesatzungen, die damals Befehle ausführen mussten, deren Unrechtsgehalt sie nicht erkannten.
Viele unter uns werden sich die Frage stellen, ob bzw. was wir aus diesem tragischen Ereignis lernen können. Darauf sind in den vergangenen Jahrzehnten in dieser Stadt - in der Zeit der Teilung und nach der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes - wohl manche Antworten gegeben worden.
Die Mahnung "Nie wieder Krieg!" kann uns, kann Ihnen, meine Damen und Herren Soldaten, nicht mehr genügen. Wie überhaupt nach meiner Auffassung die traditionellen Grundforderungen des Pazifismus - wie die Geschichte des Krieges in den letzten 100 Jahren zeigt - so ernst sie gemeint sind und menschlichen Respekt verdienen, die politischen und militärischen Realitäten eher missverstanden haben. Darum bin ich persönlich kein Pazifist und könnte es angesichts der politischen Realitäten der Gewalt, ihrer Abwehr und deren notwendiger Begrenzung nicht sein.
Die Grundvoraussetzungen ethisch verantwortlichen Umganges mit militärischer Gewalt müssen durch politische Vorentscheidungen gewährleistet werden. Ich nenne einige mir wichtig erscheinende:
1. Notwendig ist die konsequente Förderung einer effizienten Kriegsächtung und einer wirksamen Konfliktprävention. Unter diesem Gesichtspunkt verweise ich nochmals auf unser schon zitiertes Bischofswort "Gerechter Friede". Die großen Chancen, die uns das Völkerrecht mit dem System der Vereinten Nationen dazu anbietet, müssen wir als Geschenk einer überaus leidvollen Geschichte dankbar annehmen und weiterentwickeln. Alles, was die Rückkehr zu einer historisch überholten hägemonialen Dominanz fördert, ist ein Rückschritt.
2. Das System unserer gegenwärtigen Völkerrechtsordnung kennt kein ius ad bellum mehr. Um des Weltfriedens willen, den nur alle Staaten und Nationen gemeinsam erlangen und erhalten können, muss die Weltgemeinschaft als ganze wirksam die Verantwortung für die Sicherung des Friedens wahrnehmen können. Dabei muss der Einsatz militärischer Mittel als ultima ratio proportional nicht nur zu humanitären Erfordernissen, sondern auch zu den angestrebten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zielen sein, die zur Wiedergewinnung des Friedens erreicht werden sollen.
"Wahrheitsfragen" in den Grunddimensionen von Gerechtigkeit und Gleichheit müssen in diesem Zusammenhang praktisch beantwortet werden. Ich bin froh, dass unser Bundeskanzler den Gerechtigkeitsaspekt im Kontext der Globalisierung in diesen Tagen nachdrücklich thematisiert hat.
3. Militärische Einsätze selbst müssen - sofern sie unverzichtbar sind - präzise auf unterschiedliche Zielsetzungen ausgerichtet werden. Müssen gewaltsame Mittel verwandt werden, sind sie auf das absolut Notwendige zu begrenzen. Der praktische Respekt vor den Grundsätzen und Regeln des humanitären Völkerrechts ist gegenüber dem Gegner auch ein Zeichen dafür, dass er als "iustus hostis" (Carl Schmitt) angesehen wird. Auch das ist Voraussetzung für einen Friedensschluss, der am Schluss aller militärischen Operationen stehen muss. Darüber hinaus gilt immer der Grundsatz, dass kein noch so guter Zweck ethisch unerlaubte Mittel heiligen kann.
4. Im Zeitalter terroristischer Bedrohung kommt noch ein weiteres Erfordernis dazu. Wie die geschichtliche Erfahrung zeigt, ist "Terrorismus" zuerst eine Frage angewandter Methoden der Gewaltanwendung, der Organisationsform und des zuerkannten politisch-rechtlichen Status einer Gruppe. Immer aber richtet sich der terroristisch Agierende auf bestimmte politische Ziele aus. Sind diese "real", muss die Lösung hier bestehender Probleme zuerst und vorrangig auf politischem Wege gesucht werden - und im Dialog mit denen, die dieselben Ziele verfolgen, ohne sich terroristischer Methoden zu bedienen.
Damit wende ich mich wieder dem Gewaltproblem zu, das Ausgangspunkt meiner Ausführungen war. Physische und psychische Gewalt verletzen immer das Leben - von Opfern, aber auch der Täter. Die wirkliche Überwindung von Gewalt kann nur gelingen, wenn letztlich in der Liebe Wege zur Versöhnung eröffnet werden. Das ist schon im persönlichen Leben mehr, als man erwarten darf. In Situationen des Krieges, selbst wenn schließlich "Frieden" herrscht, mag mancher vollends die Hoffnung auf Versöhnung verlieren. Wer unter diesem Aspekt die Krisengebiete betrachtet, in denen Soldaten unserer Bundeswehr einen brüchigen Frieden sichern sollen, wird sich neue Fragen stellen. Die Antwort können Resignation, Rückzug oder das Fortschreiten in einer Spirale der Gewalt sein. Möglich ist aber auch das persönliche, individuelle, und das kollektive Sich-Ausstrecken nach jenem Land, das unser Gott jenen verheißt, die die Anwendung von Gewalt hinter sich lassen. Die Hoffnung jedoch, dieses Land betreten zu dürfen - wenigstens an einem Ort, zu einer Zeit - wird unsere Welt verändern. Dessen bin ich gewiss.
die Predigt des Militärbischofs finden sie hier |