Wo einst Billy the Kid lebte

Der Katholische Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr, Walter Mixa, besuchte deutsche Soldaten in Amerika

von Carl-H. Pierk

White Sands Missile Range, Raketenpark (kurz vor Alamogordo)
USA, 20.1.-30.1.2003. Weißer Sand, soweit das Auge reicht. Sanddünen, die immer in Bewegung sind, sich aufhäufen und wieder abfallen. Sanddünen, die aus Gipssand bestehen: das White Sands National Monument. In diesem Gebiet befindet sich auch heute noch ein riesiges militärisch genutztes Gelände: White Sands Missile Range, ein Testgelände für wiederverwendbare Raketen und Einrichtung für zahlreiche Forschungs- und Auswertungsprogramme des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Fotografieren allein darf man im Missile Park, wo etwa sechzig Raketen gezeigt werden, die seit 1945 in White Sands entwickelt und getestet wurden. Ein geschichtsträchtiges Gebiet. Hier forschte der deutsche Raketenexperte Wernher von Braun, der sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs den Amerikanern stellte und von ihnen gemeinsam mit 125 Mitarbeitern nach Fort Bliss in Texas überstellt wurde.

White Sands – Zwischenstation der Visitationsreise (20. bis 30. Januar) des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr, Walter Mixa, bei deutschen Soldaten und deren Familien in den Vereinigten Staaten. Mixa wird im Besuchszentrum des Naturparks von White Sands vom Kommandeur des Fliegerischen Ausbildungszentrums der Luftwaffe auf dem Stützpunkt Holloman Air Force Base in Alamogordo, Oberst Wolfgang Fahl, begrüßt. Die Stadt Alamogordo ist mit Holloman und White Sands Missile Range eng verbunden. Holloman Air Force Base ist nicht nur Stützpunkt der Deutschen Luftwaffe in den Vereinigten Staaten, sondern auch Heimatstützpunkt des F-117 „Stealth“-Geschwaders.

Holloman mitten in der dünn besiedelten Wüste von New Mexico ist ein Traum für Flugzeugführer: Dreihundert Sonnentage im Jahr, drei Start- bzw. Landebahnen und endlose Übungskorridore in der Wüste ringsum. „Im Vergleich zu anderen Bereichen unserer Streitkräfte stehen wir im wahrsten Sinne des Wortes auf der Sonnenseite des Lebens“, strahlt Oberst Fahl. Erfolgreich kann er auch, was die fliegerische Grundausbildung für „Tornado“-Jagdbomber und die F-4 „Phantom“-Jäger betrifft, auf das Jahr 2002 zurückblicken: Für die deutsche Luftwaffe und die Marine wurden knapp neuntausend Flugstunden erflogen, dabei wurden 118 Lehrgangsteilnehmer in vier grundsätzlich unterschiedlichen Lehrgangstypen geschult. Bevor die Piloten nach New Mexico kommen, haben sie eine erste Ausbildung in Goodyear (Phoenix, Arizona) und Sheppard AFB (Wichita Falls, Texas) oder Pensacola (Florida) absolviert. Auch diese drei Standorte gehören zum Seelsorgebezirk Holloman, wo ständig etwa siebenhundert Soldaten und Verwaltungsangestellte tätig sind. Zählt man die Familienangehörigen dazu, leben in Alamogordo etwa 2.700 Deutsche.

Oberst Wolfgang Fahl (m.) von Holloman AFB empfängt Gruppe, rechts Pastoralreferent Hubert Münchmeyer
Es bleibt nicht nur bei Briefings. Militärbischof Mixa besucht die Deutsche Schule am Standort, spricht und lacht mit den Kindern, sucht das Gespräch mit den Soldaten an deren Arbeitsplatz. Selbst die Einweisung ins Cockpit eines Tornados (der hier mit nationaler Beflaggung fliegt, wohingegen die Phantom amerikanische Hoheitsabzeichen trägt) ist für den Bischof von großem Interesse. Im Vordergrund des Besuchs freilich steht die Seelsorge, das Spenden des Sakraments der Firmung in der neu erbauten Johannes-Kirche in Alamogordo: einem sakralen Schmuckstück im Adobe-Stil, das evangelischen wie katholischen Christen als Gotteshaus dient. Die feierliche Übergabe und Einweihung hatten am 12. Januar 2003 der Leiter des Katholischen Militärbischofsamtes, Militärgeneralvikar Prälat Walter Wakenhut, sowie der Leiter des Evangelischen Kirchenamtes für die Deutsche Bundeswehr, Militärgeneraldekan Erhard Knauer, vorgenommen. Finanziert wurde das Gotteshaus zu je einem Drittel vom Katholischen und Evangelischen Militärbischof und vom Bundesministerium der Verteidigung. Das Grundstück für Kirche und Gemeindehaus hatte der Amerikaner Charles J. Dugan den Kirchengemeinden geschenkt.

Bischof Mixa bezeichnete in seiner Predigt während des Firmgottesdienstes, den außerdem Prälat Walter Theis, der katholische Militärpfarrer für Fort Bliss und die Air Force Base, Norbert Achcenich, sowie Pastoralreferent Hubert Münchmeyer gestalteten, die Kirche als Zeichen der Identität des gemeinsamen Glaubens und der Zusammengehörigkeit. „Hier können wir uns als große Familie fühlen“. An dem Gottesdienst wie auch am Standortgottesdienst am darauf folgenden Tag nahm auch Oberst Fahl als evangelischer Christ teil. Musikalisch umrahmt wurde der Gottesdienst vom Kirchenchor „Arche Noah“, dessen Lieder den Sängerinnen und Sängern offensichtlich genauso viel Freude bereiteten wie den Gottesdienstbesuchern. Noch gibt es einiges zu tun. Die Sakristei ist noch nicht komplett eingerichtet, die katholischen Christen erwarten eine Sakramentskapelle. Eine besondere Freude aber bereitete Bischof Mixa dem Sprecher des Seelsorgebezirksrats, Stabsfeldwebel Andreas Kurz, mit dem Versprechen, sich für ein eigenes Gemeindehaus einzusetzen. Das Grundstück dafür ist vorhanden und ein eigenes Gemeindehaus würde das bereits jetzt äußerst aktive und harmonische Gemeindeleben weiter fördern.

Dabei hat der 45 Jahre alte Pfarrer Achcenich auch noch die katholische Gemeinde im etwa 135 Kilometer von Alamogordo entfernt liegenden Fort Bliss in Texas zu betreuen. In Texas, wo alles ein bisschen größer und eben auch ein bisschen anders ist als im Rest der Vereinigten Staaten. Die Deutsche Luftwaffe ist seit 1966 in Fort Bliss und damit in El Paso präsent. Die Raketenschule der Luftwaffe USA ist nach dem Fliegerischen Ausbildungszentrum in Holloman AFB die zweitgrößte Ausbildungseinrichtung der Luftwaffe im Ausland. 1966 wurde die Schule von Aachen an den heutigen Standort verlegt. Deutsche Soldaten wurden aber schon seit 1956 bei der US Anti-Aircraft Artillery an Guided Missile School in Fort Bliss ausgebildet.

Im September 1940 wurde Fort Bliss als Ausbildungsort für Flugabwehrkräfte gewählt und entwickelte sich schnell zum führenden Ausbildungsstandort für Flugabwehr. Heute ist Fort Bliss Ausbildungseinrichtung und Standort zugleich für nahezu sämtliche Flugabwehreinheiten und Verbände der US Army. Viele verbündete Nationen nutzen diesen Standort ebenfalls, um ihren Flugabwehrsoldaten die entsprechende Ausbildung zukommen zu lassen oder zumindest in Form von Verbindungsstäben am Zentrum der Flugabwehr der Neuzeit vertreten zu sein.

Militärbischof Mixa mit dem Vorsitzenden des Seelorgebezirksrates, Hauptfeldwebel Andreas Kurz
Von „hoher Zufriedenheit“ der deutschen Soldaten, die an den Waffensystemen „Hawk“ und „Patriot“ ausgebildet werden, spricht Brigadegeneral Dierk-Peter Merklinghaus, Kommandeur des Deutschen Luftwaffenkommandos US/CA. Er informiert Militärbischof Walter Mixa gemeinsam mit Oberst Rainer Nitschke, Kommandeur der Raketenschule, über den Auftrag der Raketenschule der Luftwaffe USA. Jährlich gibt es demnach etwa 51 Lehrgänge mit etwa sechshundert Lehrgangsteilnehmern. Die Ausbildung findet dabei sowohl am Waffensystem selbst als auch an Hörsaalversionen statt, wo die jeweils originalen Waffensystemkomponenten in Unterrichtsräumen aufgebaut sind. Daneben stehen Simulatoren zur Verfügung, an denen von der Grundlagenausbildung bis zum Führen des Feuerkampfes im Geschwaderrahmen eine große Bandbreite an Ausbildung realisiert werden kann. Insgesamt werden etwa 28 verschiedene Lehrgangstypen bei einer Dauer von einer Woche bis zu dreizehn Monaten durchgeführt. Seit Bestehen der Schule wurden an den verschiedenen Waffensystemen mehr als 46.000 Soldaten ausgebildet. Und wie in Holloman, so ist immer wieder zu hören, verläuft die Zusammenarbeit mit den Amerikanern auch in Fort Bliss optimal.

Auch in Fort Bliss hört sich Bischof Mixa die Anliegen der Soldaten an. Als Militärbischof wird der Bischof von Eichstätt immer wieder auf das Thema Irak angesprochen. Mixa nennt einen Krieg nur das „allerletzte Mittel“, um größeres Unheil zu verhindern. Er sei nicht „blauäugig“, um nicht zu wissen, dass es „Schurkenstaaten“ gebe. Und einer der Führer eines solchen Staates sei Saddam Hussein. Dennoch sei er besorgt, falls es zu einem Krieg kommen sollte. „Es müssen zunächst alle Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden“.

Neben einer Taufe (das Kleinkind wird auf den Namen Quentin Franz getauft) steht im Mittelpunkt des Besuchs in Fort Bliss der Firmgottesdienst, die vorhergehende Begegnung mit den Firmlingen und deren Eltern. Die Firmlinge hatte Bischof Mixa bereits beim Besuch der Deutschen Schule kennengelernt. Und auch Brigadegeneral Merklinghaus, der evangelische Christ, nimmt am Firmgottesdienst wie am Standortgottesdienst in Chapel V, dem von beiden Konfessionen genutzten Gotteshaus, teil.

Nachdenklich steht Bischof Mixa am Grenzfluss Rio Grande, der das reiche El Paso von der armen mexikanischen Stadt Juarez trennt. Der aus Westernfilmen bekannte Fluss ist eine Enttäuschung. Er ist in ein Bett aus Beton gezwängt, nur ein Rinnsal. Wie auf einer Perlenschnur aneinandergereiht stehen im Abstand von mehreren hundert Metern an der Grenze Patrouillenwagen der texanischen Grenzpolizei. Das gelobte Land liegt so nah und ist für die Mexikaner doch so fern. Einen Ausflug in die Geschichte bietet der so genannte Mission Trail. Die ältesten Siedlungen der Weißen in Texas entstanden rund um die spanischen Missionen und Presidios entlang dem Rio Grande in der Umgebung des heutigen El Paso. Der Mission Trail, durch Schilder mit dem Symbol einer Missionskirche markiert, führt durch mexikanisch-indianische Stadtteile El Pasos bis zu den Missionen von Ysleta und Socorro nordöstlich der Stadt. Dass übrigens in El Paso der Wilde Westen zum Greifen nah ist, dürfte kaum verwundern. Überall gibt es Erinnerungen an die Zeit der Revolverhelden, Viehdiebe, Saloons, berühmter Marshalls und Texas Rangers. Besonders Billy the Kid ist hier zum Mythos geworden. Doch das ist – oft phantasievolle – Geschichte.

In der Deutschen Schule in Alamogordo
Mehr beeindruckt zeigt sich Militärbischof Mixa von der Realität. So, als er von Hilfsaktionen von Bundeswehrangehörigen im mexikanischen Grenzgebiet erfährt. Die Frauen von „Helping Hands“ etwa versorgen die Bevölkerung in den Randgebieten der Stadt Juarez mit lebenswichtigen Nahrungsmitteln. Der Bischof stellt für die verschiedenen Projekte tausend Dollar zur Verfügung.

Welch ein Kontrast zu diesen Orten stellt das mehrere Flugstunden entfernte Washington D. C. dar. Hier, in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten, hatte die Reise ihren Anfang genommen. Eine kurze Stadtrundfahrt ermöglicht nur flüchtige Eindrücke. Während die Avenues, Parks und Gebäude in zentraler Lage gepflegt sind, zerfallen einige der ärmsten Viertel in der Umgebung. Im Zeitraffer sieht man das Washington Monument, diesen 170 Meter hohen Obelisken, das Jefferson Memorial und das Lincoln Memorial. Das Weiße Haus huscht am Autofenster ebenso vorbei wie das Capitol. Washington muss man ein anderes Mal entdecken.

Es sind die Begegnungen, die unvergessliche Eindrücke hinterlassen. Da ist die überaus herzliche Begrüßung in der Deutschen Botschaft durch Verteidigungsattaché Brigadegeneral Peter Goebel, der Besuch bei Theodore Kardinal McCarrick im weiträumigen Pastoralzentrum sowie das Treffen mit dem amerikanischen Militärbischof Erzbischof Edwin F. O'Brien. Kardinal wie Militärbischof nehmen sich viel Zeit für die deutschen Gäste, sind sich mit Bischof Mixa einig in der Beurteilung der Irak-Politik. In dieser Frage setzt ein Chief Chaplain, ein Zwei-Sterne-General, beim Arbeitsessen im Pentagon andere Akzente: Wenn Saddam Hussein nicht ins Exil gehe, müsse es eben Krieg geben. Der General als Vorgesetzter aller Militärpfarrer ist ein evangelisch-lutherischer Geistlicher. In diesem Amt wechseln sich die Vertreter der christlichen Konfessionen und jüdische Rabbiner in einem festgelegten Turnus ab.

Endlos lange Flure im Pentagon, dem Zentrum der amerikanischen Verteidigungspolitik. An den Wänden hängen Gemälde ranghoher Offiziere, von historischen Schlachten, Fotos und Landkarten von den Verbündeten der Vereinigten Staaten. Am Ende eines Flurs plötzlich Stille. In diesen Sektor ist am 11. September eines der Terrrorflugzeuge eingeschlagen. Wir betreten eine Gedenkstätte, auf einer Marmorwand sind die Namen der hier Getöteten zu lesen. Nebenan öffnet sich die Tür zu einer Kapelle. Erinnerung im Gebet an die Opfer des 11. Septembers.

Draußen hat es aufgehört zu schneien. Zwei Hubschrauber mit der Aufschrift „United States“ schrauben sich knatternd in den winterlichen Himmel. Sie wirbeln einige Papierfetzen auf, die nach und nach zu Boden schweben. Auf einem ist das Wort „peace“ zu entziffern.


Text und Fotos: Carl-H. Pierk
Der Text erschien in der Zeitung "Die Tagespost" (DT Nr. 18) am 13. Februar 2003
Bearbeitung: Scherzer/KMBA

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"Schnappschuss" beim Empfang
In El Paso, hier mit Bischof Armando Xavier Ochoa (2.v.l.)
Der Militärbischof wird in die Arbeistweise und Aufgabe der Simulatoren eingewiesen
Gottesdienst in El Paso: Militärbischof Mixa spendet das Sakrament der Firmung
Blick nach Mexiko
Besuch bei US-Militärbischof Edwin F. O’Brien (l.)
Gedenkstätte für die Opfer des 11. September 2001 im Pentagon
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