50 Jahre katholische Militärseelsorge - Pressestimmen (Fortsetzung)

Ein Segen für die Streitkräfte

Fünfzig Jahre Einsatz der katholischen Militärseelsorge für die Bundeswehr

Quelle:www.die-tagespost.de
Geschichte ist ohne Vorgeschichte nicht zu haben. So auch die der Militärseelsorge in der Bundeswehr nicht. Geschichte an der Schnittstelle von Kirche, Staat und Gesellschaft. Denn die Feldgeistlichkeit in Uniform war, ist und bleibt ein Politikum. Die Armeeseelsorge lieferte 1932 Nuntius Eugenio Pacelli den formalen Ansatz, jenseits der Länderkompetenzen ein Konkordat mit dem Reich vorzuschlagen. Der Vatikan akzeptierte das günstige Angebot der NS-Regierung vom Juli 1933, das von demokratischen Partnern zuvor nicht zu haben war. Man meinte, damit zugleich hinreichende Sicherheiten für die institutionellen Rechte der Kirche angesichts der weithin misstrauisch betrachteten "Nationalen Revolution" in Händen zu haben. In einem geheimen Anhang zum Konkordatstext wurde die zuvor eingeräumte "exemte", das heißt von den deutschen Bischöfen unabhängige kirchliche Organisation der Armeeseelsorge, gleich unter Aspekten der geplanten, friedensvertragswidrigen "allgemeinen Heeresvergrößerung" ausgeweitet.
Mit dem Erlass zugehöriger Päpstlicher Statuten 1935 waren die kirchlichen Rechtsgrundlagen der Heeresseelsorge vollendet. Der frisch ernannte Standortpfarrer Berlin und spätere Feldgeneralvikar Georg Werthmann benannte im selben Jahr die zentralen Inhalte des katholischen Soldatenethos in seiner kleinen Schrift "Wir wollen dienen". Als zu Beginn der 50-er Jahre im "Amt Blank" über eine neue Wehrmacht nachgedacht wurde, stand die Notwendigkeit einer wirksamen Soldatenseelsorge außer Zweifel. Zumal die Katastrophe des Russlandkrieges gezeigt hatte, dass die Soldaten - zumindest sehr viele unter ihnen - den Pfarrer in Uniform nicht missen wollten. Darunter auch hohe und höchste Dienstgrade, ein Novum in der preußisch-deutschen Militärgeschichte. Denn in monarchischen Zeiten war die Religion im Militär eher etwas für den "gemeinen Mann" gewesen.
Aber auch Politik spielte eine Rolle. Die Anwesenheit der Kirche in den Streitkräften bringt "Segen". Wo die Geistlichkeit ist, können die Grundlagen nicht unethisch sein, denkt man vielfach nach wie vor. Angesichts des heftigen Streits um die Wiederbewaffnung war die Adenauer-Regierung darum bereit, den Wünschen der Kirchen bei der Neuordnung der Militärseelsorge so weit wie möglich entgegenzukommen. Seit November 1951 verhandelte man in vertraulicher Stille. Das gilt übrigens auch für die evangelische Kirche, die als Dritter mit am Tisch saß und sich - im Gegensatz zur öffentlich geäußerten Kritik an der "Aufrüstung" - als sehr kooperationsbereit erwies.
Wie bei der dann "Bundeswehr" genannten neuen Wehrmacht ging es beim Neubau der Militärseelsorge nicht ohne Personal mit entsprechender Erfahrung. Georg Werthmann hatte sich schon frühzeitig für eine Rolle als Planer und Verhandlungsgehilfe in Stellung gebracht. Nominell Beauftragter der Fuldaer Bischofskonferenz - die Nuntiatur hielt sich in dieser Vorbereitungsphase gern zurück - war der von deren Vorsitzendem, seinem Kölner Erzbischof Joseph Frings, benannte Prälat Wilhelm Böhler, der in allen militärischen Fragen ohne Kenntnisse war. Seine zentrale Vorgabe war die Sicherung des Reichskonkordats von 1933, dessen Weitergeltung definitiv dann erst durch Urteil des Verfassungsgerichts im Jahr 1957 bestätigt wurde. Zu dem Zeitpunkt war die neue Militärseelsorge bereits längst etabliert.
Was aber ist neu an dieser Seelsorge? Zuerst Organisation und Struktur. Der Militärbischof ist nicht mehr "eingebaut", also als staatlicher Beamter unmittelbar von staatlichen oder militärischen Weisungen abhängig. Da nunmehr ein residierender Diözesanbischof dieses Amt "in Zweitfunktion" wahrnimmt, ist die kirchliche Unabhängigkeit gestärkt und die Einbindung in den Episkopat des Landes gewährleistet, der auch bei der Bestellung des Amtsinhabers wirksam Einfluss nehmen kann. Die "Doppelgleisigkeit" beginnt erst mit dem Generalvikar des Militärbischofs, der mit dem (staatlichen) Titel Militärgeneralvikar - als staatlicher Beamter - an der Spitze der militärbischöflichen Kurie steht, deren Kern die dem Verteidigungsministerium unmittelbar nachgeordnete Bundesoberbehörde "Katholisches Militärbischofsamt" darstellt.
Der Militärgeneralvikar erfreut sich - der Bischof residiert weitab von Bonn oder jetzt Berlin, von der Welt der Politik und der Streitkräfte entfernt - unter solchen Vorgaben eines großen Verantwortungsfeldes.
Georg Werthmann wird das bewusst gewesen sein. Die nicht zuletzt auf seine Darstellung zurückgehende Fixierung auf den Wehrmachtfeldbischof Franz Justus Rarkowski als Negativbeispiel eines "hauptamtlichen" Bischofs im Militär hat diesen Aspekt der neuen Machtverteilung kaum in Erscheinung treten lassen. Der Kirchlichkeit der Seelsorge in der Bundeswehr dient auch die Rechtsstellung der Militärgeistlichen. Als "Standortpfarrer" leiten sie eine eigene Kleinst-Dienststelle, zu der noch der ihnen unterstellte Pfarrhelfer gehört. Sie sind nicht mehr in militärische Stäbe integriert. Weil nur auf Zeit von Diözese oder - immer seltener - Orden für diesen Dienst freigestellt, entwickeln sie auch in der Regel nicht Bewusstsein und Gehabe eines berufsmäßigen Militärklerus. Dass sie zudem - zumindest in der "alten Bundeswehr" vor 1989 - keine Uniform trugen, war dem zivilen Selbstverständnis zusätzlich förderlich.
"Die Kirche kommt zu Ihnen!" Der Titel des Werbefilms der Anfangszeit zeigt das damals auch in der Soldatenseelsorge klerikal dominierte Kirchenverständnis. Mit Werthmann, der wieder sein früheres Amt als Generalvikar eingenommen hatte, kamen von Anfang an nicht nur ehemalige Feldgeistliche, sondern auch Jugend- und Männerseelsorger in die Bundeswehr. Ihr bewusst ziviles Outfit gab dieser Seelsorge von Anfang an ein neues Gesicht: Kirche unter den Soldaten. Eben auch mit ihnen. Zumal die nicht wenigen jungen Offiziere, die aus Mitgliedsverbänden der katholischen Jugend kamen, engagierten sich im Königsteiner Offizierkreis und später in der Gemeinschaft katholischer Soldaten (GKS), der sich dann auch Unteroffiziere anschlossen. Die Laienbewegung war in den Streitkräften angekommen.
Das setzt uneingeschränkte Vereinigungsfreiheit auch für Soldaten voraus. Der Soldat als Bürger - nicht umgekehrt - wie im Konzept "Innerer Führung" als "Staatsbürger in Uniform" für die neue deutsche Armee in der Demokratie gewollt, machte auch eine neue Gestalt von Militärseelsorge möglich. Der Mann, der das begriffen hat und umfassend gestaltete, war Martin Gritz, Generalvikar von 1962 bis 1981. Der ungediente Schlesier, Kirchenhistoriker und ursprünglich für eine akademische Laufbahn vorgesehen, verfügte über klaren, analytischen Verstand, einen weiten Blick - und hatte ein Herz für die Soldaten und "seine" Pfarrer. Er sah die Chance, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil eröffnete Gegenwart der "Kirche in der Welt von heute" in der Pastoral der Militärseelsorge Wirklichkeit werden zu lassen:
Dienst des Soldaten als Dienst am Frieden, "Seelsorge am Arbeitsplatz" Bundeswehr, Mitverantwortung der Laien, Ökumene. Die Bildungsreform in den Streitkräften machte der ehemalige Oberpfarrer an der "Schule für Innere Führung", Martin Gritz, auch für die Militärseelsorge fruchtbar. Dort, wo die Bundeswehr sich selbst geistig gestaltete und ihren Führernachwuchs ausbildete, war die Militärseelsorge durch Seelsorger, oft auch durch Dozenten für Theologie und Ethik präsent - vor allem an den Offizierschulen, den Akademien und den bundeswehreigenen Universitäten.
Der Lebenskundliche Unterricht, das zweite Standbein für den Seelsorger in der Truppe, verlor durch diese Ausrichtung den letzten Hauch der früheren "Kasernenstunden". Für Gritz und seinen aus dem Aachener Bistum stammenden, durch und durch "zivilen" Nachfolger Ernst Niermann (1981 - 1995) war es eine ausgemachte Sache, dass eine Militärseelsorge sich auch an die Bundeswehr als ganze wenden musste.
Soldatenseelsorge am Einzelnen, zumal in Not- und Ausnahmesituationen, ist wichtig, ja zentral. Aber nicht losgelöst vom öffentlichen Gottesdienst, von der Verkündigung und der geistig-geistlichen Begleitung hoher Verantwortungsträger. Dafür stehen die alljährlichen Feiern des Weltfriedenstags, zu denen zahlreiche Diözesanbischöfe "ihre" Soldaten einladen, die Gründung des kürzlich in Hamburgs Zentrum verlegten "Instituts für Theologie und Frieden" mit seinem unvergessenen Leiter Professor Ernst Nagel und die "Tage der Besinnung", zu denen der Militärbischof die katholischen Generale und Admirale jedes Jahr einlädt. Der Seele des Soldaten ist nicht ohne Sorge um Herz und Verstand zu dienen.
Die Militärbischöfe - von Joseph Wendel über Franz Hengsbach, Elmar Maria Kredel, Johannes Dyba bis Walter Mixa - schlugen die Brücke zur Gesamtkirche. Und die erwies sich auch in schwierigen Zeiten als sehr belastbar. Bei der "Gemeinsamen Synode der Bistümer" (1971 - 1975) wurde der Dienst am Frieden, den Soldaten leisten können, nicht zugunsten der im damaligen Zeitgeist dominierenden Kriegsdienstverweigerung abgewertet.
Als wenige Jahre später durch weltweit agierende "Friedensbewegungen" der ethische Kern der Nato-Verteidigungsdoktrin in Frage gestellt wurde, war eine wirksame Mitarbeit aus der Militärseelsorge gewünscht und geleistet, um das Bischofswort "Gerechtigkeit schafft Frieden" (1983) vorzubereiten. Bischofskonferenz und Bundesregierung sorgten bei einer gesamtkirchlichen Neuordnung der Militärseelsorge dafür, dass der bewährte "deutsche" Weg ihrer Organisation und Praxis seinen Platz im Gesamt der Weltkirche behalten konnte. Und - ein kleines Wunder - die katholische Weite, gewährleistet durch das bischöfliche Amt, machte nach der Wiedervereinigung der deutschen Staaten nahezu bruchlos den Aufbau einer Seelsorge unter und mit Soldaten auch in den neuen Bundesländern möglich.
Aufträge, Organisation, Ausbildung und personelle Zusammensetzung der Bundeswehr haben sich zwischenzeitlich grundlegend verändert. Der Katholikenanteil liegt unter 30 Prozent. Beide Kirchen zusammen drohen in eine Minderheitenposition zu geraten. Und auch bei der katholischen Minderheit wird das religiöse Grundwasser immer flacher. Ein Tatbestand, der militärischen Führern aller Ebenen nicht verborgen bleibt. Wen wundert es da, wenn einzig die notwendige Anwesenheit des Pfarrers im Auslandseinsatz unbestritten ist. Was an militärseelsorglichem Aufwand darüber hinausgeht, wird immer begründungsbedürftiger. Der gegenwärtige Militärgeneralvikar Walter Wakenhut hat gerade darüber in den vergangenen Monaten in ungewohnter Deutlichkeit öffentlich mehrfach Klage geführt.

Autor: Harald Oberhem
Dipl.-Theol. Harald Oberhem M.A. ist freier Mitarbeiter am "Institut für Theologie und Frieden", Hamburg.


Quelle: www.bildpost.de
50 Jahre Militärseelsorge bei der Deutschen Bundeswehr

Pfarrer in Uniform

„Authentisch und wahrhaftig sein, die Wahrheit bekennen und nichts schönreden, den jungen Menschen Orientierung bieten, zuhörenkönnen, verschwiegen sein.“ Diese Eigenschaften sollte ein Militärseelsorger nach Meinung von Wolfgang Bier mitbringen, wenn er gegenüber den Soldaten bestehen möchte, sei es in der Heimat oder im Auslandseinsatz.

Eigenschaften, die sicherlich auch schon Geltung hatten, als die Katholische Militärseelsorge in der Deutschen Bundeswehr ins Leben gerufen wurde. Und das jährt sich in diesen Tagen zum 50. Mal. Am 4. Februar 1956 wurde Joseph Kardinal Wendel, Erzbischof von München und Freising, die Seelsorge für die katholischen Soldaten und ihre Familien anvertraut. Er war damit der erste Katholische Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr. Heute hat der Augsburger Bischof Walter Mixa dieses Amt inne. Sitz des Militärbischofsamtes ist Berlin. Militärgeneralvikar ist zur Zeit Walter Wakenhut.
Und Wolfgang Bier? Er ist Militärpfarrer in der Balthasar-Neumann-Kaserne in Veitshöchheim bei Würzburg. „Damit bin ich Leihverbeamtet beim Bundesministerium für Verteidigung.“ Das Ministerium bezahlt auch sein Gehalt.
„Bei der Einstellung hat das Verteidigungministerium ein entscheidendes Wort mitzureden.“ Der Kandidat
werde genau überprüft, der Sicherheit wegen. Trotzdem: „Die Militärseelsorger sind nicht Teil der Bundeswehr, sondern wir begleiten sie nur“, erläutert Bier. „Wir haben keinen Dienstgrad, und die Uniform, die wir tragen, ist für uns bloße Schutzkleidung.“ Sechs Jahre ist Bier mittlerweile im Dienst und verlängert gerade. Möglich sind zwölf Jahre. Mit der Begrenzung der Dienstzeit soll einer Militarisierung
der Seelsorge bei den Streitkräften vorgebeugt werden und sie zugleich noch stärker als Teil der Gesamtseelsorge wahrnehmbar werden lassen. Bier untersteht in dieser Zeit dem Militärbischof und nicht mehr seinem Ortsbischof.
„Jede Diözese hat Priester für die Militärseelsorge abzustellen beziehungsweise auszuleihen, so auch mein Heimatbistum Würzburg.“ Daß er in Veitshöchheim eingesetzt wurde, sei eher Zufall gewesen, meint Bier. Denn ein Militärpfarrer könne bundesweit zum Zuge kommen.
Bier macht seine Arbeit Spaß. „Ich war früher gerne Soldat, noch lieber bin ich heute Priester, beides verbunden ist einfach toll!“ erklärt der 48jährige. Bier hat seine eigene Bundeswehrkarriere hinter sich, war zuletzt Hauptmann der Reserve bei der 12. Panzerdivision. „Als ich meine Vorgänger im Amt erlebt habe, dachte ich nie daran, daß ich selbst mal Pfarrer werde“, erzählt der Spätberufene.
Heute kommt seine Bundeswehrerfahrung ihm zugute, sie war vielleicht auch Grund, warum er sich auf die Stelle bei der Bundeswehr bewarb. „Es redet sich anders mit dem Kompaniechef, wenn man weiß, was er tun muß.“ Verschlossen darf ihm keine Tür bleiben, ein Militärpfarrer hat ein sogenanntes Vortragsrecht: „Egal, wo ich anklopfe, auch bei einem General, ist mir die Tür aufzumachen. Aber ich weiß auch, wo ich als Pfarrer fehl am Platz bin.“
Was die Seelsorge betrifft, meint der Militärpfarrer, biete die Bundeswehr besondere Chancen. Denn hier traue sich so mancher Soldat, was er zu Hause nicht versuchen würde. „In der Kaserne oder auch im Einsatz beobachtet ihn keiner, hier kann er ungestraft fragen, gerade auch den Pfarrer.“ Dazu kommt noch die Bundeswehr als Ort der kurzen Rede. „Da heißt es schnell: ,Hey Pfarrer, ich muß mal mit Ihnen reden‘, und dann wird auf eine Zigarette oder ein Bier in Kürze über eine Glaubensfrage oder ein seelsorgliches Problem gesprochen.“
Die meiste Zeit seiner sechs Jahre verbrachte Bier im sogenannten „Team hotel“, das heißt in den Kasernen im Heimatland. Im Einsatz war er bis jetzt einmal, 2002 in Prizren im Kosovo, für ein halbes Jahr. Das sei ein ganz anderes Geschäft als in Deutschland. „Wir abolvieren das gleiche Training im
Vorfeld, wie die Soldaten auch“, so Bier: „Wie rettet man Leute aus dem Kampfstand, wie werden welche Wunden versorgt oder wie verhält man sich im Minenfeld.“
Eine Besonderheit des Lebens im Einsatz hebt er hervor: „Gottesdienste haben dort eine besondere Qualität.“ Sie werden besser angenommen, als gedacht. „Immerhin bildet der Sonntagsgottesdienst die einzige Struktur im Einsatz, der sonst Tag für Tag gleich abläuft.“ Plötzlich habe man Sänger, eine Kapelle und ein Kirchencafé im Anschluß, erzählt Bier über die Freude der Soldaten.
Ansonsten kommen im Einsatz natürlich ganz andere Themen zur Sprache, so weit und so lange weg von der Heimat. „Der Soldat absolviert dort täglich seinen Dienst, schluckt Staub, sitzt in der Kälte und bewacht. Gleichzeitig aber merkt er: politisch verbessert sich eigentlich nichts.“ Da kämen dann Fragen, auf die Bier selbst häufig keine Antwort weiß. Er spürt: eine neue Zeit ist längst angebrochen, auch für die Militärseelsorge.

Autor: Alfred Herrmann


Quelle: www.rheinischer-merkur.de 9.2.06
Fragen an Franz Josef Jung:

„Ethische Urteilskraft fördern“

RHEINISCHER MERKUR: Die Militärseelsorge in der Bundeswehr ist 50 Jahre alt. Ist das bisherige Modell angesichts der Veränderungen in der Bundeswehr auch zukunftsfähig?

FRANZ JOSEF JUNG: Das deutsche Modell der Militärseelsorge hat sich bewährt. Die seelsorgerliche Begleitung der Soldatinnen und Soldaten ist eine unverzichtbare Leistung der Militärseelsorge – an den Standorten wie auch bei den Einsätzen. Militärseelsorge umfasst allerdings mehr als Betreuung. Sie versteht sich auch als Anwalt für unsere Führungsphilosophie, die innere Führung. Wir begrüßen insbesondere, dass die Militärseelsorge unsere Soldatinnen und Soldaten weiterhin dabei unterstützen wird, ein ethisch reflektiertes soldatisches Selbstverständnis zu entwickeln und ihre moralische Urteilsfähigkeit zu stärken.

o Im vergangenen Jahr gab es Unruhe, weil das Ministerium bei der Besetzung von Seelsorgestellen in die Autonomie der Militärseelsorge einzugreifen schien. Die Richtzahl von 1500 Soldaten auf einen Seelsorger wird nicht mehr überall erreicht. Wo stehen Sie in diesem Konflikt?

Die Zahl der benötigten Militärseelsorger im erweiterten Aufgabenspektrum der Bundeswehr kann man nicht an rechnerischen Größen, sondern nur am Bedarf bemessen. Es geht hier um Seelsorge, Wertorientierung und Betreuung von Soldatinnen und Soldaten im In- und Ausland, und das vor dem Hintergrund unseres vereinigten Vaterlandes mit den entsprechend unterschiedlichen biografischen Entwicklungen.

o Welche Rolle kommt den Militärseelsorgern heute bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu?

Die Begleitung durch Militärseelsorger wird von der überaus großen Mehrheit unserer Soldatinnen und Soldaten, unabhängig von Alter, Dienstgrad, Herkunft, Kirchenzugehörigkeit oder religiöser Bindung, als wichtig betrachtet. Sie sehen die Militärseelsorger zu Beginn ihres Einsatzes überwiegend als eine Art Feuerwehr für Notfälle, auch im privaten Bereich. Mit zunehmender Einsatzdauer zeigt sich, dass ihre Inanspruchnahme der seelsorgerlich-beratenden Gespräche immer mehr an Bedeutung gewinnt.

o Militärpfarrer halten den Lebenskundlichen Unterricht ab. Soll dieser Unterricht künftig auch von anderen angeboten werden?

Im Bereich des Lebenskundlichen Unterrichts werden die Militärseelsorger ihre Schlüsselrolle behalten. Die Zahl der Soldaten muslimischen und jüdischen Glaubens ist in den vergangenen Jahren merklich gestiegen. Muss man ihnen irgendwann eine entsprechende Seelsorge anbieten?

In der Bundeswehr haben alle Soldatinnen und Soldaten die Gelegenheit, ihr religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis zu pflegen. Eine eigene institutionalisierte Militärseelsorge gibt es angesichts der geringen Anzahl von Angehörigen dieser Glaubensrichtungen nicht.

o Wird die Konkurrenz zwischen den Truppenpsychologen und den Seelsorgern wachsen?

Für Konkurrenz gibt es keinen Platz. Alle Angehörigen der Bundeswehr dienen einem gemeinsamen Auftrag und ergänzen sich hinsichtlich ihrer Fähigkeiten und Aufgaben. Truppenpsychologen und Militärseelsorger sind Partner im Netzwerk der Hilfe und Betreuung zum Wohle unserer Soldatinnen und Soldaten.

Die Fragen stellte Rudolf Zewell.


Quelle: www.rheinischer-merkur.de 9.2.06
Afghanistan.
Militärpfarrer Hans-Georg Müller über seinen Einsatz beim deutschen Kontingent


„Mein Traumberuf“

Der Saarländer war in Amerika stationiert und auch auf dem Balkan dabei. Nun begleitet er die Truppe am Hindukusch. Der Rheinischer Merkur sprach mit ihm.

Die Mobilfunkverbindung nach Kabul ist ausgezeichnet. Mit einem lebhaften „Ja, Müller“ meldet sich der Gesprächspartner am anderen Ende, in Camp Warehouse. Und wie ist die Stimmung dort? „Wir hatten bisher großes Glück, es gab keine Anschläge auf deutsche Soldaten.“ Angesichts der durch Mohammed-Karikaturen ausgelösten Proteste und Ausschreitungen an mehreren Orten in Afghanistan, so auch in der Hauptstadt, herrscht erhöhte Wachsamkeit. Kein Alltag also für das deutsche Isaf-Kontingent, das hilft, die Situation in diesem noch lange nicht befriedeten Land zu stabilisieren.
Fast drei Monate ist Hans-Georg Müller inzwischen in Afghanistan stationiert. Es ist nicht sein erster Einsatz fern der Heimat. Der 49-Jährige sagt es frisch heraus: „Militärpfarrer zu sein ist eine Traumverwendung für mich.“
Müller kommt aus Saarbrücken, seit 14 Jahren arbeitet er in der Militärseelsorge, erst als Militärpfarrer in Wuppertal und Essen, dann drei Jahre im Saarland. Anfang 1996 führt ihn sein erster Auslandseinsatz für vier Monate nach Kroatien. „Eigentlich heißt es Auslandseinsatzbegleitung“, sagt Müller. Diese Differenzierung ist nicht unwichtig. Eine interessante Zeit war es jedenfalls für ihn, weil einfach vieles Neuland war, auch für die Militärseelsorge. Fünf Jahre, von 1996 bis 2001, war Müller dann in El Paso stationiert, in einer ganz anderen Welt. Dort hatte er ein Gebiet von 20 Millionen Quadratkilometern zu betreuen, „die größte Pfarrei unter Gottes Himmel“. Er war zuständig für alle deutschen Soldaten in den USA und Kanada. Er war auch im Kosovo, Prizren. Und nun Kabul.

Intensives Arbeiten

Der Auslandseinsatz für ein deutsches Kontingent dauert vier Monate, zwischendurch waren es einmal sechs Monate gewesen, doch 2005 hatte man das wieder auf vier Monate reduziert. Das kommt vielen Soldaten entgegen. Sie wollen nicht so lange von den Familien getrennt sein. Auch dem Militärpfarrer ist das recht. Er wechselt zugleich mit dem Kontingent. „Es gehört zu meiner Aufgabe, dass ich alle anderthalb, zwei Jahre die Truppe ins Ausland begleite.“ Eigentlich wäre der Abschied von der Truppe längst fällig gewesen. Normalerweise ist der Dienst auf zwölf Jahre begrenzt. Doch Müller erhielt, weil er so gerne dabei ist, von Ministerium und Militärbischofsamt eine Vertragsverlängerung.
1350 deutsche Soldaten sind im Camp stationiert, im Hauptquartier noch einmal 50 und am Flughafen 20, also insgesamt rund 1400 Mann. Nimmt man die Einheit im Norden des Landes dazu, sind insgesamt 2600 deutsche Soldaten in Afghanistan. In einem Dreivierteljahr wird sich das ganze Engagement auf den Norden konzentrieren. In Kabul bleiben dann noch 400 bis 500.
Während Müller im heimatlichen Standort, in Zweibrücken, für den ganzen südwestdeutschen Bereich zuständig ist, für Saar und Pfalz, und dort fast jeden Tag drei, vier Stunden im Auto verbringt, ist die Arbeit des Militärpfarrers in Camp Warehouse viel konzentrierter. „Es ist ein ganz intensives Arbeiten. Man macht alles zu Fuß. In einem solchen Feldlager entfaltet sich die dichteste Form von Militärseelsorge.“ Wenn er das Lager verlässt, unterliegt er den gleiche Sicherheitsbestimmungen wie die Soldaten, fährt im gepanzerten Fahrzeug, trägt Splitterschutzweste und Helm.
Mehr noch als im heimatlichen Standort steht im Camp das persönliche Gespräch mit den Soldaten im Zentrum, sagt Pfarrer Müller. „Man muss im Lager präsent sein. Die einen spreche ich an, andere kommen von selbst.“ Vor zwei Jahren im Kosovo, erinnert er sich, hatte er viele Krisengespräche zu führen. Vor allem junge Soldaten mit Beziehungs- und Trennungsproblemen suchten seinen Rat, aber es ging auch um Krankheits- und Todesfälle in den Familien. Nicht selten stellte sich die Frage: Ist eine vorzeitige Rückkehr in die Heimat möglich?
Und wie ist das Verhältnis der Truppe zur Bevölkerung? „Wir haben ein gutes Einvernehmen. Das ist übrigens meine Erfahrung bei allen Einsätzen, in Kroatien, im Kosovo und auch hier in Afghanistan.
Die Deutschen geben einfach ein gutes Bild ab. Sie halten sich strikt an die Neutralität, auch im Verhalten der Bevölkerung gegenüber.“ Hier macht sich die Vorabausbildung bezahlt. Die Soldaten, zumindest die Führung auf allen Ebenen, absolvieren Lehrgänge, um die Verhaltensweisen zu lernen. „Die Vorbereitung ist heute auf hohem Niveau.“
Der Militärpfarrer ist dem Kommandeur und den Offizieren zur Zusammenarbeit zugeordnet, aber mehr nicht. „Ich nehme an bestimmten Besprechungen teil“, sagt Müller, „man muss schließlich wissen, was anliegt. Ich bin aber nicht in die militärische Hierarchie eingebunden. Ich kann frei und unabhängig von allen Weisungen handeln. Das Kreuz auf meiner Schulterklappe gewährt mir Unabhängigkeit in meiner Arbeit. Ich kann jedem gegenüber unbefangen auftreten, brauche auf keine Dienstgrade zu achten. Ich bin Ansprechpartner, Mittels- und Vertrauensmann für alle.“ In fast allen anderen Armeen haben Militärgeistliche Offiziersrang und sind truppendienstlich dem Kommandeur unterstellt – so wie es in Deutschland bis 1945 auch war. Als Müller während seiner Zeit in den Vereinigten Staaten den besonderen Status deutscher Militärseelsorge erklärte, erhielt er zur Antwort: „Das ergibt Sinn.“
Müllers Tagesablauf ist ziemlich genau festgelegt: „Ich bin Frühaufsteher. Viertel nach sechs ist
schon spät. Auch wenn man als Militärpfarrer gewisse Freiheiten hat, sollte man den Tag über genaue Zeitstrukturen einhalten. Nach dem Aufstehen ins Verpflegungszelt, die morgendliche Lagebesprechung mit dem Chef des Stabes und den Offizieren, der Gang zur Post. Die Post ist viel wichtiger als in der Heimat. Einen Brief hält man mehrmals am Tag in der Hand und liest ihn mehrmals durch.“ Die Feldpost ist „hervorragend organisiert mit Mitarbeitern der Deutschen Post, die als Reservisten vier Monate Dienst tun“. Ein solches Camp hat übrigens ein Postaufkommen wie eine Kleinstadt mit 20000 Einwohnern.
Später steht für den Militärpfarrer der Besuch im Feldlazarett an. „Es hat den Standard eines deutschen Kreiskrankenhauses“, findet er. Nicht nur Soldaten werden hier behandelt, sondern von Fall zu Fall auch Einheimische. „Eine gute Sache.“
Täglich schaut er auch in der „Oase“ vorbei. Das ist eine Betreuungseinrichtung der katholischen und evangelischen Militärseelsorge, wo auch Veranstaltungen stattfinden. Das 70 Meter lange Holzhaus ist eine überkonfessionelle Einrichtung für alle Nationen, die „sehr gut angenommen“ wird. Der Ort strahlt Gemütlichkeit aus, deutsche Gastronomie trägt dazu bei. Innerhalb der „Oase“ gibt es einen Kirchenraum für etwa 80 bis 90 Personen.

Gemeinsam machen

„Ökumene“, sagt Müller, „geht nirgends so gut wie in der Militärseelsorge.“ Das gilt übrigens auch für die Standorte in der Heimat. „Was anliegt, wird gemacht. Mal ist der eine weg, mal der andere, zu Konferenzen, Werkwochen, zur Wallfahrt nach Lourdes. Wer da ist, ist für die Anliegen der Soldaten zuständig. Der evangelische Pfarrer bietet Abendmahlsgottesdienste an, und ich feiere mit den katholischen Soldaten die Eucharistie. 70 bis 80 Soldaten kommen jeweils. Ökumene bedeutet einfach Zusammenarbeit. Was wir anstreben, wird auch gemeinsam gemacht.“
Beim letzten Auslandseinsatz hatte Müller drei Soldaten getauft. „Mit denen war ich dreimal die Woche am Nachmittag zusammen zum Vorbereitungsgespräch. Das Material dazu haben mir die beiden Pfarrhelfer in Zweibrücken und Saarlouis geschickt.“ Den Kontakt lässt Müller bei keinem Auslandsaufenthalt abreißen. „Ich rufe meine Pfarrhelfer jeden zweiten Tag an, es gibt ja immer wieder auch zu Hause Probleme bis hin zu Todesfällen.“
Auch in Kabul hat er – zum ersten Mal beim Auslandseinsatz – einen erfahrenen Stabsfeldwebel als Pfarrhelfer an seiner Seite. Dieser kümmert sich unter anderem um die bürokratischen Angelegenheiten – auch die kennt ein Militärseelsorger nur zu gut. Da er diese Hilfe als sehr wichtig einschätzt, hat er dem Militärbischofsamt empfohlen, auch allen anderen Militärpfarrern im Ausland einen Pfarrhelfer zu genehmigen.
Ein besonderes Ereignis gab es vor zwei Wochen: Camp Warehouse erhielt eine Glocke. Ein Hauptmann hatte sich auf die Suche gemacht und war bei der Glockengießerei Perner in Passau fündig geworden. Die 180 Kilo schwere Marienglocke mit dem Gnadenbild von Altötting ist als Dauerleihgabe Anfang Januar in Kabul eingetroffen. Sie wurde in die „Oase“ gebracht. „Hier“, erzählt Müller, „haben Pioniere einen zwei Meter hohen Glockenturm aus Holz gebaut, stabil und schön anzuschauen. Die Glocke ist eine Brücke zur Heimat. Beim Gottesdienst wurde sie kurz angeschlagen, nicht laut tönend aus Rücksicht auf die Muslime. Der Mullah, der mich alle zwei Wochen im Lager besucht und dann eine Gebetsstunde mit den einheimischen Mitarbeitern hält, hat keine Probleme damit.“

Autor: Rudolf Zewell

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