Lebenskundliche Arbeitsgemeinschaft des Zentralen Blutspendedienstes | | Hausen/Walbreitbach, 14.09.06. Die Soldaten des Blutspendedienstes der Bundeswehr fahren normalerweise das ganze Jahr über quer durch Deutschland, um Blut abzunehmen zur Hilfe für andere Menschen. Diesmal machte sich jedoch eine Gruppe im Rahmen eines Lebenskundlichen Tagesseminars auf den Weg, um sich mit anderen Alltagsdingen zu beschäftigen, mit einer Situation, die jeden treffen kann. Mit der Militärseelsorge, unter Leitung von Frau Dr. Henkel besuchten sie das Josefshaus in Hausen/Walbreitbach, einem Wohnheim für Behinderte und einem Pflegeheim mit drei Wachkomastationen mit 39 Bewohnern. Man wollte sich informieren, um die Situation solcher "apallischen Patienten", aber auch über das christliche Menschenbild dahinter kennenzulernen, das den Pflegenden Kraft gibt, mit Wachkomapatienten menschenwürdig umzugehen.
Der voriges Jahr in den Medien breit diskutierte Fall über die Wachkomapatientin Terry Shiavo war allen noch in guter Erinnerung, als die Soldaten zum Teil das erste Mal in ihrem Leben selbst solche Wachkomapatienten sahen und feststellten: Diese Menschen hängen nicht an Maschinen, sie können selbstständig atmen und schlucken und bekommen zum Teil alles mit, was in ihrer Umwelt passiert. Die Patienten entspannen sich, wenn sie ihre Lieblingsmusik hören, jemand mit ihnen spricht oder sie mit großem Pflegeaufwand ins Schwimmbad gebracht werden. Beeindruckend war die Vorstellung einer Patientin, die nach fünf Jahren Wachkoma wieder sprechen und sich bewegen kann. Nur wenige Patienten sind echte Apalliker, bei denen die Funktion des Stammhirns teilweise ausgefallen ist.
Trotzdem müssen die meisten von ihnen mit einer Magensonde ernährt werden. Alle Patienten bedürfen einer intensiven Pflege und Zuwendung rund um die Uhr, was oft an die Grenzen der Belastung für das Pflegepersonal führt. Die Würde des Menschen anzuerkennen, trotz seiner schweren Behinderung und die Frage nach einer wirtschaftlichen Kostennutzungsrechnung stehen oft in einer Spannung zueinander. Ethische Fragen gab es also genug zu diskutieren.
Die Gruppe wurde empfangen von Bruder Ulrich, dem Generalsuperior der Franziskanerbrüder vom Heiligen Kreuz. Er verstand es in einzigartiger Weise, den Soldaten das Leitbild des Ordens, und damit verbunden auch des Pflegeheimes den Offizieren nahezubringen. Das Vermächtnis des Ordens geht zurück auf den Gründer Bruder Jakobus Wirth von 1862 und lautet folgendermaßen: "Das Wort Gottes, das von den Kranken zu uns spricht, ist für uns eine ausdrückliche Aufforderung, aus unserer Lethargie aufzustehen und den Kampf gegen das Leid aufzunehmen." Bruder Ulrich formulierte dies noch anders, in dem er sagte: Jeder von uns ist ein Brückenbauer, ein Pontifex, dem es gelingen kann, durch seine Zuwendung Brücken zu anderen Menschen, auch zu den Kranken, zu bauen. Alle Mitarbeiter des Hauses unterstehen diesem hohen Anspruch und versuchen durch ihre Hinwendung zum Menschen das Ideal des christlichen Menschenbildes zu leben.
Dass dieses christliche Menschenbild ein Qualitätsmanagement erfordert und oft kollidiert mit wirtschaftlichen Interessen der Krankenkassen und Sozialhilfeträger, wusste Bruder Ulrich spannend vorzutragen. Da jeder Mensch in die Situation einer schweren Behinderung, auch des Wachkomas kommen kann, (durch Autounfall, Wespenstich, Schwimmbadunfälle, Schlaganfall, Drogenmissbrauch etc.), wurde gerade dieser wirtschaftsethische Teil mit regem Interesse diskutiert. Wer muss bezahlen und geht auch das eigene Haus des Kranken in die Kostendeckung der Versorgung ein?
Veränderungen im Sozial- und Gesundheitswesen erfordern immer wieder neue Lösungen für die vielfältigen Probleme und Aufgaben, denen sich unsere Gesellschaft zukünftig offensiv stellen muss, ohne dabei die Not des Menschen aus dem Blick zu verlieren.
Nach dem gemeinsamen Mittagessen und der Führung durch die Pflegedienstleiterin über eine Wachkomastation sprachen die Soldaten über rechtliche Fragen und ethische Grenzsituationen mit der Klinikseelsorgerin Frau Schneider. In dieser Arbeitseinheit wurden existentiell ethische Fragen der Patientenverfügung und der gerichtlichen Betreuung lebhaft diskutiert. Bereichert mit vielen Eindrücken traten wir nachmittags die Fahrt nach Koblenz an, in der einhelligen Meinung, wie wichtig die Eindrücke des Tages doch für die eigene Bewusstseinserweiterung, gerade auch von jungen Soldaten waren.
Text und Foto:
Dr. Annegret Henkel |