Der Katholische Militärbischof zum Weißbuch 2006

Stellungnahme des Katholischen Militärbischofs Dr. Mixa (Augsburg) zum Weißbuch 2006 "Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr"

Berlin, 12/2006. Wir begrüßen die Erstellung des Weißbuches 2006 als neuen Orientierungsrahmen, insbesondere zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie als Bezugsdokument für die vom Bundespräsidenten schon im Oktober vergangenen Jahres geforderte Diskussion zu Stellung und Aufgaben der Bundeswehr in der deutschen Gesellschaft.

Im Jahre 2000 haben wir deutschen Bischöfe in unserem Hirtenwort "Gerechter Friede (1)" eine friedensethische Perspektive entfaltet, die, ausgehend von der christlichen Friedenshoffnung, Grundsätze einerpolitisch-ethischen Friedensverantwortung angesichts der sicherheits- und friedenspolitischen Herausforderungen benennt. Dieses Schreiben ist der Ausgangspunkt für eine friedensethische Beurteilung des Weißbuchs 2006 der Bundesregierung, das eine aktuelle sicherheitspolitische Standortbestimmung vorlegt.

Die christliche Lehre vom Menschen, der als Geschöpf Gottes unabhängig von staatlichen Zugehörigkeiten Würde und fundamentale Rechte besitzt, ist das Fundament unserer kirchlichen friedensethischen Verkündigung, deren Ziel die Realisierung menschenwürdiger Zustände für alle Menschen ist. Auf dieses Ziel ist jede einzelstaatliche (Sicherheits-) Politik hinzuordnen In der Perspektive dieses Weltgemeinwohls wollen wir auf einige friedensethische bedeutsame Aspekte im Weißbuch 2006 hinweisen.

Staatliche Interessen und internationales Gemeinwohl

Das Weißbuch macht deutlich, dass die Sicherheitspolitik Deutschlands von dem Ziel geleitet wird, "die Interessen unseres Landes zu wahren". Die Spannbreite der beschriebenen Interessen reicht von Recht und Freiheit der Bürger über den "freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstandes" bis "zur Achtung der Menschenrechte und der Stärkung der internationalen Ordnung auf der Basis des Völkerrechts" (S.8-9).

Einzelstaatliche Interessen und die Interessen der ganzen Völkergemeinschaft werden in der summarischen Aufzählung nebeneinander gestellt. Offen lässt das Weißbuch, wie Einzelinteressen (z.B. unser Wohlstand) und Interessen der Allgemeinheit (z.B. Stärkung der internationalen Ordnung) in Ausgleich gebracht werden können.

Weil der Wohlstand zwischen armen und reichen Staaten der Welt ungleich verteilt ist, kann aus Sicht der kirchlichen Friedensethik "der freie und ungehinderte Welthandel als Grundlage unseres Wohlstandes" nur dann als Interesse verteidigt werden, wenn in gleicher Weise an der Überwindung der bestehenden Ungerechtigkeit gearbeitet wird, damit alle in angemessener Weise am Wohlstand partizipieren können. Unmoralisch wäre die Verteidigung unseres Wohlstandes gegen die legitimen Interessen benachteiligter Völker.

Nicht zuletzt weil das Problem nicht ausreichender Lebensgrundlagen durch die Migration der Menschen von der südlichen Halbkugel nach Europa kommt, weist das Weißbuch zu recht darauf hin, dass nach den Ursachen der "Migration" zu suchen ist (S. 22). Im Kern geht es also darum, die Interessen der armen und der reichen Völker in einen Ausgleich zu bringen. So hat bereits der verstorbene Papst Johannes Paul II in seiner Enzyklika Centesimus Annus 1991 im Blick auf die Verteilung der weltweiten Ressourcen gefordert: "Man wird die Prioritäten und die Wertskalen, auf Grund derer die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen getroffen werden, neu definieren müssen." (CA 28).
Eine politische Begründung militärischer Einsätze in Krisenregionen ist erst dann auch moralisch überzeugend, wenn deutlich wird, dass "unsere Interessen" - zu deren Verteidigung deutsche Soldaten in internationale Einsätze geschickt werden - nicht gegen die Interessen der von den Kriegsfolgen am meisten betroffenen Bevölkerung durchgesetzt werden, sondern dass deren Interessen zumindest gleiche Berücksichtigung finden. Hier besteht eine politische und moralische Begründungspflicht nicht zuletzt gegenüber den Soldaten und ihren Familien; daher müssen einer ethisch tragfähigen Einsatzbegründung erhöhte Anforderungen an die verantwortliche Politik und die Streitkräfte gestellt werden. (2)

Zur Bedeutung der Vereinten Nationen

Zu den "Konstanten" deutscher Sicherheitspolitik werden die "internationalen Verpflichtungen, die sich aus unserer Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen" ergeben (S.23), genannt. "Deutschland setzt sich dafür ein, die Vereinten Nationen zu stärken" (S.51).

Insgesamt wird den Vereinten Nationen im Weißbuch allerdings zu wenig Raum gewidmet wird. In der katholischen Friedensethik spielen sie als Meilenstein auf dem Weg zu einer internationalen Rechtsordnung dagegen eine ganz entscheidende Rolle (3). Die Stärkung und Weiterentwicklung des Völkerrechts wie der UN sind der übergreifende Rahmen, in dem eine Sicherheitspolitik und als ultima ratio auch militärische Einsätze ethisch zu bewerten sind. Aus ethischer Perspektive geht es darum, die latente zwischenstaatliche Anarchie zu überwinden und Recht zwischen den Staaten zu etablieren. Militärische Einsätze, die über die Landesverteidigung hinausgehen, müssen letztlich diesem Ziel dienen, dann und nur dann sind "Soldaten Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker" (GS 78). Die vielfach geforderte moralische Legitimation soldatischen Dienens im Ausland hängt davon ab, dass ihr Einsatz dem Frieden in diesem umfassenden Sinne dient.

"Risiken bekämpfen, bevor sie entstehen"

Unter dem Begriff der "Prävention" werden im Weißbuch Überlegungen behandelt, auf Kriegs- und Gewaltursachen möglichst schon zu reagieren, bevor sie sich krisenhaft entwickeln. Im Aktionsplan "zivile Krisenprävention" sollen ressortübergreifende Anstrengungen gebündelt und durch präventiven Einsatz "die Notwendigkeit insbesondere militärischer Krisenreaktion vermindert werden" (S.26). Während sich mit diesen Aussagen eine gewissen Kohärenz mit der in "Gerechter Friede" eingeforderten Gewaltprävention nahe zu legen scheint (vgl. GF 66ff), bleiben doch Fragen.

Im Kontext der Bekämpfung des internationalen Terrorismus haben manche Staaten dem Begriff der Prävention eine andere Bedeutung gegeben: Terroristische Organisationen sollen aufgrund der von ihnen ausgehenden Bedrohung bekämpft werden, bevor sie Attentate ausüben können. In der Debatte ist dies zu der Position ausformuliert worden, einen militärischen Schlag durchzuführen, bevor die Gefahr unmittelbar ist.

Nicht eindeutig ist nun, was das Weißbuch unter der folgenden Aussage versteht: "...wirksame Ursachenbekämpfung ... erfordert, Risiken und Bedrohungen für unsere Sicherheit vorzubeugen und ihnen rechtzeitig dort zu begegnen, wo sie entstehen" (S.8). Da die Aussage im Kontext der Abwehr des internationalen Terrorismus steht, kann sie als Begründung einer vorbeugenden Selbstverteidigung gelesen werden, die ausschließlich auf sicherheitspolitische Risiken rekurriert, ohne auf die völkerrechtlich gebotene Einbindung in das System kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen zu achten. Wenn dies intendiert sein sollte, ist allerdings auf die Gefahr einer solchen Entwicklung deutlich hinzuweisen. Sollte sich eine solche Entwicklung herausstellen oder gar politisch gewollt sein, bedeutet es einen Bruch mit der politischen Absicht, die Vereinten Nationen zu stärken.
Damit würde auch das Bemühen der Kirche konterkariert, Sicherheit gemeinsam im Rahmen der Vereinten Nationen herzustellen und das individuelle Kriegsführungsrecht der Staaten durch die Herrschaft des Rechts langfristig zu überwinden. Deshalb haben wir deutschen Bischöfe davor gewarnt "die Verantwortung der Vereinten Nationen für den Weltfrieden auszuhöhlen" (4). Dies wäre nicht nur politisch falsch, es würde aus Sicht der kirchlichen Friedenslehre auch zu einem Verlust moralischer Legitimität entsprechender Einsätze führen.

Innere Führung in multinationalen Verbänden

Das Weißbuch selbst weist auf die Schwierigkeiten hin, das deutsche Konzept der Inneren Führung auch in multinationalen Verbänden als Leitlinie zu erhalten, wenn es betont, dass die "Entwicklung gemeinsamer Vorstellung von Führung und soldatischem Selbstverständnis ... eine Voraussetzung für eine weitere Intensivierung der Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik" ist (S.71). So sehr die weitere Integration von Streitkräften in Europa aus der Perspektive der kirchlichen Friedensethik zu unterstützen ist, darf dies nicht um den Preis der "Inneren Führung" geschehen. So unterstützen wir deutschen Bischöfe diese Haltung der politisch Verantwortlichen in einer eigenen Erklärung zum Soldatendienst, indem sie vor der "Tendenz zur Nivellierung der Inneren Führung (warnen), hervorgerufen aus dem Bestreben, die Entscheidungsabläufe innerhalb der multinationalen Verbände zu harmonisieren" (5).

Qualität in der Nachwuchsgewinnung

Als ein wesentlicher Grund für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht (für junge Männer) wird im Weißbuch angeführt, dass sie "eine solide Grundlage (schafft), um geeigneten Nachwuchs an länger dienenden Soldaten zu erhalten" (S.71). Wir unterstützen dies. Angesichts der ethischen und interkulturellen Herausforderungen für Soldaten im Einsatz ist es - auch im Blick auf jüngste Vorkommnisse - dringend geboten, auch bei geringer werdenden Jahrgangstärken die Kriterien für die psychische Belastbarkeit für freiwillig länger dienende Wehrpflichtigen hochzuhalten und sich den Herausforderungen für Ausbildung und Erziehung in den Streitkräften zu stellen.

Ausblick und Wertung

Wir hoffen, dass das Weißbuch 2006, aber auch unsere friedensethischen Lehrschreiben in friedensethischer Hinsicht Wirkung entfalten und die gesellschaftliche Diskussion positiv beeinflussen.
Unabhängig davon danke ich dem Bundesminister der Verteidigung für die Würdigung des Dienstes der Militärseelsorge im Weißbuch. Sie unterstreicht das hohe Engagement der Militärseelsorgerinnen und -seelsorger in ihren unterschiedlichen Einsatzbereichen sowie die Bedeutung der Militärseelsorge für die Bundeswehr generell als unverzichtbaren Bestandteil auch bei der Vermittlung von Werten.

Literatur:

(1) Die deutschen Bischöfe 66, Gerechter Friede, Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2000

(2) Die deutschen Bischöfe Nr. 82, "Soldaten als Diener des Friedens", 20. November 2005, S.10.

(3) Vgl. Gerechter Friede Nr. 104 ff.

(4) Gerechter Friede Nr. 139.

(5) Die deutschen Bischöfe Nr. 82, "Soldaten als Diener des Friedens", 20. November 2005, S.11; vgl. auch Die deutschen Bischöfe Nr. 66, Gerechter Friede S. 80.

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