Der ehemalige Leiter des Studienkreises Katholischer Offiziere am Institut für Theologie und Frieden (IThF) in Hamburg zieht Bilanz.

Interview mit Oberst a. D. Ludwig Jacob

Militärgeneralvikar Walter Wakenhut (rechts) würdigte das Engagement des ehemaligen Stabsoffiziers: Oberst a. D. Ludwig Jacob (links) erhält die Ehrenmedaille der Katholischen Militärseelsorge für sein langjähriges Wirken als Leiter des Studienkreises Katholischer Offiziers am Institut für Theologie und Frieden (Hamburg) Mit dabei: PD Dr. Heinz Gerhard Justenhoven (Mitte), der das Hamburger Friedensinstitut leitet.
Foto: König
Berlin, 10.03.2008. Militärgeneralvikar Walter Wakenhut würdigte das Engagement des ehemaligen Stabsoffiziers Oberst a. D. Ludwig Jacob und überreichte ihm die Ehrenmedaille der Katholischen Militärseelsorge. Kompass. Soldat in Welt und Kirche interviewte Oberst a. D. Ludwig Jacob bei dieser Gelegenheit.

Kompass. Soldat in Welt und Kirche: Die Gründung eines Studienkreises Katholischer Offiziere, welcher am Institut für Theologie und Frieden (IThF) angesiedelt ist, geht zurück auf eine Initiative des damaligen Militärgeneralvikars Prälat Dr. Ernst Niermann. 1992 starte das Vorhaben unter Ihrer Leitung. Was hat Sie damals veranlasst dieses Vorhaben mit zu verantworten, was waren zu diesem Zeitpunkt die sicherheitspolitischen und friedensethischen Themen, die den Studienkreis Katholischer Offiziere bewegten?

Oberst a. D. Jacob: Das Aufflammen innerstaatlicher Gewaltkonflikte in Bosnien-Herzegowina ab 1991 sowie Srebrenica und Ruanda 1994/95 mit Massenmord, Vergewaltigung, Vertreibung und Terror gegen die Zivilbevölkerung machte eine umfassende Neuorientierung der weltweiten Sicherheitsvorsorge zwingend notwendig; das galt für Politik, Gesellschaft und auch für die Streitkräfte. Die Bundeswehr betrat nicht nur konzeptionell und strukturell Neuland, sondern es galt auch, ihre geistigen und moralischen Grundlagen auf die neuen Herausforderungen auszurichten. Aus diesen Bedingungen ergeben sich für die Soldaten neue Anforderungen an Charakter und Können, an Ausbildung, Menschenführung sowie an die Fähigkeit zum Zusammenwirken mit anderen Nationen und nicht zuletzt an ihre politische und ethische Bildung. An dieser Bildung mitzuwirken, ist das Anliegen der katholischen Militärseelsorge, und hier setzte auch meine Arbeit mit dem Offizierkreis an:

Ausgangspunkt war eine intensive Auseinandersetzung mit den von extremer Gewaltanwendung geprägten Konflikten sowie ihren Ursachen und Erscheinungsformen, um dann die sich daraus ergebenden neuen Aufgaben internationaler Friedenssicherung mit ihren politischen, rechtlichen und ethischen Implikationen herauszuarbeiten. Unter Anleitung von qualifizierten Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Religion ist in den Seminaren eine möglichst umfassende Wissensbasis sowie Urteilskompetenz und Werteorientierung aufgebaut worden, um in der militärischen Einsatz-Praxis verantwortbare Entscheidungen treffen zu können und diese dann auch in Extrem-Situationen unter großer psychischer und physischer Anspannung durchhalten zu können. Insgesamt geht es darum, ein von christlicher Ethik geprägtes Berufs- und Auftragsverständnis zu entwickeln und zu fördern. Der Geist des "miles protector", des "schützenden Soldaten", kann nicht per Dekret verordnet werden, sondern muss sich letztlich aus innerer Einsicht heraus entwickeln.

Kompass. Soldat in Welt und Kirche: Bereits zu diesem Zeitpunkt zeichneten sich folgenreiche Änderungen der außen- und sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen auch für die Ausrichtung deutscher Streitkräfte ab, die dem nordatlantischen Bündnis angehören. Zu erinnern gilt an das Ende des Ost - Westkonfliktes, der einherging mit Instabilitäten in den ehemaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrages, dem Zerfall Jugoslawiens und den damit verbunden Kriegen auf dem Balkan. Was hat den Studienkreis bewegt? Wie wurden die Themen aufgearbeitet?

Oberst a. D. Jacob: Der Krieg um das Kosovo hat vielen Soldaten große Probleme bereitet, weil er ohne eine völkerrechtliche Legitimation durch die Vereinten Nationen begonnen und in Deutschland eine völkerrechtsgemäße Begründung weitgehend durch Moral als Rechtfertigungsmittel ersetzt wurde. Erschwerend kommt hinzu, dass aufgrund der noch vorhandenen hohen Risiken und Kosten ein nachhaltiger friedenspolitischer Erfolg für die Region und für Europa bis heute ausgeblieben ist.
Gerade die Auseinandersetzung mit den Gewaltkonflikten in Bosnien, im Kosovo, in Afrika und in Afghanistan zeigt, dass die Aufgaben des Soldaten komplexer und anspruchsvoller geworden sind und der Soldat als Vorgesetzter nicht nur Verantwortung für die korrekte Ausführung von Befehlen trägt, sondern in seiner Person auch für die rechtliche Legitimität und politische und militärische Sinnhaftigkeit seines Auftrages einstehen muss. Der Soldat, der seine militärische Aufgabe als Dienst für den Frieden versteht, entwickelt ein besonderes Berufsverständnis, er erkennt die Notwendigkeit der Begrenzung militärischer Gewaltanwendung, um die zivile Bevölkerung zu schützen und die Chance auf einen Frieden ohne Hass offen zu halten. Das erfordert Empathie, das sich Hineinversetzen in die persönliche, wirtschaftliche, soziale und politische Lage der Menschen in dem Land, in dem man eingesetzt ist. Da der Soldat im Einsatz in ethische Konfliktsituationen geraten kann, wo er nur die Wahl zwischen zwei Übeln hat, und er seine Entscheidungen nach "bestem Wissen und Gewissen" treffen muss, geht es in den Seminaren ganz wesentlich um die Herausbildung eines "informierten" und "aufgeklärten" Gewissens, wobei jeder Gewissensentscheidung stets angemessenes Wissen sowie Werterkenntnis und -entscheidung zugrunde liegen sollte.

Kompass. Soldat in Welt und Kirche: Zwischenzeitlich, gut 16 Jahre nach dem Beginn des Studienkreises, finden deutsche Streitkräfte und die Soldatinnen und Soldaten zunehmend die Identität als "Streitkräfte im Einsatz". Gefragt nach Ihrem Rat. Was würden Sie der Politik und den Streitkräften im Hinblick darauf empfehlen?

Oberst a. D. Jacob: Für den deutschen Soldaten bedeutet die Transformation der Bundeswehr zu einer "Armee im Einsatz", daß die Wahrscheinlichkeit, in gewaltsame Konflikte eingreifen zu müssen, seit 1992 ständig gestiegen ist. Je mehr sich Bundeswehreinsätze jedoch von der unmittelbaren Landesverteidigung entfernen, desto bedeutsamer werden für die Soldaten Fragen, wie: Für welche Ziele soll die Bundeswehr eingesetzt werden? Welche Interessen sollen sie mit durchsetzen helfen? In welche Regionen sollen sie geschickt werden? Und: Welche Legitimation nach Verfassung und Völkerrecht gibt es? Für viele Soldaten, die in den heutigen Krisenregionen eingesetzt sind, bleiben wichtige Fragen, z.B. nach der friedenspolitischen Zielsetzung, nach der angemessenen Risikoakzeptanz sowie nach dem exakten Umfang ihres Auftrages, vielfach unbeantwortet.
Das heißt, militärische Optionen dürfen, z.B. in den Bundestagsdebatten, nicht isoliert betrachtet und verhandelt werden, sie müssen Teil eines politisch, gesellschaftlich und rechtlich abgesicherten Friedenskonzeptes sein. Hier sind jedoch bis heute deutliche Mängel und Unterlassungen festzustellen.
Der Soldat ist zugleich Staatsbürger, er hat vor allem als Vorgesetzter eine nicht auf das Parlament delegierbare politische und rechtliche Mitverantwortung, die auch durch einer aktivere Teilnahme der militärischen Führer an der politischen und ethischen Diskussion über den Einsatz von Streitkräften zum Ausdruck kommen sollte - ganz im Sinne der Forderung, die der Bundespräsident in seiner Ansprache am 14. September 2007 zum 50-jährigen Bestehen der Führungsakademie der Bundeswehr ausgesprochen hat. Neben dem fachlichen Können gilt es, das Bewusstsein ethischer Verpflichtung in der Bundeswehr weiter zu entwickeln und ein Berufsethos zu fördern, das die Soldaten auf die Sicherheit und Freiheit der Völker, auf die Achtung der Menschenrechte sowie das Völkerrecht verpflichtet.

Das Interview führte Josef König

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