Die Würde des Menschen ist unantastbar – und antastbar?von Dr. Detlef Buch | Foto: Ralph Umbach | Unter diesem Titel führten die Berliner Sicherheitspolitiker und Militärstrategen des Zentrums für Transformation ihr diesjähriges lebenskundliches Seminar durch. Tagungsort für die 2-tägige Veranstaltung war das Roncalli-Haus in Magdeburg. Wiederum war es der katholische Militärdekan Berlin I, Dekan Georg Pützer, der es dem Dezernat ermöglichte, ein Seminar in einer solch interessanten Einrichtung durchzuführen. Das Roncalli-Haus ist die Bildungs- und Begegnungsstätte des Bistums Magdeburg und eine vom Land Sachsen-Anhalt anerkannte Heimvolkshochschule. Das Haus ist zentral in der Innenstadt von Magdeburg gelegen. Den Namen hat das Haus von Papst Johannes dem XXIII., der mit bürgerlichem Namen Roncalli hieß.
Die Angehörigen des Dezernates Sicherheitspolitik/Militärstrategie nutzten dabei die Möglichkeiten der neuen Zentralen Dienstvorschrift 10/4 zur flexiblen Gestaltung des LKU, diesen in Form eines Blockseminars durchzuführen. Als Referent konnte Herr Carsten Vossel vom Haus Ohrbeck, nahe Osnabrück gewonnen werden. Der sympathische Sozialpädagoge und Wirtschaftspsychologe konnte die heterogene Gruppe um Oberst i.G. Peter Härle schnell für sich und die Thematik gewinnen und förmlich begeistern.
Schnell war man sich dann auch in der Gruppe einig, dass die Menschenwürde per se ein unveränderbares und unantastbares Gut darstellt. Neben der Menschenwürde gibt es allerdings auch auf einer anderen Ebene einen weiteren Würdebegriff. Diese allgemeine Würde, die im allgemeinen Sprachgebrauch z.B. in Formulierungen wie: „Das ist unter meiner Würde“ auftaucht, ist jedoch im Unterschied zur Menschenwürde verdienbar. Zur Feststellung dieser Unterscheidung definierten die Seminarteilnehmer, welche Begrifflichkeiten konkret mit der Menschenwürde in Verbindung gebracht werden können und welche nur dem Anschein nach. So wurden Begriffe wie Ausbeutung, Benachteiligungsverbot wegen Rasse, Geschlecht und Hautfarbe, ebenso wie die Situation des Sterbens unmittelbar und übereinstimmend der Menschwürde zugeordnet. Begriffe wie Hartz IV oder die Datenschutzdiskussion waren umstritten, wurden jedoch als eher nur scheinbar der Menschenwürde entsprechend bewertet. Auf jeden Fall einigte man sich darauf, das alles menschenunwürdig ist, was gegen das eigene Gewissen und unter Zwang stattfindet. Als Bewertungsmaßstab brachte der Referent die sogenannte Objektformel der Menschenwürde mit ins Spiel. Demnach ist die Menschwürde getroffen, wenn der konkrete Mensch zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe, zum Objekt herabgewürdigt wird. Diesem entgegenzuwirken ermöglicht der Rekurs auf die Positivdefinition von Wolfgang Höfling. Demnach bedeutet Achtung und Wahrung der Menschwürde Folgendes: 1.) Die Achtung und den Schutz der körperlichen Integrität, 2.) Die Sicherung menschengerechter Lebensgrundlagen, 3.) Die Gewährung elementarer Rechtsgleichheit und 4.) Die Wahrung der persönlichen Identität.
Schnell gelangte in diesem Zusammenhang der Afghanistan-Einsatz in den Mittelpunkt der Dskussion. Eines wurde dabei sehr deutlich: das Menschwürde und die Gewährung derselbigen einem starken Kulturbezug unterliegt. Dabei half das Modell des niederländischen Kulturwissenschaftlers Geert Hofstede weiter. Er bietet mit seinem 4-Dimensionen-Modell eine Antwort auf die Frage, wie verschiedene Kulturen unterschieden und verstanden werden können. Diese Dimensionen sind jeweils das Kontinuum vom Kollektvismus zum Individualismus und von Machtdistanz zu Machtnähe, die Unsicherheitsvermeidung sowie die Orientierung von maskulin oder feminin. Des Weiteren hilft es, um beim Beispiel Afghanistan zu bleiben, sich klar zu machen, dass kulturelle Wahrnehmung wie eine Zwiebel aufgebaut ist. Im äußeren Ring der Schale, also ohne Weiteres beobachtbar, befinden sich die Symbole der Kultur, im darauffolgenden die Vorbilder und Helden, dann kommen Verhaltensweisen und im Kern die Werte. Um letztere zu entschlüsseln, bedarf es sowohl des Wissens um die Kultur als auch der konkreten Erfahrung mit der Kultur. Das heißt, dass im Kontakt mit fremden Kulturen zwei Aufgaben zu bewältigen sind: Zum einen die Offenheit für die Möglichkeit fremder Wertvorstellungen zu gewährleisten und zum anderen die Geduld aufzubringen, diese als schwer zugängliche Mitte der Zwiebel nur langsam freilegen zu können. Am Ende des Seminars war man sich dann auch einig, dass gerade die hiermit verbundenen Spannungen für Bundeswehranghörige im Afghanistan-Einsatz bedeutsam sind. Dafür sensibilisiert zu sein und dieses verstanden zu haben, ist die Grundlage jeglichen Handelns im Auslandseinsatz.
So wurde am Ende der 2-tägigen Veranstaltung, auch die eingangs gestellte Frage eindeutig mit einem Unentschieden bzw. „sowohl-als auch“ beantwortet. Denn insbesondere beim Interagieren mit fremden Kulturen besteht immer die Gefahr des Verabsolutierens der eigenen Werte und damit zwangläufig der Nichtachtung der anderen und somit das Risiko des Antastens der Menschenwürde. In diesem Bewusstsein sorgt das Gebot der Unantastbarkeit für stetige „ethische Unruhe“ und die fortwährende Notwendigkeit der Reflexion.
Dr.phil. Detlef Buch
Major i.G.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Forschungsgruppe Sicherheitspolitik
Stiftung Wissenschaft und Politik
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