15 |
Weißbuch zur Sicherheitspolitik 2006Friedensethischer Dialog von Kirche und Politik Militärgeneralvikar Prälat Walter Wakenhut | Militärgeneralvikar Prälat Walter Wakenhut | Unsere Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel, hat in ihrem Vorwort die Hoffnung geäußert, dass das vorliegende Weißbuch einen Impuls für eine breite gesellschaftliche Debatte darüber geben wird, wie Deutschland seine Sicherheit in Frieden und Freiheit auch unter den bestehenden Bedingungen des 21. Jahrhunderts erfolgreich schützen kann.
Deshalb haben der Katholische Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr, Dr. Walter Mixa, und der Vorsitzende der Deutschen Kommission Justitia et Pax, Bischof Dr. Reinhard Marx zu dieser Tagung eingeladen, die Raum geben soll für einen Dialog zwischen Politik und Kirche.
Die kirchliche Friedenslehre, die in den bischöflichen Schreiben "Gerechter Friede" aus dem Jahre 2000 und "Soldaten als Diener des Friedens. Erklärung zur Stellung und Aufgabe der Bundeswehr" aus dem Jahre 2005 dargestellt wird, bildet für die kirchlichen Gesprächsteilnehmer den Bezugsrahmen, der die leitenden Fragestellungen vorgibt.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat sich die kirchliche Friedensethik zu einer zweistufigen Theorie entwickelt, die auf einer fundamentalen Ebene die Zielperspektive eines gerechten Friedens begründet und auf einer zweiten Ebene einen Katalog von Strategien entwickelt, die der Realisierung dieser Zielebenen dienen:
- Aufbau und Entwicklung internationaler Organisationen und verbindlicher Kooperationsstrukturen;
- Schutz und Förderung der Menschenrechte;
- Programme zur Bekämpfung der weltweiten Armut und der ökonomisch-sozialen Ungerechtigkeit;
- Entwicklung gewaltpräventiver Instrumente und Verbesserung von Methoden und
Mitteln ziviler Konfliktbearbeitung.
Sicherheitsbegriff und Sicherheitspolitik erfahren in diesem Kontext eine umfassende Erweiterung. Die Erhaltung der nationalstaatlichen Unabhängigkeit, der Schutz vor militärischer Gewalt und damit Kriegsverhinderung reichen als Ziele staatlicher Sicherheitspolitik nicht aus, wenn die Konfliktursachen in Problemlagen wie der ungleichen Verteilung von Gütern und Lebenschancen, in ökologischen Gefährdungen oder kulturell-ethnischen Disparitäten bestehen.
Dieser umfassende Sicherheitsbegriff ist zwischen Politik und kirchlicher Friedensethik nicht kontrovers. Freilich gilt das Interesse einer kirchlichen Friedenslehre nicht einfach den Instrumenten und Strategien zur Sicherung staatlicher Interessen gegen schwer kalkulierbare Risiken, sondern sie will friedensfördernde Zwecke und Ziele politischen Handelns formulieren und rechtfertigen.
Was in Wahrheit Friede oder Gerechtigkeit bedeutet, versteht sich freilich nicht von selbst. Die vorrangige Aufgabe kirchlicher Stellungnahmen zu sicherheitspolitischen Fragen ist es deshalb, einen diskursfähigen Beitrag zur Klärung dieser normativen Leitbegriffe in praktischer Absicht zu entwickeln, der mithin politisches Entscheiden und Handeln zu orientieren vermag.
Das bischöfliche Schreiben aus dem Jahre 2000 entfaltet die Idee des "Gerechten Friedens" als normative Zielbestimmung. Dieser gerechte Friede wird umschrieben mit dem Begriff des "Weltgemeinwohls". Die deutschen Bischöfe halten diesen Begriff für das Verständnis einer zukunftsfähigen internationalen Politik für unverzichtbar. Sie verstehen darunter nicht das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl von Menschen, sondern "die Gesamtheit jener gesellschaftlichen Bedingungen, die einer Person ein menschenwürdiges Leben ermöglichen" (vgl. Gerechter Friede Nr. 62). Ein friedensethischer Dialog mit dem Weißbuch 2006 muss deshalb diesen universalistischen Standpunkt des Weltgemeinwohls als Ausgangspunkt nehmen.
Es dürfte deutlich sein, dass eine Friedensethik, die sich unterhalb des sicherheitspolitischen Problemniveaus auf die Beurteilung militärpolitischer Strategien beschränkt, für die Orientierung der aktuellen Sicherheitspolitik wenig hilfreich ist. Allerdings gilt, dass politisches Handeln, das sich am Prinzip der Gewaltfreiheit im Sinne der Gewaltvorbeugung und Gewaltminderung ausrichtet, nicht vor der Möglichkeit bewahrt ist, dass es in Konfliktsituationen gerät. "Das Prinzip der Gewaltfreiheit kann mit der Pflicht konkurrieren, Menschen davor zu schützen, massivem Unrecht und brutaler Gewalt wehrlos ausgeliefert zu sein" (Gerechter Friede Nr. 67).
Militärische Gewaltanwendung ist nur als Ultima ratio erlaubt. Damit ist nicht nur verlangt, dass alle nichtmilitärischen Mittel der Konfliktlösung ausgeschöpft sind, sondern die Forderung der Ultima ratio impliziert eine positive Gestaltungsaufgabe für die Sicherheits- und Friedenspolitik. Nur im Rahmen einer entschlossenen Politik der Kriegsursachenbekämpfung und Gewaltprävention ist die Frage nach Kriterien militärischer Gewaltanwendung ethisch legitim. Wichtig für die katholischen Bischöfe ist weiterhin, dass jegliches militärische Handeln an das geltende Friedenssicherungsrecht und die dort festgelegten Verfahren gebunden sind (Gerechter Friede Nr. 154). Selbstmandatierte Militäreinsätze eines Nationalstaates oder eines Verteidigungsbündnisses tragen die Gefahr in sich, dass das in der Charta der Vereinten Nationen verankerte Gewaltverbot ausgehöhlt wird (ebd.).
Mit dem Gedanken des Weltgemeinwohls ist zudem immer auch die Forderung nach einer internationalen Rechtsordnung mit Strukturen der Rechtsdurchsetzung verbunden. Jeder Einsatz von Streitkräften ist deshalb daraufhin zu prüfen, ob durch ihn nicht die Entstehung einer staatenübergreifenden internationalen Rechtsordnung langfristig konterkariert wird.
Ich komme zu einem letzten thematischen Schwerpunkt unserer Veranstaltung: Die Konzeption der Inneren Führung. Für die deutschen Bischöfe ist sie eine unverzichtbare Grundlage der Bundeswehr, da sie militärisches Handeln an den Werten des Grundgesetzes bindet und die innere Ordnung der Streitkräfte an rechtsstaatlichen Grundsätzen und dem Schutz der Menschenwürde orientiert. Deshalb haben sie im November 2005 der Konzeption Innere Führung eine eigene Erklärung "Soldaten als Diener des Friedens. Erklärung zur Stellung und Aufgabe der Bundeswehr" gewidmet (sicherlich ein weltweit durchaus einmaliges Ereignis, dass Bischöfe sich zu Fragen militärischer Führungskonzeptionen bzw. Führungskulturen äußern).
Friedensethisch ist ein moralisch verantwortliches Entscheidungsverhalten der Soldaten ein hohes Gut. "Gerechter Friede" fordert ein ethisch reflektiertes soldatisches Selbstverständnis nicht zuletzt deshalb, weil ein ethisches Kernproblem jedes bewaffneten Konfliktes darin liegt, das er eine Eigendynamik freisetzen und deshalb nur allzu leicht in einem Übermaß an Gewalteinsatz enden kann (Gerechter Friede Nr. 151).
Ich verweise in diesem Zusammenhang nur - und dies ohne jede Ranküne oder Überheblichkeit - auf die Feldstudie des "Mental health advisory team survey" (November 2006) der US-Armee im Irak. Hier wird eine Verrohung bei der Beachtung ethischer Grundsätze im Einsatz konstatiert. Die Ergebnisse der Auswertung von Antworten der Soldaten im Bereich "Ethik auf dem Gefechtsfeld" zeigen, dass weniger als die Hälfte der Befragten glauben, dass Nichtkombattanten mit Würde und Respekt behandelt werden müssen. Ein Drittel glaubt, dass Folter erlaubt sein sollte, um das Leben der Kameraden zu retten. Zehn Prozent gestehen, irakische Nichtkombattanten misshandelt zu haben. Weniger als die Hälfte würde unmoralisches oder verbrecherisches Verhalten ihrer Kameraden den Vorgesetzten melden.
Offensichtlich besteht eine enge Korrelation zwischen Tod, Verwundung, Stress und sinkender moralischer Hemmschwelle. Diese Zusammenhänge müssen wissenschaftlich noch gründlicher analysiert werden, zeigen jedoch die Unverzichtbarkeit intensiver ethischer Bildung in den Streitkräften. Neben verstärkten Bildungsbemühungen halten die deutschen Bischöfe deshalb einsatz- und problembezogene Trainings zur konkreten Anwendung der Grundsätze der Inneren Führung unter Krisenbedingungen für ebenso erforderlich, wie kontinuierliche Bemühungen um Aufklärung über die geltenden Normen zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur Schonung gegnerischer Kombattanten. (s. Soldaten als Diener des Friedens Nr. 3.1)
Ich komme ans Ende meiner Einführung in die Thematik dieses Studientages. Die Berliner Zeitung vom Dienstag, 22.05.07 berichtet, dass der Bundesminister der Verteidigung immer wieder eine öffentliche sicherheitspolitische Debatte anmahne. Unser friedenspolitischer Dialog von Kirche und Politik will an dieser geforderten öffentlichen Debatte teilnehmen und zu weiteren Diskussionen anregen.
|
|
|