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Dieter Baumann: Militärethik

Theologische, menschenrechtliche und militärwissenschaftliche Perspektiven

Streitkräfte sind im vergangenen Jahrzehnt in Europa in eine neue Rolle gewachsen. Dieter Baumann, Oberstleutnant im Generalstab der Schweizer Armee, hebt in seinem beachtenswerten Band den Wandel der Aufgabe von Streitkräften mehrmals hervor: "Es gibt in der heutigen Zeit keinen gerechten oder sogar heiligen Krieg mehr, höchstens eine (völker-)rechtlich legitimierte Androhung oder Anwendung von militärisch organisierter Gewalt zum Schutz elementarster Menschenrechte innerhalb eines (internationalen) elementaren Gerechtigkeitskonzepts eines ‚gerechten Friedens in Freiheit.'"

Den Grundlagen und Auswirkungen einer solchen Entwicklung des Soldatenhandwerks geht Baumann in einer breit gefächerten Ausarbeitung nach. Seine beiden Kernfragen für die folgende Analyse des Soldatseins und dessen Zielgebung lauten: "Was soll ein heutiger Soldat tun?" bzw. "Welche legitimen Gründe gibt es, die einen Menschen berechtigen, in seiner Funktion als Soldat militärisch organisierte Gewalt anzudrohen und anzuwenden sowie in letzter Konsequenz zu töten?" und "Wie soll ein heutiger Soldat sein?" bzw. "Aus welcher Grundhaltung heraus soll ein Soldat handeln und sich verhalten?"
In seinem umfangreichen Werk untersucht Baumann dann theologische, menschenrechtliche und militärwissenschaftliche Aspekte des Soldaten heute und folgt einer vorrangig theoretischen Anleitung.

Kenner der Inneren Führung werden eine Vielzahl von Grundgedanken wiedererkennen, ohne dass Baumann sich ausdrücklich darauf bezieht. Ihm ist wichtig, die ethischen Ausrichtungen des Soldaten als eine wesentliche Aufgaben zu beschreiben, die christlichen Prinzipien hervorzuheben, die völkerrechtlichen Bedingungen zu kennzeichnen, um schließlich in einem vierten Teil die militärische Institution vorzustellen, die für die neuen Herausforderungen tauglich ist. Hierbei erkennt Baumann, "dass sich die Institution Armee in gewissen Bereichen immer mehr der Institution Polizei annähert und die Grenzen zusehends verschwimmen."

Abschließend formuliert Baumann einen umfassend angelegten Katalog, der sowohl einen Kodex der Militärethik enthält als auch "Gedanken zur militärischen Führung, Ausbildung und Erziehung" in Streitkräften. Dazu gehören Ausführungen "zu der menschenorientierten Führungsperson (Führung), dem reflektiert und effizient handelnden Soldaten (Ausbildung) sowie dem eigenverantwortlich handelnden Soldaten (Erziehung)."

Eine wahrlich sorgfältige und detaillierte Doktorarbeit, die Baumann da vorgelegt hat, die es verdient hat, eingehend studiert zu werden, weil sie eine Fülle von Anregungen zum militärischen Komplex in der politischen, gesellschaftlichen und militärischen Welt heute anbietet. Allerdings fehlt eine Reflexion der vorhandenen Grundlagen, auch der auf dieses Thema ausgerichteten Vorschriften in den Streitkräften anderer europäischer Armeen. Darüber hinaus wäre es hin und wieder angebracht gewesen, die tatsächlichen Bedingungen, Einflüsse und die von ethischen Grundsätzen abweichenden gegenwärtigen Kriege nachdrücklicher und eindringlicher hervorzuheben, um die theoretischen Ansätze an der Wirklichkeit messen zu können.

Gleichwohl bietet Baumann, wenn man so will, ein Handbuch zur Bestimmung eines modernen Selbstverständnisses des Militärs schlechthin und des Soldaten heute an - mit einem reichen Angebot, das einlädt, sich intensiv mit den Vorschlägen für begründetes militärisches Handeln und für soldatisches Verhalten auseinanderzusetzen und möglicherweise Handlungsanweisungen abzuleiten.

Franz H. U. Borkenhagen

Baumann, Dieter: Militärethik
Theologische, menschenrechtliche und militärwissenschaftliche Perspektiven,
Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2007
620 S., € 48,00