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"Moralisch korrektes Töten"?

Im Kompass 10/09, S. 4–7, hat der Philosoph und Ethiker Uwe Steinhoff wichtige Thesen aus seinem so übertitelten Buch aus dem Jahre 2006 wiedergegeben. Für eine Berufsethik des Soldaten ergäben sich mit einer Anerkennung und Übernahme der entfalteten Prinzipien und Normen erhebliche Konsequenzen. Eine Prüfung, inwieweit sie mit der Tradition katholischer Moral und Ethik zur Deckung zu bringen sind, empfiehlt sich also.

Außer-ethische Voraussetzungen

Im aus der angelsächsischen Ethik-Tradition stammenden Vertragsmodell spielt die Verteilung der Handlungsfolgen eine zentrale Rolle; die Erfüllung der normativen Vorgaben („Gebote“, Normen) tritt hingegen zurück. Die unverlierbare Würde eines jeden Menschen, die immer Achtung verdient, gerät aus dem Blick.

Die Trennung der Sphären von Moral, Recht und militärischem Handeln ist künstlich und lebensfremd. Für den Handelnden kommt es vielmehr darauf an, die ethische Dimension, die durch Recht geschützt und stark gemacht werden soll, in der konkreten Situation zu erkennen und zu verwirklichen. Zudem kommt Steinhoff die sozialethische Dimension von Gefecht und „Krieg“ abhanden. Kalkulierbares und verlässliches Handeln erfordert klare und verbindliche Vorgaben (Recht, Befehl und Gehorsam, Innere Führung). Sofern dieses militärische Handeln „geordnet“ erfolgt (und noch weitere Bedingungen erfüllt) , liegt ein bewaffneter Konflikt vor, in dem sich in der Regel die Kämpfer beider Seiten als rechtmäßig handelnd („gerecht“) verstehen („Kombattanten“). Der Begriff „gerecht“ ist dann nur noch bei einer Verletzung des Kriegführungsrechts relevant.

Es ist schlicht falsch, das militärische Handeln zumal im Gefecht auf die Tötung von Gegnern zu fokussieren. Es kommt vielmehr darauf an, die militärischen Optionen der Gegenseite systematisch einzuschränken und die eigenen zu verbessern. Dabei wird das direkte Töten des Gegners quasi billigend in Kauf genommen – unter Beachtung des Übermaßverbotes in der Anwendung militärischer Gewalt. Auch der Gegner verliert seine menschliche Würde nicht.

Fehleinschätzungen

Unter Rückgriff auf die katholische moraltheologische Tradition ist Steinhoff zu widersprechen:

- Entscheidend für die Mittelwahl bei der (gerechtfertigten) Verteidigung (Notwehr) ist das Prinzip der „Proportionalität“. Im rechtfertigenden Notstand aufgrund gegenwärtiger Gefahr ist auch ethisch die Tötung grundsätzlich nicht erlaubt.

- Der Angriff auf den (aktuell nicht kämpfenden) militärischen Gegner ist aufgrund der Gesamtzielsetzung des „Krieges“ zulässig; einer zusätzlichen individualethischen Berechtigung bedarf es nicht.

- Die moralische Aufladung im Begriff „schuldhafter Verursacher ungerechter Bedrohung“ (Politiker-Kaste) ist irreführend. Die politische Führung der gegnerischen Partei gehört zum Gesamt der Kämpfer und darf wie diese entsprechend angegriffen werden. Ein Targeting, das auf solche Kämpfer und Zivilpersonen gleichermaßen unmittelbar/direkt abzielt, ist moralisch nicht erlaubt. Nebenfolgen und vorhergesehene (beabsichtigte) Folgen einer Handlung mit Doppelwirkung müssen unterschieden werden.

- Nach wie vor lehrt die katholische Moral, dass Unschuldige (d. h. hier Nicht-Kämpfer oder Gleichzustellende) niemals direkt getötet werden dürfen. Diesen „moralischen Absolutismus“ nennt Steinhoff an anderer Stelle „einen gefährlichen und irrigen Standpunkt“.

Wer über Töten und Tod im „Krieg“ spricht, sollte sich immer vor Augen halten, von welcher Realität er redet. Konstruierte Gedankenexperimente „akademischer“ Ethik, in denen Würdeverletzungen bilanzierend aufgerechnet werden“ (H. Bielefeldt), werden dieser Wirklichkeit nicht gerecht.

Harald Oberhem