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"Unsere Priorität liegt bei der Prävention"

Interview mit Staatsminister Gernot Erler (SPD)

Staatsminister im Auswärtigen Amt Gernot Erler (SPD)
Kompass: Mit dem Ende der Ost-West-Konfrontation, dem Zerfall der ehemaligen UdSSR und der damaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrages und letztendlich der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands haben sich die außen- und sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen sowohl für die eigene nationale Außenpolitik als auch die Politik im transatlantischen Bündnis gravierend verändert. War bis zum damaligen Zeitpunkt der Einsatz deutscher Streitkräfte als grenznahe, bündnisbezogene Landesverteidigung gedacht, so ist dies heute anders. Deutsche Außenpolitik greift zunehmend häufiger auf das äußerste Mittel, einen Streitkräfteeinsatz, zurück. Wird der Einsatz deutscher Streitkräfte zur Normalität?

Staatsminister Gernot Erler: Die Bundesregierung verhält sich weiterhin äußerst zurückhaltend, was die Beteiligung deutscher Streitkräfte an internationalen Missionen angeht. Wenn über den Einsatz bewaffneter Kräfte entschieden werden muss, dann hat in der Regel Politik bereits versagt: mit einer vorausschauenden Friedenspolitik, mit konfliktpräventiven Strategien oder mit Verhandlungslösungen für Konflikte. Unsere Priorität liegt tatsächlich bei der Prävention, belegbar durch den Aktionsplan der Bundesregierung "Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" und durch die Bedeutung, die wir der Europäischen Sicherheitsstrategie vom 20.12.2003 ("Ein sicheres Europa in einer besseren Welt") geben, die mehrfach im Koalitionsvertrag zitiert wird. Wir streben also als Normalfall das Funktionieren von Prävention und rechtzeitiger Konfliktverhinderung an.

Kompass: Mit Ausnahme des Einsatzes deutscher Streitkräfte im Konflikt um das ehemalige Jugoslawien liegen allen anderen Einsätzen die notwendigen Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zugrunde. Gegen den Willen eines Staates sind - mit der oben genannten Ausnahme - bislang keine deutschen Streitkräfte eingesetzt worden. Deutschland nahm nicht unmittelbar am Krieg gegen den Irak teil. Welches wären Ihrer Auffassung nach die zwingenden Voraussetzungen für einen Einsatz deutscher Streitkräfte gegen einen erklärten Willen eines anderen souveränen Staates?

Staatsminister Gernot Erler: Jeder Einsatz deutscher Soldaten im Ausland muss eine einwandfreie völkerrechtliche Grundlage haben. Die Zustimmung eines betroffenen Staates, z.B. zu einer Kapitel-VII-Mission der Vereinten Nationen, gehört nicht zwingend zu dieser völkerrechtlichen Legitimation. Diese Zustimmung wäre auch nicht erforderlich, wenn es sich etwa um einen Beistandsfall im Rahmen des NATO-Bündnisses handelte, also bei einem Angriff auf einen Bündnispartner.

Kompass: Nun kann es kein erstrebenswertes politisches Ziel sein, dass ein Streitkräfteeinsatz gleichsam auf Dauer und für ewig erfolgt. Wer Streitkräfte als äußerstes Mittel staatlicher Politik einsetzt, muss sich auch hinlänglich darüber im Klaren sein, wann und unter welchen Bedingungen der Streitkräfteeinsatz ein Ende hat. Welches sind Ihrer Meinung nach die zwingenden Voraussetzungen für ein Ende des Einsatzes deutscher Streitkräfte im Kosovo und Afghanistan?

Staatsminister Gernot Erler: In Deutschland gilt der Parlamentsvorbehalt für jeden Auslandseinsatz bewaffneter Streitkräfte. Die parlamentarische Zustimmung wird immer an einen Zeitrahmen gebunden, in der Regel für eine Halbjahres- oder Jahresfrist erteilt und dann unter Umständen verlängert. Das gilt auch für den Kosovo- und Afghanistan-Einsatz. Politisch gesehen kommt eine Beendigung des Kosovo-Engagements erst dann infrage, wenn der Schutz der Minderheiten vor Ort definitiv auf andere Weise als durch eine internationale bewaffnete Mission garantiert wird. In Afghanistan käme der Abzug in Sicht, wenn die Fähigkeiten der gewählten Regierung in Kabul ausreichen, sich selbst erfolgreich gegen Angriffe durch die Taliban und ihre Unterstützer zur Wehr zu setzen (Ziel des "ownership"). Deswegen spielt die Ausbildung von afghanischen Sicherheitskräften auch eine so wichtige Rolle.

Das Interview führte Josef König