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General Alois Bach: "Allzu Starres, Unflexibles führt zu Stillstand oder Brüchen…"

Der Kommandeur des Zentrums Innere Führung in Koblenz, Brigadegeneral Bach (links), hier mit dem Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteur der Streitkräftebasis, Vizeadmiral Wolfram Kühn
Kompass: Innere Führung für und in deutschen Streitkräften gilt seit 50 Jahren. Aus der ehemaligen "Schule für Innere Führung" wurde das "Zentrum Innere Führung", aus den "Hilfen zur Inneren Führung" wurde über unterschiedlichen Stationen eine eigene Dienstvorschrift, die jetzt durch den Bundesminister der Verteidigung neu erlassen wurde. Was waren die Gründe und handelt es sich um einen Neuansatz?

General Alois Bach: Allzu Starres, Unflexibles führt zu Stillstand oder Brüchen, die positive Anpassungen und Veränderungen behindern oder gar ausschließen. Daher war das Konzept der Inneren Führung von Anfang an flexibel angelegt. Graf Baudissin, einer der geistigen Väter und Begründer der Inneren Führung, hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die Anwendungsmethoden und Regelungen - das heißt die Übersetzung der Grundsätze in die Praxis - einem steten Anpassungsprozess an gesellschaftliche und militärische Entwicklungen unterworfen bleiben müssen. Ich war der Deutschen Bischofskonferenz sehr dankbar, als diese im November 2005 zu Recht feststellte, dass die lebendige Weiterentwicklung des Konzepts der Inneren Führung eine der entscheidenden Voraussetzungen für die friedensethische Legitimität der Streitkräfte ist. Auch unser Generalinspekteur, General Wolfgang Schneiderhan, hat bei seinem Besuch des Zentrum Innere Führung im Dezember 2007 noch einmal bekräftigt, dass es Konstanten der Inneren Führung gibt, die unumstößlich sind, dass es aber Ziel der neuen Zentralen Dienstvorschrift ZDv 10/1 ist, die zehn Gestaltungsfelder der Inneren Führung variabel den Erfordernissen der Gegenwart und Zukunft anzupassen. Zu den unveränderbaren Konstanten bzw. zum Kernbestand der Inneren Führung gehört für mich, neben dem Primat der Politik vor allem die Menschenwürde als obersten Wert in den Mittelpunkt aller Überlegungen zu stellen, soldatisches Handeln an die Werte und Normen des Grundgesetzes und an Recht und Gesetze sowie das Völkerrecht zu binden und am Leitbild vom Staatsbürger in Uniform festzuhalten. Das Leitbild vom Staatsbürger in Uniform wird mitunter kritisch hinterfragt und vor dem Bild des "Nur-Soldaten" oder "Kämpfers" gespiegelt.

Wer aber wünschte sich als überzeugter Demokrat Soldatinnen oder Soldaten, die sich nicht mehr als freie Persönlichkeiten, verantwortungsbewusste Staatsbürger und einsatzbereite Soldaten verstehen, die nicht mehr aus persönlicher Überzeugung und Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen bereit sind, für Recht, Freiheit, Sicherheit, Demokratie und Frieden treu zu dienen und diese Werte, wenn nötig, auch tapfer zu verteidigen? Nichts anderes fordert das Leitbild vom Staatsbürger in Uniform als zentrales Element der Inneren Führung. Die vielfältigen Aufgaben des militärischen Dienstes bis hin zum Einsatz des eigenen Lebens im Gefecht erfordern - dies lehren mich unsere leidvolle Geschichte, besonders aber die Erfolge und meine persönlichen Erfahrungen in den Einsätzen der jüngsten Vergangenheit - mehr als nur handwerkliches Können. Ethik und Moral sind von entscheidender Bedeutung. Auch die neue Vorschrift basiert auf diesen fundamentalen Überzeugungen und Erkenntnissen. Somit stellt sie keinen Neuansatz dar, so wie dies vor Aufstellung der Bundeswehr in der Himmeroder Denkschrift mit der Forderung, grundlegend Neues zu schaffen oder in den Gedanken und Planungen der Dienststelle Blank 1955 mit der Ermutigung zu neuem Beginn und zum Beschreiten neuer Wege gefordert wurde.

11. Beirat für Fragen der Inneren Führung (v. rechts n. links): Bundesminister a. D. Dr. h. c. Georg Leber, Parlamentarischer Staatssekretär Hans-Georg Wagner, Inspekteur des Sanitätswesens Admiraloberstabsarzt Dr. Karsten Ocker und Inspekteur des Heeres Generalleutnant Hans-Otto Budde
Besonders aus der sich verändernden sicherheitspolitischen Lage ergeben sich für unsere Soldatinnen und Soldaten neue Spannungsfelder im Rahmen der Legitimation und Motivation. So wird der persönliche Einsatz nicht mehr nur für deutsche oder Bündnis-interessen, sondern auch für Menschenwürde und Frieden weltweit erwartet. Lange Trennungsphasen von der Familie, von Angehörigen und Freunden, besonders aber große Belastungen im Einsatz bis hin zu Verwundung und Tod stellen bisher nicht gekannte Herausforderungen dar. Auch wurde nie zuvor von deutschen Soldatinnen und Soldaten eine solche Vielfalt an Kompetenzen gefordert. Ich denke neben der Fach- und Methodenkompetenz über die militärischen Fertigkeiten hinaus besonders an Werte-, Sozial- aber auch interkulturelle Kompetenz. Und nie zuvor wurde auf relativ niedriger Führungsebene jungen Menschen so viel Eigeninitiative, Verantwortungsbewusstsein und Entscheidungsbereitschaft - und das häufig vor den Augen der Medien - abverlangt wie heute. Daher sind auch alle Vorgesetzten gefordert, wenn es darum geht, mit Einfallsreichtum und Engagement die Gestaltungsfelder der neuen Vorschrift wie Menschenführung, politische Bildung, Recht und soldatische Ordnung, aber auch Dienstgestaltung und Ausbildung, Informationsarbeit, Organisation und Personalführung, Fürsorge und Betreuung, Vereinbarkeit von Familie und Dienst, sanitätsdienstliche Versorgung und - für mich persönlich von großer Bedeutung - Seelsorge und Religionsausübung, zur Wirkung zu bringen und weiter zu entwickeln. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, weiterhin das Miteinander in der Bundeswehr, die erfolgreiche Gewährleistung der Integration unserer Soldatinnen und Soldaten in die Gesellschaft, die Fürsorge und soziale Absicherung besonders von Verletzten oder Verwundeten, aber auch Angehörigen und Hinterbliebenen so erfolgreich, menschenwürdig und vorbildlich zu gestalten, dass auch zukünftig junge Männer und Frauen, wie bisher, hochmotiviert ihren Dienst in den Streitkräften als Staatsbürger in Uniform leisten. Die Vorschrift selbst bietet hierzu neben den Grundlagen und Zielen einen klaren Rahmen. Ich darf darauf hinweisen, dass das Zentrum Innere Führung noch 2008 der Truppe eine Ausbildungshilfe zur neuen Vorschrift ZDv 10/1 "Innere Führung" an die Hand geben wird.

Kompass: Ein weiteres Gestaltungsfeld der Inneren Führung ist u. a. Seelsorge und Religionsausübung in den Streitkräften. Mithin ist Militärseelsorge gleichsam Partner im militärischen Führungsprozess. Haben Sie als Kommandeur des Zentrums Innere Führung besondere Erwartungen an die Militärseelsorge, gerade mit Blick auf das veränderte Einsatzspektrum und die damit verbundenen ethischen Herausforderungen an den Dienst der Soldatinnen und Soldaten?

Unterricht im Klassenraum des Zentrums Innere Führung in Koblenz
General Alois Bach: Die Militärseelsorge in der Bundeswehr, sowohl der evangelischen als auch der katholischen Kirche, besitzt nach wie vor einen hohen Stellenwert. Dies äußert sich allein schon dadurch, dass auch die neue ZDv 10/1 einen eigenen Abschnitt "Seelsorge und Religionsausübung" enthält. In ihm wird ausdrücklich wiederholt betont, dass es sich bei der Militärseelsorge in der Bundeswehr um einen vom Staat gewünschten und unterstützten sowie von den Kirchen geleisteten Beitrag handelt. Dies mag für manchen zwar heute nicht mehr selbstverständlich erscheinen, aber der Truppenalltag zuhause und in den Einsätzen zeigt immer wieder, und dies kann ich aus eigener Erfahrung und Anschauung als Kommandeur im Einsatz aber auch als Kommandeur des Zentrums Innere Führung bestätigen, dass die Seelsorgerinnen und Seelsorger mit ihren unterschiedlichen Talenten und Temperamenten nicht konfessions- und religionsbegrenzt ihre Arbeit verstehen, sondern sich allen Kameradinnen und Kameraden verpflichtet wissen. Wichtig ist, dass Soldaten in ihnen vertrauenswürdige Ansprechpartner wahrnehmen, die außerhalb der militärischen Hierarchie stehen und dennoch unmittelbaren Zugang zu allen Dienstgradgruppen und Vorgesetzten haben. In den Gesprächen können die Seelsorger und Seelsorgerinnen vor allem in Grenzsituationen, wie bei unerwarteter Trennung bisheriger Lebenspartner, oder bei Verwundung und Tod von Soldatinnen und Soldaten, den Betroffenen oder Hinterbliebenen tröstend zur Seite stehen und ihnen mitunter neue Horizonte eröffnen helfen. Dies setzt sicherlich voraus, dass die Seelsorger selbst integere Personen sind, im Glauben wurzeln und faire Partner für alle Soldatinnen und Soldaten aller Dienstgrade sind. Mit einem Wort, Militärseelsorger und Militärseelsorgerinnen sollten in erster Linie authentisch und nicht mit allen Wassern gewaschen sein. Dies gilt sowohl für den Dienst in der Heimat als auch im Auslandseinsatz. Es lässt sich nicht übersehen, dass die Militärseelsorge durch die Einsätze ein weiteres Profil gewonnen hat. Vor allem auch konfessionslose Soldatinnen und Soldaten erfahren in den Auslandseinsätzen täglich, dass ein Seelsorger kein Seelenfänger im schlecht verstandenen Sinne, sondern ein Freund und Berater der Soldaten ist. Hier teilen in besonderer Weise die Seelsorger die Nöte, aber auch die Freuden mit "ihren" Soldaten. Während eines solchen intensiven Miteinanders fragen diese dann auch von sich aus ihre Seelsorger nach dem Sinn des Lebens und formulieren ihre Glaubensfragen. Zugleich ist es ebenso wichtig, dass die Militärseelsorger und Militärseelsorgerinnen kompetent friedensethische Orientierung geben können. Nichts wäre fataler, als wenn sich Seelsorger in der Bundeswehr, wie man es manchmal als wohlgemeinten Rat hören kann, nur um den "Kult" und "ihre Schäfchen" kümmerten. Wäre dies der Fall, dann verkümmerte Seelsorge in der Tat und sie beraubte sich selbst ihrer christlichen Traditionen und ihrer Verantwortung den Soldaten gegenüber. In diesem Zusammenhang füge ich bewusst die Aussage hinzu, dass Gewissensfreiheit nicht an Kasernentoren endet und dass unsere Bundeswehr auch kein Interesse an gewissenlosen Soldatinnen und Soldaten hat. Gewissen zu pflegen und heranreifen zu lassen ist eine wesentliche Aufgabe von Militärseelsorgern. Von daher halte ich es für sehr wichtig, dass die Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorger in ihrer seelsorglichen Tätigkeit ausschließlich kirchlichem Recht unterworfen und von staatlichen Weisungen unabhängig sind. Dieser Sachverhalt wird daher auch in der neuen Zentralen Dienstvorschrift ZDv 10/1 folgerichtig fortgeschrieben.

Das Interview führte Josef König.