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Hettling / Echternkamp (Hrsg.): Bedingt erinnerungsbereit

Soldatengedenken in der Bundesrepublik

Manfred Hettling / Jörg Echternkamp (Hrsg.): Bedingt erinnerungsbereit. Soldatengedenken in der Bundesrepublik. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008; 176 S. mit 11 Abb., kartoniert, € 17,90; ISBN 978-3-525-36756-8
Der Buchtitel des vom Hallenser Zeithistoriker Manfred Hettling und dem MGFA-Mitarbeiter Jörg Echternkamp herausgegebenen Sammelbändchens gemahnt an jenen "Spiegel"-Titel vom Oktober 1962 ("Bedingt abwehrbereit"), der - mittels eines zu tiefen Einblicks in Untiefen der Streitkräfterealität - die Adenauer-Republik bis in die Grundfesten erschütterte.

Jetzt geht es um den Tod von Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz und den öffentlichen symbolischen Umgang mit solchen "Unglücksfällen". Angesichts des viel beschworenen "freundlichen Desinteresses" der deutschen Öffentlichkeit an ihrer Armee scheint der Vergleich reichlich übertrieben. Mitnichten, wie die meisten Beiträge der 13 akademisch profilierten Autoren verschiedener Disziplinen erwarten lassen. Es geht um geistige, moralische und politisch-psychologische Grundlagen der Berliner Republik.

Auslöser für die hier referierte und weiter geführte öffentliche Debatte waren die Pläne von Verteidigungsminister Franz-Josef Jung für ein "Bundeswehr-Ehrenmal" auf eigenem Gelände des Bendlerblocks. Was hier als Ausdruck des Dankes und der Anerkennung des staatlichen Dienstherren vor allem für die im Auslandseinsatz zu Tode gekommen Soldaten in Aussicht gestellt wird, entlarvt sich aus der Sicht der meisten vertretenen Autoren in Wirklichkeit als Aufkündigung eines Nachkriegs-Grundkonsenses: den Tod deutscher (!) Soldaten ausschließlich negativ zu betrachten. Ihr öffentliches Gedenken hatte sie schon zu frühen Bonner Tagen unter die Opfer (victima) eingereiht - in eine Hierarchie weiterer Opfergruppen, in der sie nur aus quantitativen Gründen vorn aufgeführt werden. Man gedenkt insgesamt der "Opfer der Kriege und der Gewaltherrschaft". So die korrekte Lesart. Manche wähnen ein "kollektives Opferselbstbild", eine "Viktimisierungsfalle", die Täterschaft ausblendet. Künftig soll aber der im Dienst gestorbene Soldat der Bundeswehr wieder "geehrt" werden - und das monumental.

Wolfgang Kruse, Jörg Echternkamp, Wolfgang Schmidt und Angelika Dörfler bearbeiten das Soldatengedenken in Deutschland - die entsprechende Praxis im Ausland bleibt insgesamt leider fast völlig unerwähnt - seit den Freiheitskriegen. Der Bürger als Soldat trat an die Stelle des privatvertraglichen Söldners. Daraus resultierten höhere Legitimationserfordernisse, politisch und symbolisch. Die evangelische Theologin Dörfler, am SOWI-Bw tätig, beschreibt zutreffend, wie im Spätpietismus jene geistigen Werkzeuge gefertigt wurden, die dann im preußisch-deutschen Staat der Folgezeit Soldatendienst zum Gottesdienst, den schlichten Tod in des Königs Rock fürs deutsche Vaterland zum Abbild des Opfers Christi (sacrificium) werden ließen. Die Autorin weiß sich aus dieser Missbrauchsgeschichte keinen besseren Rückzug als die radikale Distanz zu jeder Art von Opfergedanken, es sei denn, er sei - außerhalb der Streitkräfte - freiwillig, im privaten Raum angenommen.

In ähnlicher Weise rechnet der FüAk-Historiker und Lw-OTL Wolfgang Schmidt mit der Gedenktradition und -praxis der Bundeswehr ab, die er weithin von einer militärischen Sonderkultur dominiert sieht. Er zitiert zustimmend einen zivilen Kritiker solcher Auffassungen: "Der Tod eines Bw-Offiziers unterscheidet sich in nichts von dem eines überfahrenen Bauarbeiters". Schmidt fordert demokratische Antworten auf das "Wofür?" des Soldatentodes.

Diese Forderung zieht sich durch das Bändchen wie ein roter Faden. Die Politik habe hier eine bisher unerfüllte Bringschuld. Die Warnung des katholischen Theologen Thomas Elßner, Dozent am ZInFü, der in seinem lesenswerten Beitrag die durchaus nicht unproblematische, real gegenwärtige militärische Trauerpraxis beschreibt, vor "Überhöhungen" reicht da nicht aus. Allerdings geben der bekannte Kriegstheoretiker Herfried Münkler und der Wehrmachtshistoriker Klaus Naumann vom Hamburger Reemtsma-Institut in ihren ausgezeichneten Beiträgen der Forderung nach Wofür-Antworten eine unerwartete Wende. Der Umgang "postheroischer Gesellschaften" (Münkler) mit "Todesopfern" bestehe nämlich im Vergessen und Verdrängen oder aber im materiellen Entgelten. Hier öffne sich eine Kluft, denn die Republik sei - wenn sie denn auch künftig militärisch handeln können soll - auf ein Bündnis mit ihren Toten angewiesen. Das Ehrenmal erinnert nicht nur, es weist zugleich in die Zukunft militärischen Gewalteinsatzes. Welchen Bestand kann aber ein Staat haben, dessen - im Sinne der Selbsthingabe - zum Opfer Bereite in der Gesellschaft keinen Platz mehr haben?

Im vorliegenden Buch wird der Soldat zwar vielfach als Bürger genannt, als leidender Mensch kommt er hingegen nicht vor. Zudem stehen viele vertretene Positionen der soldatischen Vorstellungswelt diametral entgegen. Umso wichtiger scheint es, wenn Soldaten sich mit diesen Texten auseinandersetzen. Weil sie Bürger sind.

Harald Oberhem