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Gesellschaft und Bundeswehr – Parallele Welten?

Dialog zwischen Gesellschaft und Bundeswehr

von Militärbischof Dr. Walter Mixa, Herausgeber von Kompass. Soldat in Welt und Kirche

Soldaten und Soldatinnen verfolgen im Plenarsaal des Bundestages in Berlin die Beratung über die „Operation Enduring Freedom“.
Foto: © dpa
Im Januar 2008 ist die neue Zentrale Dienstvorschrift (ZDv) 10/1 „Innere Führung. Selbstverständnis und Führungskultur der Bundeswehr“ durch Bundesverteidigungsminister Dr. Jung erlassen worden. Gleich zu Beginn heißt es in dieser Dienstvorschrift in Nr. 101: „Innere Führung gewährleistet, dass die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft bleibt. Sie steht damit für die Einordnung der Bundeswehr in unseren freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat.“ Zwar gelten für Bundeswehrangehörige dieselben Grundrechte wie für alle anderen Staatsbürger auch, zwar gibt es keine eigene militärische Gerichtsbarkeit und es besteht eine parlamentarische Kontrolle der Bundeswehr durch den Bundestag; ebenso sind die Einsätze der Bundeswehr parlamentarisch legitimiert und grundsätzlich ist das Tun und Lassen der Bundeswehr transparent, aber reicht dies wirklich schon aus, um dauerhaft in der Mitte der Gesellschaft zu bleiben?

In diesem Zusammenhang verdient ein weiterer Aspekt hervorgehoben zu werden: Im Umfeld der Debatten bezüglich der Mandatsverlängerung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr wird auch seitens einiger Bundeswehrangehörigen häufig beklagt, dass das Interesse der Bevölkerung, ja scheinbar selbst von einigen Abgeordneten des Bundestages, daran gering sei. Wen interessiert es denn schon, so könnte die Frage lauten, was die Bundeswehr z. B. in Afghanistan oder im Kosovo leistet? Zudem hielten sich sogar das Mitempfinden und die Trauer in Grenzen, selbst wenn Bundeswehrsoldaten in kurzen Zeitabständen ihr Leben verlieren, und zwar, wie Verteidigungsminister Franz Josef Jung im November 2008 sagte, „infolge der Ausübung ihrer Dienstpflichten für die Bundesrepublik Deutschland“. Mit Blick auf die eher geringe Anteilnahme am Dienst der Bundeswehr insgesamt wird dann nicht selten das Wort des Bundespräsidenten Horst Köhler vom 10. Oktober 2005 bei der Kommandeurtagung zitiert, dass die Mehrheit der Bevölkerung ein freundliches Desinteresse an der Bundeswehr zeige. An diesem Befund hat sich seither wenig geändert. Aber liegen die Gründe für dieses freundliche Desinteresse allein in der Gesellschaft jenseits der Bundeswehr? Oder liegt es teilweise nicht auch an einem Desinteresse eines Teils der politischen Klasse an sicherheitspolitischen Fragen, wie es unlängst Klaus Naumann vom Hamburger Institut für Sozialforschung in einer Studie (Einsatz ohne Ziel? Die Politikbedürftigkeit des Militärischen, Hamburg 2008) festgestellt hat?

Ein Höhepunkt der bundesdeutschen Friedensbewegung gegen die Nachrüstung: Abschlusskundgebung des „Sitzens für den Frieden“ am 3. September 1983 in Mutlangen
Foto: © dpa - Bildarchiv
Alle, Staat, Gesellschaft und Bundeswehr, müssen ein Interesse daran haben, dass die Bundeswehr wirklich in der Mitte der Gesellschaft und darüber hinaus wahrgenommen wird. Ebenso müssen sich Bundeswehrsoldaten fragen lassen, ob sie an ihren Standorten offene Foren bieten, um mit Bürgerinnen und Bürgern über Ausländseinsätze ins Gespräch zu kommen – auch kritisch – und ob sie sich darüber hinaus in gesellschaftliche Debatten aktiv einbringen? In diesem Zusammenhang wird mitunter der Einwand vorgebracht, dass in der Bundeswehr eine hierarchische Struktur bestehe und dass Befehle und Entscheidungen von oben nach unten weitergegeben werden, die ein persönliches Engagement von Soldaten erschwerten. Dieser Einwand ist aber nur bedingt zutreffend, denn das vielzitierte Leitbild vom „Staatsbürger in Uniform“ schließt bekanntlich mit ein, dass Werte und Normen des Grundgesetzes ebenfalls für „die Angehörigen der Bundeswehr an jedem Ort und zu jeder Zeit“ gelten. Zu diesen Grundrechten gehört, sich als Staatsbürger an gesellschaftlichen Debatten aktiv und mit der nötigen Fachkompetenz zu beteiligen. Denn gerade der Uniformträger ist als Staatsbürger berufen, im fairen Wettstreit der Meinungen Dinge zu artikulieren, die alle angehen. Welche Dinge das sind, zählt die ZDv 10/1 in Nr. 311 auf, z. B. Freiheit, Sicherheit, Wohlstand und Schutz vor internationalem Terrorismus.

Darüber hinaus muss ebenso gefragt werden, wofür Bundeswehrsoldaten in Auslandseinsätzen ihre Gesundheit und vielleicht sogar ihr Leben einsetzen? In der ZDv 10/1 Nr. 105 heißt es: „Ihr militärischer Dienst schließt den Einsatz der eigenen Gesundheit und des eigenen Lebens mit ein …“ Eine solche Aussage ist zwar im Rückblick auf die Zeit des Kalten Krieges nicht neu, aber heute ist sie zu einer nahezu täglich erfahrbaren Realität geworden. Über siebzig Soldaten und Soldatinnen haben in Auslandseinsätzen ihr Leben verloren; „rund 9.000 Soldaten sind mit körperlichen oder seelischen Verletzungen aus dem Einsatz zurückgekehrt.“ (Uwe Hartmann, Innere Führung. Erfolge und Defizite der Führungsphilosophie für die Bundeswehr, Berlin 2007, 126) Von daher bleiben Politiker bei der Beantwortung der Frage in der Pflicht, wozu Soldaten ihre Gesundheit und ihr Leben einsetzen. Wird einer Antwort dauerhaft ausgewichen, resigniert bald auch ein motivierter Soldat innerlich.

Zu wichtigen friedensethischen Fragen äußern sich auch die katholischen Bischöfe, wie dies z. B. mit dem Hirtenwort „Gerechter Friede“ aus dem Jahr 2000 oder im November 2005 mit der „Erklärung zur Stellung und Aufgabe der Bundeswehr. Soldaten als Diener des Friedens“ der Fall gewesen ist. Außerdem hat sich der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland Ende 2007 mit einer Denkschrift zum gerechten Frieden und zu bewaffneten Militäreinsätzen geäußert.

Gesellschaft und Auslandseinsätze der Bundeswehr

Wenngleich in den Medien die Auslandseinsätze und ihre Auswirkungen auf Soldaten nahezu täglich präsent sind, ziehen sie meist das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit erst dann auf sich, wenn negative Schlagzeilen die Berichterstattung beherrschen (z. B. Schädelbildaffäre, Schüsse mit tödlichem Ausgang an einem Checkpoint). Nachdem dann die ersten Meldungen wieder verrauscht und/oder Schuldige eventuell gefunden worden sind, ebbt das Interesse vieler Teile der Gesellschaft an der Bundeswehr und ihren vielfältigen Auslandseinsätzen im gleichen Maße wieder ab.

Jugendoffizier bei einer Veranstaltung
Foto: © Bundeswehr
Liegt es nur an der teilweise großen räumlichen Distanz zum Einsatzland, oder auch daran, dass die Bundeswehr aufgrund ihrer Verkleinerung immer mehr aus der Fläche verschwindet und somit „immer weniger im persönlichen Umfeld der Bürger präsent“ (so Thomas Bulmahn in „Bedingt erinnerungsbereit. Soldatengedenken in der Bundeswehr“, Göttingen 2008, 159) ist? Werden notwendige Diskussionen vorschnell an (sogenannte) Experten delegiert? Ist über die Jahre hinweg ein Gewöhnungseffekt bezüglich der Auslandseinsätze eingetreten, oder ist es vielleicht eine Mischung aus allen Aspekten zusammen? Wenn dies der Fall sein sollte, ließe sich durchaus etwas überspitzt fragen: Hat der unmerkliche Prozess einer Entkopplung zwischen der Mehrheit der Gesellschaft und der Bundeswehr bereits begonnen? Einer Entkopplung, die mittlerweile andere Signaturen trägt als die, der man von Anfang an völlig zu Recht einen Riegel vorgeschoben hat, nämlich dass die Bundeswehr zu einem „Staat im Staate“ würde, wie es in der ersten staatlich verfassten Demokratie auf deutschem Boden, der Weimarer Republik, der Fall gewesen war (vgl. ZDv 10/1 Nr. 202)? Ist es tatsächlich so, dass „die Unterschiede zwischen den Erlebniswelten der Soldaten auf der einen und ihrer Mitbürger auf der anderen Seite größer denn je“ (Uwe Hartmann, a. a. O., 129) sind? Wenn dem so sein sollte, dann gilt es vor allem der Tendenz entgegenzuwirken, dass die Gesellschaft die Bundeswehr am Ende sich selbst überlässt. Schon im Hirtenwort „Soldaten als Diener des Friedens“ vom Jahr 2005 ist leider festzustellen gewesen, dass „dem mangelnden Interesse der Gesellschaft an den Fragen der Streitkräfte ein prekäres Moment der Verdrängung innewohnt“ (Abschnitt 2.2.1).

Gesellschaft und der Tod von Soldaten

Ein ähnlicher Befund lässt sich ebenfalls im Hinblick auf die in einem Auslandseinsatz ums Leben gekommenen Soldatinnen und Soldaten erheben. Als Mitte der neunziger Jahre die Bundeswehr in einem immer größeren Umfang dauerhaft in Auslandseinsätze entsendet worden war, gab es immer wieder mahnende Stimmen aus Gesellschaft und Bundeswehr, die von einem „Aufschrei“ sprachen, wenn die ersten sogenannten „Zinksärge“ mit im Einsatzland ums Leben gekommenen Bundeswehrsoldaten in Deutschland einträfen. Nun, die Särge sind leider gekommen, aber die als „Aufschrei“ apostrophierte Reaktion, ja vielleicht sogar Anteilnahme am Tod der Soldaten ist in der Gesellschaft im Grunde sehr zurückhaltend geblieben. Die Soldaten und Soldatinnen, die ihr Leben verloren haben, sind vom Parlament entsandt worden und damit letztlich von einer repräsentativen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, die die Abgeordneten gewählt haben. Auch diese Zurückhaltung in der Anteilnahme der Bevölkerung, die sicherlich verschiedene Ursachen hat, kann als ein Indiz für eine Entkopplung zwischen Gesellschaft und Bundeswehr gedeutet werden. Ein solches Indiz berührt letztlich auch die Innere Führung, die das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Bundeswehr aufmerksam beobachtet, sozusagen als Seismograph in diesen Fragen dient.

Ein Fazit

Von diesen Beobachtungen her lassen sich drei Themenbereiche formulieren, die es im Blick zu behalten gilt. Erstens: Die gewählten Politiker müssen verhindern, dass es zu einer schleichenden Abkopplung von Gesellschaft und Bundeswehr kommt. Die Politik muss schlüssig begründen, weshalb Auslandseinsätze notwendig sind und wofür deutsche Soldatinnen und Soldaten ihre Gesundheit und ihr Leben einsetzen.

Zweitens: Die Bundeswehr selbst muss ein ureigenstes Interesse daran haben, dass sie tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft bleibt und sich nicht, wenngleich ungewollt, Parallelwelten entwickeln. Dem kann selbst in einer hochgradig arbeitsteiligen Welt u. a. dadurch entgegengewirkt werden, dass auch Soldaten täglich im Kleinen, aber auch im Großen das Gespräch strukturiert mit allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen immer wieder von sich aus suchen. Dies kostet Zeit und Kraft, aber wer gehört werden will, muss seine Stimme mit guten Argumenten erheben.

Drittens: Auch die katholische Militärseelsorge, in ökumenischer Verbundenheit mit der evangelischen Militärseelsorge, wird bei diesen Debatten nicht abseits stehen. Wie bisher wird sie sich auf vielfältige Weise in kritischer Solidarität zu friedensethischen Fragen zu Wort melden und im stetigen Gespräch mit der Bundeswehr bleiben, um so auch künftig verlässlicher Begleiter und Ansprechpartner für alle Soldaten zu sein.

Dr. Walter Mixa,
Bischof von Augsburg und
Katholischer Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr