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Einsatz als Normalfall?Einzelfall bleibt aus ethischer Sicht immer begründungspflichtig | Vielfältige Einsatzmöglichkeiten
für
Soldaten bei ihrem
herausfordernden
Dienst | Vom gerechten Krieg zur Menschenrechtsintervention - Zum Wandel der kirchlichen Friedensethik.
Die Entscheidung für den Einsatz von Streitkräften muss in jedem einzelnen Fall begründet werden.
Mit dem Ende der Ost-West Konfrontation, der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands und der Erweiterung der Europäischen Union (EU) haben sich die politischen Rahmenbedingungen der militärischen Friedenssicherung erheblich geändert. Diese haben in den letzten Jahrzehnten zu einem Wandel der kirchlichen Friedensethik geführt. Deren Grundaussagen auf der Ebene ethischer Prinzipien gelten zwar unverändert fort, doch haben sich mit den geänderten geostrategischen Rahmenbedingungen auch die Schlussfolgerungen gewandelt, die aus dem Recht aller Völker, in Frieden, Sicherheit und Selbstbestimmung zu leben, angesichts einer geänderten Gefahrenlage zu ziehen sind. Die militärische Bedrohung durch die konventionelle Übermacht der Streitkräfte des Warschauer Paktes und die Gefahren des atomaren Rüstungswettlaufs sind mit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes verschwunden. An die Stelle der direkten militärischen Konfrontation der NATO und des Kommunismus sind andersartige Bedrohungen getreten, die von dem internationalen Terrorismus und den zu Selbstmordattentaten bereiten islamistischen Gruppen ausgehen. Diese gewandelte Gefahrenlage spiegelt sich in der politischen Begründung für militärische out-of-area-Einsätze der Bundeswehr wider: Es heißt, die Demokratie in Deutschland müsse heute nicht mehr an den Landesgrenzen, sondern am Hindukusch verteidigt werden. Neben dem militärischen Kampf gegen den islamistischen Terrorismus stellt die Auflösung der staatlichen Ordnung (Ruanda) oder die staatlich geduldete Verletzung von Menschenrechten in systematischer Form (Kosovo) den wichtigsten Interventionsgrund nach dem Wegfall der unmittelbaren militärischen Bedrohung des eigenen Landes dar.
Das gewandelte weltpolitische Szenario erfordert neue friedensethische Antworten. Das Zweite Vatikanische Konzil hatte mit der bedingungslosen Ächtung des modernen Vernichtungskrieges und jeder direkten Gewaltanwendung gegenüber der Zivilbevölkerung die Erlaubnis an die Nationalstaaten verbunden, militärische Vorsorge für den Verteidigungsfall zu treffen, um sich in Ermangelung einer sanktionsfähigen internationalen Schiedsinstanz gegen einen drohenden Angriff zu schützen (vgl. die Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" 79-83). Angesichts der Kräftekonstellation des Kalten Krieges verschärfte sich die ethische Problematik der nuklearen Abschreckungsstrategie zu der Frage, unter welchen Bedingungen die Androhung eines atomaren Erstschlages moralisch vertretbar sein kann, wenn der tatsächliche Einsatz derartiger Massenvernichtungswaffen bedingungslos verurteilt wird. Die Strategie der "flexible response" versuchte in moralischer Hinsicht eine Quadratur des Kreises, indem sie durch die Fähigkeit zum atomaren Erstschlag eine glaubwürdige Drohkulisse aufbauen musste, deren tatsächlicher Einsatz von den moralischen Prinzipien der kirchlichen Friedensethik aber nicht mehr gedeckt gewesen wäre. Im Nachhinein betrachtet gab der Erfolg der Strategie atomarer Abschreckung Recht. Aber konnte es moralisch erlaubt sein, mit einem Mittel zu drohen, dessen Anwendung sicher unmoralisch gewesen wäre?
| Der Einsatz führt
nicht selten in
weit abgelegene
Regionen | Diese Frage stand im Mittelpunkt der kirchlichen Stellungnahmen zur Zeit des Natodoppelbeschlusses. Die moralisch offene und letztlich unbeantwortete Frage, auf die es angesichts der militärischen Strategie des westlichen Bündnisses keine befriedigende Antwort gab, lautete damals: What happens if deterrence fails, was geschieht, wenn Europa im Falle eines Versagens der gegenseitigen Abschreckung zum zentralen Kriegsschauplatz würde? Die Antwort, die in den Hirtenworten nationaler Bischofskonferenzen - zuerst der US-amerikanischen Bischöfe in dem Dokument "Challenge of peace" und später auch in dem Wort der deutschen Bischöfe "Gerechtigkeit schafft Frieden" aus dem Jahre 1982 - gegeben wurde, kann als eine vorsichtige Adaption friedensethischer Grundsätze an die damalige Weltlage gelesen werden: Das Abschreckungssystem der beiderseitigen atomaren Hochrüstung, das die Welt während der Kuba-Krise zu Beginn des Konzils an den Rand des Dritten Weltkrieges gebracht hatte, lässt sich nur als eine vorübergehende Notmaßnahme zur vorläufigen Sicherung des Weltfriedens rechtfertigen. Dies kam einer moralischen Doppelstrategie gleich, die eine bedingte Legitimation des Gedankens militärischer Abschreckung mit einem eingebauten Verfallsdatum versah: Nur wenn die vorübergehende Aufrüstung mit der Suche nach Alternativen einhergeht und vertrauensbildende Maßnahmen zwischen den Machtblöcken einschließt, konnte die damalige militärische Strategie aus der Sicht kirchlicher Friedensethik als moralisch akzeptabel gelten. Trotz der prekären moralischen Ausgangslage, die ein Festhalten an der atomaren Abschreckungsstrategie immer problematischer erscheinen ließ, stand der Sinn ihres soldatischen Dienstes den Angehörigen der Bundeswehr damals klar vor Augen: Ihre bloße Präsenz verlieh dem Gedanken einer "wehrhaften Demokratie" Glaubwürdigkeit und verhalf dazu, den Ausbruch eines neuen Krieges in Europa zu verhindern.
Hellsichtige Beobachter verwiesen schon in der Zeit des Kalten Krieges darauf, dass der erzwungene Friede in Europa angesichts einer höchst instabilen Weltsituation nur um den Preis zahlreicher Stellvertreter-Kriege in anderen Weltregionen (Korea, Vietnam) aufrechterhalten wurde. Aber nur selten wurde erkannt, welches Gefahrenpotential für den Weltfrieden von diesen dezentralisierten Kriegsschauplätzen ausging. Der rasante Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten, der der westlichen Militärstrategie im Nachhinein zu einer unerhofften Rechtfertigung verhalf, kam für viele überraschend. Noch weniger war aber absehbar, dass nach dem Wegfall der bis dahin bedrohlichsten Gefahr für den Weltfrieden alsbald neue dezentrale Gefahrenherde entstehen würden. Hätte man zum damaligen Zeitpunkt einem jungen Leutnant der Bundeswehr in Aussicht gestellt, dass er später als General in ISAF oder KFOR oder unter den Bedingungen von Enduring Freedom (OEF) Dienst leisten müsste, hätte ein derartiges Szenario die Phantasie militärischer Zukunftsplaner ganz sicher überfordert!
| Weltweite Mobilität
– weltweite Einsätze | Im Nachhinein fällt es naturgemäß leichter, die Logik des grundlegenden Wandels zu begreifen, der seitdem eingetreten ist. Die ethische Problematik der internationalen Militäreinsätze, die zur Verhinderung schwerer Menschenrechtsverletzungen oder zum vorbeugenden Schutz gegen terroristische Geiselnahme und Erpressung durchgeführt werden, liegt in Folgendem: Das Völkerrecht ächtet jeden Angriffskrieg und verpflichtet alle Nationen zum Gewaltverzicht sowie zur gegenseitigen Achtung des Selbstbestimmungsrechtes. Als einzige Ausnahme anerkennt die klassische Lehre vom gerechten Krieg die Notwehr eines Staates gegenüber einem militärischen Angriff von außen und die Abwehr dieses Angriffes durch Dritte im Rahmen bestehender Bündnisverpflichtungen. Diese Konzession ist von der Überlegung getragen, das die Staatengemeinschaft einen gewaltsamen Bruch des Völkerrechts nicht sanktionslos hinnehmen darf, weil dies die dauerhafte Stabilität einer erreichten Friedensordnung noch stärker als die begrenzte Gewaltanwendung im Rahmen von Notwehr oder Nothilfe gefährden würde. Der Einsatz militärischer Gewalt zum Schutz verfolgter Minderheiten gegenüber den staatlichen Organen ihres eigenen Landes oder zur Beendigung bürgerkriegsähnlicher Kampfhandlungen zwischen verfeindeten Parteien bedarf dagegen einer erweiterten moralischen Begründung. Die Entwicklung des internationalen Strafrechts stellt insofern einen großen Fortschritt dar, als schwere Menschenrechtsverletzungen heute als formeller Interventionsgrund der Staatengemeinschaft anerkannt sind; kein Staat kann sich deshalb auf das Verbot der Nichteinmischung in seine internen Angelegenheiten berufen, um systematische Gewaltanwendung gegenüber einzelnen Volksgruppen oder ihre planmäßige Ausrottung zu decken.
Die Berufung auf das internationale Gemeinwohl und die glaubwürdige Durchsetzung einer weltweiten Menschenrechtspolitik genügen für sich genommen aber noch nicht, um den Einsatz militärischer Gewalt zu rechtfertigen. Vielmehr fordern angesichts der gewandelten Weltlage auch die beiden anderen klassischen Bedingungen des gerechten Kriegs eine analoge Anwendung: Der Gewalteinsatz muss erstens von einer legitimen Autorität angeordnet sein und kann zweitens nur als äußerstes Mittel in Betracht gezogen werden, wenn alle alternativen Möglichkeiten einer friedlichen Konfliktbeilegung erschöpft sind. Beide Kriterien müssen nach einer strengen Prüfung als erfüllt gelten, denn die Anwendung militärischer Gewalt bleibt, auch wenn sie dem Schutz elementarer Rechtsgüter dienen soll, immer ein schwerwiegendes Übel. Das Bischofswort "Gerechter Friede" aus dem Jahre 2000 verlangt daher: "Die Anwendung von Gegengewalt kommt überhaupt nur als ultima ratio in Betracht. Alle anderen Mittel, dem Recht eines angegriffenen Staates oder den fundamentalen Rechten von Menschen einen Weg zu bahnen, müssen ausgeschöpft sein." (Nr. 151)
| Auch dies zählt zu
den soldatischen
Pflichten | Keineswegs kann die Politik von Soldaten erwarten, dass sie das Risiko von Leib und Leben in Kauf nehmen, bevor alle anderen Möglichkeiten der diplomatischen, politischen oder wirtschaftlichen Konfliktentschärfung ausgeschöpft sind. "Die Entscheidung über ein Eingreifen mit den Mitteln der Gewalt so wie über die konkrete Form eines solchen Eingreifen erfordert angesichts der Risiken ein größtmögliches Maß an Sorgfalt in der Prüfung der zu erwartenden Folgen." (Nr. 153) Dabei ist auch die Forderung der Erfolgswahrscheinlichkeit zu berücksichtigen, wobei die Eigendynamik militärischer Gewaltanwendung und die Gefahr der unkontrollierbaren Ausweitung einzukalkulieren sind. Ohne ein sicheres Mandat der Völkergemeinschaft bleibt der Gewalteinsatz auch dann schwerwiegenden Anfragen ausgesetzt, wenn er wie im Kosovo von einer Staatengemeinschaft demokratischer Länder geführt wird. Ein grundsätzlicher Verzicht auf eine Mandatierung durch die Vereinten Nationen, wie er von den USA zur Durchsetzung ihrer weltweiten Interessen gefordert wird, ist mit den Grundsätzen des Völkerrechts unvereinbar.
Aufgrund dieser ethischen Kriterien ist von der Politik eines demokratischen Staates Folgendes zu erwarten:
Erstens: Die Entscheidung für den Einsatz von Streitkräften muss in jedem einzelnen Fall begründet werden, wobei gegenüber der demokratischen Öffentlichkeit und gegenüber den Soldaten sowie ihren Angehörigen der Nachweis zu erbringen ist, dass gewaltlose Wege zur Eindämmung des Unrechts ausgeschlossen sind. Ebenso muss es erhebliche Gründe für die Annahme geben, dass die in Aussicht genommene militärische Maßnahme innerhalb eines vernünftigen Zeitrahmens erfolgreich zum Abschluss gebracht werden kann.
Zweitens: Soldatinnen und Soldaten dürfen nicht den Eindruck gewinnen, dass die militärische Option zum eingeplanten Normalfall wird, mit dem angesichts des Versagens vorausschauender Konklikteindämmungsstrategien von vornherein zu rechnen ist.
Drittens: die Angehörigen der Streitkräfte, von denen ein hoher persönlicher Einsatz (Risiko für das eigene Leben, Trennung von der Familie) erwartet wird, müssen erkennen können, dass der bewaffnete Einsatz für das angegebene Ziel (Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen, Wiederherstellung einer gerechten Friedensordnung, Wiederaufbau der Demokratie) unabdingbar ist; dabei muss ihnen auch deutlich werden, aufgrund welcher historischen und gegenwärtigen Verpflichtungen der Einsatz in einer bestimmten politischen Konstellation unumgänglich ist, während er in anderen, hinsichtlich der Schwere des Unrechts vergleichbaren Situationen unterbleibt.
Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff
Moraltheologe an der Universität Freiburg,
Stellvertretender Vorsitzender des Nationalen Ethikrats
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