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Aus der sozialwissenschaftlichen ForschungEin breit angelegter gesellschaftspolitischer Dialog kann auf die Stimme der Kirchen nicht verzichten | Professor Dr.
Ernst-Christoph
Meier,
Direktor des
Sozialwissenschaftlichen
Instituts der
Bundeswehr | Kompass: Das Sozialwissenschaftliche Institut (SOWI) ist die Einrichtung der Bundeswehr für militärbezogene empirische Sozialforschung. Es beobachtet u. a. die öffentliche Meinung zu Militär und Verteidigungspolitik. Gibt es sozialwissenschaftliche Erkenntnisse, die Auskunft darüber geben können, wie es um „Streitkräfte und Öffentlichkeit“ bestellt ist?
Dr. Ernst-Christoph Meier: Ja, die gibt es und die muss es geben. Denn für Streitkräfte in der Demokratie wie die Bundeswehr ist das Verhältnis zur Gesellschaft und die öffentliche Wahrnehmung der Streitkräfte und ihrer Rolle von zentraler Bedeutung. Wer sich wie die Bundeswehr als Teil der Gesellschaft versteht und es real ja auch ist, der muss diese Beziehung immer im Auge haben, zum Beispiel mit Blick auf die Notwendigkeit, qualifiziertes Personal zu gewinnen. Hier spielt das Image einer Firma, so auch das der Bundeswehr, natürlich eine ganz wichtige Rolle. Das Sozialwissenschaftliche Institut führt jedes Jahr eine repräsentative Bevölkerungsbefragung zum sicherheits- und verteidigungspolitischen Meinungsbild in Deutschland durch. Die Ergebnisse vom Herbst 2007 sind, wie auch in den Vorjahren, außerordentlich erfreulich. Die Bundeswehr genießt als Institution mit 87 Prozent ein sehr hohes Vertrauen, auch die Leistungen der Bundeswehr im In- und Ausland werden mit 90 bzw. 83 Prozent sehr positiv bewertet, ähnliches gilt für das öffentliche Auftreten der Soldaten. Die Allgemeine Wehrpflicht erfährt, was viele überraschen mag, seit Jahren eine stabile Zustimmung von knapp zwei Dritteln der Bevölkerung. Dabei haben die Bürger sehr wohl ein Gespür für vermeintliche oder tatsächliche Schwachstellen. Ausbildung, Ausrüstung und Bewaffnung der Bundeswehr werden von den Bürgern deutlich schlechter beurteilt. Dies dürfte auf jahrelange Finanzdiskussionen sowie Erfahrungen aus und diverse Vorfälle in den Einsatzgebieten, aber auch im Inland, zurückzuführen sein.
Kompass: Auf den ersten Blick ein eher positives Ergebnis. Es fällt jedoch auf, dass eine öffentliche Auseinandersetzung über die politischen Grundlagen und tatsächlich politisch gewichtigen Streitkräftefragen und den damit verbundenen Dienst der Soldatinnen und Soldaten eher in kleinen Zirkeln stattfindet. Was vermuten Sie? Welches könnten dafür Gründe sein?
Dr. Ernst-Christoph Meier: An zwei Gründen kommt man zunächst nicht vorbei. Zum einen hat sich das Sicherheitsempfinden der Bürger nach dem Ende der alten Ost-West-Konfrontation verändert. Die Welt ist, gerade und vor allem in Europa, subjektiv und auch objektiv sicherer und friedlicher geworden. Das schlägt sich nieder in einem verringerten Interesse der Bürger an Fragen der Verteidigungs- und Außenpolitik. Kriege, Konflikte und Krisen sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, für die Deutschen in eher weite Ferne gerückt. Der andere Grund ist, dass unter normalen Umständen das Interesse von Bürgern an der Außen- und Verteidigungspolitik eher gering ist, weil die unmittelbare Betroffenheit nicht so wahrgenommen wird, das individuelle Bedrohungsgefühl nicht so gegeben ist, wie bei sozialen oder wirtschaftlichen Fragen. Unsere Befragungen belegen dies eindeutig. Das mag, objektiv betrachtet, in der globalisierten und vernetzten Welt eine Fehlwahrnehmung sein, ändert aber nichts an der subjektiven Realität des Einzelnen, für den der Steuersatz oder der Rentenbescheid wichtiger wirken als die Gefährdung der Energieversorgung Deutschlands durch eine Krise am Golf oder in Zentralasien. Geringes Interesse führt dann auch zu einem geringeren Kenntnisstand über außen- und sicherheitspolitische Themenbereiche. Möglicherweise befinden sich gerade die Deutschen hier immer noch in einem gewissen politischen Lernprozess. Dieser Lernprozess bezieht sich einerseits auf die gestiegene internationale Verantwortung Deutschlands, die häufig ein militärisches Engagement gemeinsam mit Verbündeten und Partnern zur Friedenssicherung einschließt. Andererseits betrifft dieser Lernprozess die Betroffenheit unserer Lebensführung durch Vorgänge, die in ganz anderen Regionen der Welt stattfinden, sei es die Veränderung des Klimas, sei es das Phänomen transnationaler Bedrohungen wie die des internationalen Terrorismus und vieles andere mehr. Ob sich daraus ein dauerhaft höheres Interesse an diesen Politikbereichen entwickelt, müsste natürlich erst empirisch nachgewiesen werden.
Kompass: Nun bestimmen die öffentliche Wahrnehmung insbesondere die Einsätze deutscher Streitkräfte außerhalb der bündnisbezogenen Landesverteidigung. Afghanistan kommt fast tagtäglich, Bosnien-Herzegowina schon weniger in den Meldungen vor. Dass nach wie vor deutsche Soldatinnen und Soldaten im Kosovo ihren Dienst leisten, das gerät zunehmend in den Hintergrund. Reicht es Ihrer Meinung nach aus, öffentliche Wertschätzung und Aufmerksamkeit gleichsam nur über Auslandseinsätze zu gewinnen?
Dr. Ernst-Christoph Meier: Es würde nicht ausreichen, aber das Bild stellt sich nach unseren Erkenntnissen auch etwas anders dar. Tatsächlich wird die positive Einschätzung der Bundeswehr ganz maßgeblich durch die Hilfseinsätze bei Katastrophen im Inland, aber ebenso im Ausland geprägt. Gerade Hilfseinsätze wie die an Oder und Elbe bedeuten öffentliche Präsenz der Bundeswehr und authentisches Erleben ihrer Leistungsfähigkeit durch die Bürger. Bei den Auslandseinsätzen gibt es meist nur ein medial vermitteltes, indirektes Dabei-Sein der Bevölkerung. Einsätze der Bundeswehr bei Katastrophenfällen werden nicht nur einhellig unterstützt, sie strahlen nach unserer Analyse auch aus auf die Unterstützung der Bürger für die anderen Einsätze der Bundeswehr im Ausland, über die man durchschnittlich nur sehr wenig weiß. Hier findet gleichsam ein Vertrauenstransfer statt. Allerdings ist dieses Vertrauen nicht unbegrenzt belastbar. Wir haben im vergangenen Jahr zeigen können, wie unmittelbar sich ein Vorfall wie die Totenschädel-Affäre in Afghanistan auf die Zustimmung der Bevölkerung zu diesem Einsatz auswirkt. Deshalb ist es so wichtig, dass die Politik den Bürgern immer wieder erklärt, warum deutsche Soldaten überhaupt – und oft über lange Jahre – an einem internationalen Einsatz teilnehmen. Wenn dies nicht geschieht, muss man sich nicht wundern, dass bei Anschlägen auf die Bundeswehr oder bei einzelnen Verfehlungen von Soldaten die Zustimmung der Bevölkerung zu einer fortgesetzten Beteiligung der Bundeswehr schnell und deutlich zurückgeht.
Kompass: Wie müsste Ihrer Meinung nach ein breit angelegter gesellschaftspolitischer Dialog über deutsche Außen- und Sicherheitspolitik angelegt sein? Welche Akteure sollen dabei sein - auf welche könnte man verzichten?
Dr. Ernst-Christoph Meier: Eine breitere Debatte über die Ziele und Interessen deutscher Außen- und Sicherheitspolitik wäre angesichts der veränderten internationalen Rolle Deutschlands und der neuen Herausforderungen für unsere Sicherheit politisch wie gesellschaftlich wünschenswert. Im Lichte der von mir angesprochenen kognitiven Interessenlage der Bürger muss man allerdings vor übertriebenen Hoffnungen warnen. Klar ist, dass die primäre Verantwortung den politisch und militärisch Verantwortlichen zukommt. Das Rational unseres internationalen Engagements immer wieder, auch bei Rückschlägen, mit guten Argumenten zu kommunizieren, ist eine Daueraufgabe, die man nicht allein bei den Fachministern abladen kann. Warum finden außen- und sicherheitspolitische Debatten im Bundestag nur allzu häufig vor leeren Rängen statt und warum tritt in diesem Themenfeld selten die erste Garde der Parteien auf? Daneben fällt den Medien eine entscheidende Rolle zu. Zu häufig werden nur außergewöhnliche, zumeist negative Ereignisse oder kritische Entwicklungen aufgegriffen. Das konnten wir deutlich nachweisen. Die medial konstruierte Wirklichkeit ist hoch selektiv, verstärkt durch die Tatsche, dass nur wenige Journalisten sich im Politikfeld der Außen- und Sicherheitspolitik tummeln. Weitere Akteure haben eine Rolle und eine Verantwortung, nicht zuletzt die Kirchen. Die Frage, aus welchen Gründen und wo sich Deutschland militärisch international engagiert, wird und muss immer auch unter humanitären und ethischen Gesichtspunkten beantwortet werden. Hier sollte aus meiner Sicht auf die Stimme der Kirchen in der sicherheitspolitischen Debatte nicht verzichtet werden.
Das Interview führte Josef König.
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