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Streitkräfte und Öffentlichkeit"Es gibt keine Resonanz, es scheint aber auch so, dass keine gewünscht wird." | | Inzwischen gehört es im Deutschen Bundestag zur Routine, über die Mandate für den Einsatz der Bundeswehr zu beraten und zu beschließen. Über die üblichen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien hinaus gibt es jedoch keine intensive und breit angelegte Diskussion über Sinn und Zweck des Engagements weltweit und die Rolle der Streitkräfte in diesem Prozess. Inwieweit die Bundeswehr angemessen strukturiert, ausgerüstet und bewaffnet ist und die Soldaten und Soldatinnen auf diese Herausforderungen auch mental und psychisch ausgerichtet sind, bleibt nachrangig.
Medien, Öffentlichkeit und die Bundeswehr selbst verhalten sich nicht weniger desinteressiert. Allenfalls finden Vorkommnisse und Verstöße im soldatischen Alltag Resonanz, die den Wehrbeauftragten auf den Plan rufen und die Öffentlichkeit kurzfristig entrüsten. Auch so genannte Experten-Foren zur Entwicklung der Sicherheitspolitik, die in Berlin und in München zelebriert werden, haben längst den Charakter von Klassentreffen. Anstöße zu weiteren politischen oder militärischen Initiativen dürfen von dort schon lange nicht mehr erwartet werden. Eine gründliche Auseinandersetzung über das Für und Wider militärischer Einsätze in Krisengebieten fehlt, die Öffentlichkeit wird schon gleich gar nicht erreicht.
Und die Bundeswehr selbst orientiert ihre Öffentlichkeitsarbeit auf das Ablichten von militärischem Gerät und die Auftritte des Ministers. Eine nachgerade Scheu ist zu spüren, sich kritisch mit sich selbst zu beschäftigen und auseinanderzusetzen. Die Gesellschaft zu solch einem Diskurs einzuladen und gemeinsam Perspektiven für Aufgabenwandel und Anforderungen zu entwickeln, bleibt in den Ansätzen stecken. Die langjährige Reihe des Verteidigungsministers "Impulse 21" war zwar nie unbedingt ein Straßenfeger, aber inzwischen ist sie ganz eingestellt.
Das alles sind Ergebnisse verschiedener Versäumnisse. Es ist in den vergangenen Jahren nicht gelungen:
- sicherheitspolitische Herausforderungen,
- verteidigungspolitische Entwicklungen,
- Umbau und Reform (Transformation) der Streitkräfte,
- Berichte über Einsätze,
- gesellschaftliche Grundströmungen
| | in geeigneter Weise zu einem Themenkomplex zu verbinden, von dem man annehmen könnte, er würde zu einer Grundsatzdiskussion einladen. Auch und gerade die Experten aus der Wissenschaft lassen sich allenfalls über Teilaspekte aus. Und Journalisten, die das ganze Spektrum behandeln könnten, wagen nicht mehr als die schnelle Nachricht. Zu einer breit angelegten und tiefen Analyse scheinen sie nicht mehr fähig oder willens.
Es gibt keine Resonanz, es scheint aber auch so, dass keine gewünscht wird. Vielmehr winken Politiker das Thema durch oder nutzen das alte Instrument der Sonntagsreden, um nichts zu sagen. Es fehlt jede Initiative aus der Politik, aus dem Parlament, aus der Öffentlichkeit und aus den Medien - und die Bundeswehr schweigt. So ist die jüngste Denkschrift der EKD "Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen" vom Oktober letzten Jahres wirklich diskussionsbedürftig ob ihrer politischen Keuschheit. Jedoch gab es im Vergleich zu früheren intensiven Streitigkeiten allenfalls den einen oder anderen Hinweis in Feuilletons.
Gelegentliche prominente Klagen, wie die des Bundespräsidenten in seiner Rede vor den Generalen und Stabsoffizieren während der 40. Kommandeurtagung der Bundeswehr in Bonn am 10. Oktober 2005, lassen kurz aufhorchen, mehr aber auch nicht. Köhler mahnte seinerzeit: "Gewiss, die Bundeswehr ist gesellschaftlich anerkannt; aber was heißt das eigentlich genau? Die Deutschen vertrauen der Bundeswehr, mit Recht, aber ein wirkliches Interesse an ihr oder gar Stolz auf sie sind eher selten." Noch seltener sind anscheinend der Wunsch und das Bemühen, den außen- und sicherheitspolitischen Wandel zu verstehen und zu bewerten, der da auf die Bundeswehr einwirkt.
| Bundesverteidigungsminister
Franz Josef Jung (CDU), der
Generalinspekteur der Bundeswehr,
Wolfgang Schneiderhan,
und die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses,
Ulrike Merten
(SPD), während einer Sitzung des
nicht öffentlich tagenden Verteidigungsausschusses
des Deutschen
Bundestages | Wenn die Deutschen so wenig vom Ernst des Lebens wissen, auf den die neue Bundeswehr eine Antwort ist, dann werden sie nur schwer einschätzen können, welchen Schutz die neue Sicherheitspolitik verspricht, welche Gefahren sie möglicherweise mit sich bringt, ob der Nutzen die Kosten wert ist und welche politischen Alternativen Deutschland und die Deutschen bei alledem eigentlich haben. Das müssen sie aber einschätzen können, damit sie die nötige demokratische Kontrolle ausüben können, damit sie innerlich gewappnet sind für die kommenden Herausforderungen und damit sie den Dienst ihrer Mitbürger in Uniform zu schätzen wissen und aus Überzeugung hinter ihnen stehen. Darum wünsche ich mir eine breite gesellschaftliche Debatte - nicht über die Bundeswehr, sondern über die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik unseres Landes.
Ein Ruck ging nicht durch die Gesellschaft, Folgerungen sind seither auch nicht gezogen worden, und es bleibt die Frage: Warum ist das so?
Zweifellos stehen grundsätzlich die so genannten vitalen Interessen der Menschen in diesem Land im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit, die Befriedigung der Bedürfnisse und Bewältigung der alltäglichen Anforderungen und Probleme. Davon gibt es in der Tat genügend, die vorrangig wirken und auch dringlich sind: angefangen vom Arbeitslosengeld II bis zu den Benzinpreisen, von der Klimaveränderung bis zu den Bahnstreiks, von der Kinderarmut bis zum Rechtsradikalismus. Einsätze der Bundeswehr am Hindukusch, im Kosovo, im Kongo oder vor der Küste des Libanon rücken da in den Hintergrund. Wäre eine Bedrohung in Hindelang zu melden oder eine Gefahrenabwehr an der deutschen Grenze notwendig, würde sich die Bedürfnisskala zwangsläufig ändern. Beides ist nicht erkennbar und wird auch nicht erwartet. So bleibt es bei gelegentlicher Trauer und beim Mitgefühl, wenn Soldaten im Einsatz sterben. Aber eine Hinwendung zur überwölbenden Problemstruktur deutscher Verteidigungspolitik gibt es nicht.
| Das öffentliche Interesse ist
zumeist garantiert, wenn der Wehrbeauftragte
des Deutschen Bundestages
seinen jährlichen Bericht an
die Obleute des Verteidigungsausschusses
übergibt – hier Reinhold
Robbe (4. v. re.) und die Vorsitzende
Ulrike Merten (5. v. li.) | Was müsste geschehen, um Verteidigungspolitik wieder zu einem allseits kritischen - weil es uns alle angeht - Thema zu machen?
Notwendig wäre eine Gruppe von namhaften und kundigen Menschen, die sich aus Vertretern gesellschaftlicher Einrichtungen, aus dem Parlament und aus der Bundeswehr und aus Experten aus der Wissenschaft sowie aus Journalisten zusammensetzt. Unter der Leitung eines anerkannten elder statesman würde sie sich zum Ziel setzen:
sicherheitspolitische Bedingungen zu definieren,
Sinn und Zweck militärischer Mittel als Instrument einer umfassenden Sicherheitspolitik herauszuarbeiten,
Interessen an dieser deutschen Verteidigungspolitik zu benennen, das Für und Wider der Einsätze der Bundeswehr weltweit zu diskutieren,
Initiativen für einen Dialog in der Öffentlichkeit und zwischen den verschiedenen Einrichtungen zu entwickeln,
Mitverantwortung zu benennen und zur Mitgestaltung einzuladen sowie
eine geeignete Öffentlichkeitsarbeit für das Thema Verteidigungspolitik vorzustellen, zum Dialog einzuladen und aktuelle Abläufe zu begleiten.
Eine Auseinandersetzung über die Weiterentwicklung der sicherheits- und verteidigungspolitischen Grundsätze in der Bundesrepublik Deutschland und deren - nach meiner Meinung - notwendiger Bündelung zu einem nationalen Sicherheitskonzept verlangen eine eingehende öffentliche Diskussion. Damit gelänge, da bin ich mir sicher, die Entwicklung hin zu einer Vereinbarung eines gesellschaftlichen Konsenses über Sinn, Zweck und Art der Streitkräfte und ihrer Einsatzvoraussetzungen.
Franz H. U. Borkenhagen
Fellow Bertelsmann Stiftung
2002 bis 2005 Leiter Planungsstab des Bundesministers der Verteidigung
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