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Freiheit und Sicherheit | Prof. Dr.
Hauke Brunkhorst,
Universität
Flensburg | Die Demokratie des Grundgesetzes hat nur eine normative Voraussetzung, die selbst noch zum positiven Verfassungsrecht gehört und nicht nur in seinem Rahmen, sondern in jeder denkbaren modernen Demokratie unaufhebbar (bzw. nur um den Preis der Demokratie aufhebbar) ist. Das ist die gleiche Freiheit eines und einer jeden Rechts unterworfenen. Alles, was sonst noch als zentrale Norm des Grundgesetzes erscheint oder im Zentrum seiner sogenannten Wertordnung steht, etwa die in der Tat zentrale Menschenwürde des Art. 1 GG, setzt bereits die freie Gleichheit aller voraus und ist ihr nachgeordnet. Das Grundgesetz schützt die Menschenwürde absolut (Unantastbarkeit), aber zur Bedeutung der Würde des Menschen gehört die egalitäre Freiheit. Was sie verletzt, verletzt die Menschenwürde.
Das Rechtsprinzip gleicher Freiheit bezieht sich gleichzeitig auf die individuelle Selbstbestimmung, alles tun zu dürfen, was das Gesetz nicht ausdrücklich verbietet - das steht schon bei Hobbes; und sie bezieht sich auf die gemeinschaftliche Selbstgesetzgebung, die vorschreibt (Art. 20 Abs. 2 GG), alle Gesetzesunterworfenen zu Autoren des Gesetzes zu machen und nur demokratisch begründbare Ausnahmen (durchreisende Ausländer, unterhalb einer bestimmten Altergrenze usw.) zuzulassen. Besonders diese letztere Bedingung soll durch ein umfassendes System der Menschenrechte gewährleistet werden. Ihre ausschließliche Funktion ist es, individuelle und gemeinschaftliche Selbstbestimmung, kurz: die freie Gleichheit aller zu ermöglichen.
Die Menschrechte sind nur dann die Rechte aller Menschen, wenn sie keinen noch so brutalen und perversen Terroristen, Nazi-Henker oder Kindermörder ausschließen. Auch in dieser Hinsicht sind sie radikal egalitär und auf die Einbeziehung jedes Gesetzes angelegt. Darin sind sie schon von sich aus demokratisch. Eine Demokratie, die alle, die von ihren bindenden Entscheidungen betroffen sind, in das Zustandekommen dieser Entscheidungen einbezieht, ist ohne Menschenrechte ebenso undenkbar wie ein Menschenrechtsregime ohne Demokratie, denn ein solches Regime könnte das, worauf es bei den Menschenrechten allein ankommt, das Selbstbestimmungsrecht aller Menschen, nicht gewährleisten. Kant hat dies zu Recht als das eine und einzige Menschenrecht betrachtet. Insofern beerben die Menschenrechte, ohne noch auf ihn angewiesen zu sein, den bilderlosen Monotheismus.
Solche Freiheit setzt, auch das verlangen die Menschenrechte, eine erhebliche ökonomische soziale, politische (polizeiliche) und kulturelle Sicherheit zu ihrer gleichen und ungezwungenen Ausübung voraus. Keine Freiheit ohne solche Sicherheit. Aber der demokratische Rechtsstaat erlaubt nur so viel Sicherheit wie der freien Gleichheit zuträglich ist. Der Sicherheitsschutz des Grundgesetzes bezieht sich deshalb nur auf die Gewährleistung von Demokratie und Menschenrechten, aber nicht auf die Selbsterhaltung des Staates als Staatsapparat, nicht einmal auf die Selbsterhaltung der parlamentarischen Systems oder gar die Erhaltung seiner staatlichen Grenzen. Wie viel Staat eine Verfassung zulässt und welche Form seine Demokratie (gerade in Zeiten der Globalisierung) annimmt, das bemisst sich allein an demokratischer und individueller Selbstbestimmung, und daran relativiert sich auch noch das parlamentarische System. Keine Frage, dass Folter, Feindstrafrecht und ähnliche Requisiten mit der inklusiven Selbstbestimmung moderner Demokratien unverträglich sind. Sie mögen rechtsstaatlich institutionalisierbar sein - das zeigen schon die Inquisitionsprozesse und ihre strenge Bindung ans Recht. Mit der Demokratie und den Menschenrechten bleiben sie unvereinbar.
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