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Ethik verpflichtet – wenn sie freiwillig ist

Stefan Dengel, Geschäftsführer der „aktion kaserne", Initiative katholischer Jugendverbände im BDKJ
Militärischer Erfolg hängt heute oft vom ethisch richtigen Handeln des Einzelnen ab. Und auch wenn die Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten ihre Aufgaben sehr gewissenhaft erfüllt, so resultierten die größten Skandale der letzten Jahre stets aus individuellen moralischen Verfehlungen, etwa die zurückliegende Totenschädelaffäre in Afghanistan. Daher ist es nur berechtigt, wenn die militärische Führung mit der neuen Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) 10/1 ein besonderes Augenmerk auf die ethische Bildung legt.

Aus diesem Anspruch heraus erwächst die intensiv diskutierte Frage, wie diese den jungen Soldatinnen und Soldaten am besten vermittelt werden kann. Das Wundermittel dazu scheint die Streitkräfteführung schon gefunden zu haben: Einen verpflichtenden Ethikunterricht mit der so genannten „Konstanzer Dilemma-Methode“ (Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion). Diese soll jedem unabhängig von seinem Vorwissen einen nachprüfbaren ethischen Fortschritt garantieren. Man könnte diese Ausbildung auch dem Auftrag und der gewünschten Ausbildungshöhe anpassen, die dazu notwendigen Ausbildungsstunden ermitteln und die erreichte Ausbildungshöhe nachprüfen. Dann wäre die militärische Führung auch auf der sicheren Seite, falls mal wieder ein moralischer Skandal öffentlich wird. Und der lässt sich damit garantiert nicht verhindern.

Denn viele junge Soldatinnen und Soldaten werden durch ethische Pflichtstunden keine Steigerung ihrer moralischen Urteilsfähigkeit erfahren. Sie werden ihre Zeit absitzen und auch das für etwaige Tests Gelernte schnellstens wieder aus dem Kurzzeitgedächtnis verdammen, weil ihnen die existentielle Tragweite eines solchen Unterrichts aufgrund ihrer geringen Lebenserfahrung nicht offenbar werden kann. Aus diesem Grunde mahnte schon Aristoteles, dass Ethik nichts für junge, unerfahrene Hörer sei.
Daher sollte es in der Debatte weniger um das „wie“ der Ethikvermittlung gehen. Vielmehr darum, wie bei jungen Soldatinnen und Soldaten ein wirkliches, persönliches Interesse für ethische Fragen geweckt werden kann. Dazu gibt es sicherlich bessere Wege als verpflichtenden Ethikunterricht. Auf die vielfältigen, oftmals niedrigschwelligen Möglichkeiten weist auch die Zentrale Dienstvorschrift (ZDv) 10/1 selbst hin: Erstens darauf, dass es im Horizont vieler anderer Unterrichts- und Aufgabengebiete Möglichkeiten gibt, um das moralische Nachdenken anzustoßen. Zweitens verweist sie ausdrücklich auf die Bedeutung von Vorbildern. Noch wichtiger als das prägende Vorbild der militärischen Vorgesetzten ist hier sicherlich die Autorität des Militärseelsorgers, der zudem über eine hervorragende ethische Ausbildung verfügt. Als verlässlicher Ansprechpartner steht er dafür, dass ethische Fragen inner- und außerhalb des Unterrichts existentielle Themen sind.

Das ethische Lernen an moralischen Vorbildern ist ein sehr werthaltiges Lernen, das übrigens auch die Moral der Bundeswehr seit ihren Anfängen kennzeichnet: Es ging immer um die Werte, die gelebt und verteidigt werden. Auch dies spricht gegen moralische Pflichtstunden mittels der Dilemma-Methode. Daher scheint es am sinnvollsten, ethische Gehalte möglichst harmonisch in das Gesamt der Führung, Erziehung und Ausbildung einfließen zu lassen. Die explizite Auseinandersetzung mit ethischen Fragen ist eine gute Ergänzung, sollte aber auf jeden Fall freiwillig bleiben und vorrangig der Wertevermittlung durch fachlich erstklassige Autoritätspersonen dienen.

Stefan Dengel,
Geschäftsführer der „aktion kaserne",
Initiative katholischer Jugendverbände im BDKJ