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Toleranz | Dr. Matthias Gillner,
Dozent für Katholische Sozialethik
an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg | Verwechslung inbegriffen! Diskurse über Toleranz zeugen nicht selten von groben Missverständnissen. So sehen Verächter in ihr eine Haltung unzulänglicher Entschiedenheit, schlicht „die Unfähigkeit zu Ja und Nein“ (F. Nietzsche) oder gar schlimmer noch: eine „heimtückische Krankheit“ (D. H. Lawrence), die „friedlich“ alles gelten lässt. Andere Kritiker betrachten sie als eine mindere Tugend im Übergang – hin zu echter Wertschätzung (M. Heidegger). Doch Toleranz verträgt sich weder mit Gleichgültigkeit noch bloßer Bejahung. Sie beinhaltet immer schon eine persönliche Ablehnung von Überzeugungen und Praktiken, die als falsch erkannt oder schlecht bewertet werden. Nur geht sie nicht so weit, diese auch aus moralischen Gründen zurückzuweisen. An ihre normative Grenze stößt diese Akzeptanz bei Ansichten und Handlungen der Intoleranz.
Toleranz als Duldung
Auch wenn in der Antike Toleranz – gegenüber anderen Religionen – durchaus in Grenzen praktiziert wurde, der Begriff selbst taucht erstmals bei Cicero auf. Doch meint tolerantia hier ein Verhältnis zu sich selbst, insofern sie ein würdevolles Ertragen von Unglück und Ungerechtigkeit einfordert. Angesichts von Verfolgung und Martyrium wird der Begriff bei frühchristlichen Autoren im Sinn der Leidensfähigkeit von Gläubigen religiös gedeutet. Für das Mittelalter bestimmend wird die sozial-ethisch ausgeweitete Toleranz-Konzeption von Augustinus. Zur Vermeidung noch größerer Übel soll falscher Glaube (Juden, Heiden) und manch schlechtes Verhalten (z. B. Prostitution) geduldet, keineswegs jedoch gebilligt werden. Von solcher Toleranz ausgeschlossen werden „Abweichler“ (Schismatiker und Häretiker); denn der Abfall vom wahren Glauben – interpretiert als Akt der Bosheit – führe zu gesellschaftlichem Unfrieden.
Toleranz als Respekt
Durch die Konfessionalisierung der christlichen Religion wird die Toleranz zur epochalen Frage der Neuzeit. Konzeptionell verändert sich der Begriff mit John Lockes „Brief über Toleranz“ hin zum gegenseitigen Respekt. Die nicht delegierbare Verantwortung des Menschen für sein eigenes Seelenheil setzt auch der staatlichen Befugnis in religiösen Fragen enge Grenzen: Von der Toleranz ausgenommen bleiben nur solche Personen und Gruppen, die die normativen Grundlagen des Staates gefährden (z. B. Katholiken wegen Gehorsam gegenüber einem fremden Souverän). Diese Beschränkungen werden in der französischen Aufklärung mit der Trennung von Glauben und Wissen überwunden. Aufgrund der Endlichkeit der Vernunft in Glaubensfragen lässt sich für Pierre Bayle religiöser Zwang wechselseitig nicht rechtfertigen. Aus Respekt vor der Freiheit der Person erkennt auch die katholische Kirche im II. Vatikanischen Konzil die Religionsfreiheit an.
Toleranz als gesellschaftliche Praxis
Zunehmende Pluralisierung religiöser Überzeugungen und ethischer Wertvorstellungen ist ein Kennzeichen moderner Gesellschaften. Toleranz als Respekt vor anderen Vorstellungen vom guten Leben – Duldung wäre nur eine Art der Beleidigung (Goethe) – wird zu einer notwendigen demokratischen Tugend, zu einer Herausforderung vor allem durch Einwanderer aus fremden Kulturen. Dadurch entstehen Toleranz-Konflikte, die nicht leichtfertig und allzu vereinfachend als Verstöße gegen den Basiskonsens der Gesellschaft qualifiziert werden dürfen (etwa das Kopftuch als Unterdrückungssymbol der Frau und das Schächten als Tierquälerei). Die Grenze gesellschaftlicher Toleranz markieren die Menschenrechte, die keiner Person abgesprochen werden können.
Toleranz als persönliche Tugend
Toleranz ist kein Zeichen innerer Schwäche. Die eindeutige Ablehnung einer anderen Überzeugung und Praxis verlangt einen festen eigenen Standpunkt, der die Freiheit des anderen auszuhalten vermag. Die Botschaft von der Gottebenbildlichkeit aller Menschen sollte gerade Christen Mut machen, sich dieser Aufgabe immer neu zu stellen. Wir haben dabei auch selber einiges zu gewinnen.
Dr. Matthias Gillner
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