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Die Olympischen Spiele und die Menschenrechte

Pater Anton Weber, Direktor des China- Zentrum e. V., Sankt Augustin
Viel wurde in den vergangenen Monaten diskutiert, ob die Olympischen Spiele in Peking auf Grund der wiederholten und massiven Verletzungen der Menschenrechte zu boykottieren seien oder nicht. Es ist ja nicht zu leugnen, dass China das Versprechen, mit der Übernahme der Olympischen Spiele auch einen Beitrag zur Verbesserung der Menschrechtslage im Land zu erstellen, nicht in der erhofften Weise wahr gemacht hat. Inzwischen gewinnt jedoch die Meinung, dass ein Boykott der Spiele nicht viel bringen würde, die Oberhand. Vielleicht spielt bei der Entscheidung zwischen Ja oder Nein zum Boykott auch die Haltung Chinas, jede Person, Regierung oder Institution, die sich für den Boykott entscheidet, unter die Kategorie der Feinde Chinas einzustufen, eine Rolle.

Derweilen macht der olympische Fackellauf weiter unter dem Jubel aller patriotisch gesinnten Bürger seinen Weg durch die Provinzen. Ende Juni hat er Lhasa, die Hauptstadt Tibets, erreicht. Nach einer Information des "Zentrum für Menschenrechte und Demokratie" in Hongkong standen 8.000 Soldaten der Befreiungsarmee und 4.000 Leute aus einer paramilitärischen Einheit bereit, um für einen störungsfreien Fackellauf durch Lhasa zu sorgen. Schon am folgenden Tag sollte die Olympiaflamme in die Provinz Qinghai weitergereicht werden.



Vor dem „Vogelnest“ (neues Nationalstadion): Läufer 100 Tage vor der Olympia-Eröffnung
Die Olympiade - ein Erfolg?

Werden die Olympischen Spiele in der Volksrepublik (VR) China ein Erfolg werden? Diese Frage stellt sich die Regierung in Peking schon seit sieben Jahren. Dieselbe Frage stellen aber auch die Vertreter von Menschenrechtsorganisationen. Für letztere ist der Erfolg der Spiele nicht zu trennen von der Verbesserung der Menschenrechtssituation. Ein kleines sichtbares Zeichen in dieser Richtung würden sie schon sehen in der Freilassung derer, die seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 immer noch im Gefängnis sitzen. Ferner wünschen sie sich die Umsetzung des Versprechens der Pressefreiheit für ausländische und chinesische Journalisten. Und endlich müssten auch die Leute in gerechter Weise entschädigt werden, welche durch den Aufbau der Olympiastätten Schaden genommen haben, sei es durch den Verlust ihres Landes oder durch Unterbezahlung ihrer Arbeit, was vor allem bei vielen Wanderarbeitern der Fall war.

Regierung und Partei sehen den Erfolg der Olympischen Spiele aber in einem ganz anderen Zusammenhang. Bei ihnen steht er ganz unter dem Aspekt der Sicherheit. Selbst Menschenrechtsverletzungen werden um der Sicherheit willen als das geringere Übel in Kauf genommen. Gerechtfertigt wird das harte Zugreifen mit dem Hinweis auf die Gefahr von Terroranschlägen und Sabotageakten. Restriktionen und Vorsichtsmaßnahmen, so hat man den Eindruck, nehmen übertriebene Ausmaße an. So sollten beispielsweise ab 20. Juni in allen Gebieten, die auch nur im Entferntesten etwas mit Olympia zu tun haben, sämtliche Bautätigkeiten unterbunden werden, und zwar bis zum 1. Oktober. Zugleich mussten bis dahin alle Wanderarbeiter die Olympiastädte verlassen haben.
Wie geht es weiter?

In all dem wird deutlich, wie sehr Partei und Regierung in die Falle des Olympiaerfolgs geraten sind. Misserfolg muss vollständig ausgeschlossen werden. Nichts darf das Bild von China als der Nation im Aufbruch zur Weltmacht, an der in Zukunft niemand mehr schadlos vorbeigehen kann, zerkratzen. Auf dem Spiel steht auch der Macht-anspruch der Partei, die sich allein das Verdienst zuspricht, das Land in den Fortschritt geführt zu haben, in dem es sich heute der Welt präsentiert. Jedes Mittel ist gerechtfertigt, diese Macht zu erhalten. Und sie allein glaubt sich in der Lage, die Stabilität und Integrität des Landes garantieren und es vor dem Chaos bewahren zu können. Auf diesem Hintergrund behalten die Menschenrechte zwar ihren Wert als Ideal und als erstrebenswertes Ziel, dem sich die Regierung der Volksrepublik auch durchaus verpflichtet weiß. Jedoch wird die Umsetzung nur schrittweise und im Gefüge anderer ebenbürtiger Prioritäten möglich sein.

Eine Putzkolonne vor dem „Vogelnest“ (neues Nationalstadion)
Alle Appelle im Interesse der Menschenrechte, so berechtigt diese auch sein mögen, gehen damit ins Leere. Die Angst vor dem Risiko eines durch "China-feindliche" Elemente angestachelten Debakels ist zu groß, um sich auf Kompromisse mit Menschenrechtlern einzulassen. Weiterblickende Kenner der Lage haben es deshalb bereits aufgegeben, von der Regierung der VR China im Blick auf die Olympischen Spiele Handlungen einzufordern, die den ursprünglichen Erwartungen bei der Übernahme der Spiele im Jahre 2001 entsprechen. Sie schauen bereits mit einer Mischung aus Hoffnung und Skepsis auf die nacholympische Zeit. Auf lange Sicht, das ist allen klar, wird China, um sich als reifer Partner in der Reihe der Großmächte halten zu können, nicht daran vorbei kommen, die Verwirklichung der Menschenrechte in der Liste der Prioritäten ganz nach oben zu rücken.

Pater Anton Weber SVD
Direktor des China-Zentrum e.V.
Sankt Augustin