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Liebe Leserinnen und Leser,

… damit nicht die nostalgisch undifferenzierte Rückschau zum ausschließlich bestimmenden Fokus der Aufarbeitung wird ...
der 9. November 1989 ist in emotionaler Hinsicht für viele Zeitzeugen das wichtigste Datum, welches deshalb auch in Erinnerung bleiben wird. Es markiert den Beginn des Endes der DDR. Zuvor schon, im Sommer desselben Jahres, nutzten viele Familien den Urlaub in den sozialistischen Bruderländern Polen, CSSR und Ungarn als Chance, über die Besetzung der bundesdeutschen Botschaften in Warschau, Prag und Budapest eine Ausreise zu erzwingen. Ungarn öffnete die Grenze zu Österreich - weitere ausreisewillige Bürgerinnen und Bürger der DDR sahen darin die Gelegenheit, das Land zu verlassen.

Trotzdem: es ist der 9. November, der insbesondere in der durch Mauer, Stacheldraht und Minenfelder geteilten Stadt Berlin nach der verklausulierten Erklärung des Mitglieds des Politbüros der SED, Günter Schabowski, folgenreich war: "Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen - Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse - beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Die zuständigen Abteilungen Pass- und Meldewesen der VPKÄ (der Volkspolizei-Kreisämter) in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne dass dabei noch geltende Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen." Was dann, insbesondere nach der Meldung in der 20-Uhr-Tagesschau der ARD passierte, konnte an den Bildschirmen auch weltweit verfolgt werden.

Inzwischen ist der zeitliche Abstand zu den historisch folgenreichen Ereignissen, die zum Ende der ideologisch begründeten Ost-West-Konfrontation, dem Zerfall der damaligen Sowjetunion selbst und mithin zur Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands führten, größer geworden. Das gilt es nicht zu beklagen, sondern daraus sind mit Blick auf die historisch-politische Bildung gerade für die nachwachsende Generation Konsequenzen zu ziehen: zu verhindern, dass die nostalgisch undifferenzierte Rückschau zum ausschließlich bestimmenden Fokus der Aufarbeitung wird.

Nostalgische Gefühle dürften einem jungen Wehrpflichtigen, der in der ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR Dienst für das "sozialistische Vaterland" leisten musste und nicht als Berufs- oder Zeitsoldat eine Karriere anstrebte, mit großer Wahrscheinlichkeit eher fremd sein. Dies gilt mit Sicherheit für katholische wie evangelische Christen in der ehemaligen DDR, die nicht erst wegen der Pflicht, Wehrdienst in der NVA zu leisten, mit den Behörden in Konflikt kamen. Wehrerziehung in Schulen und später die Jugendweihe waren bereits zuvor ernsthafte Anlässe, um in den Familien - insbesondere bei den diskriminierenden Folgen einer bewussten Nichtbeachtung - das Überleben unter den Bedingungen einer autoritären und atheistischen Staatsideologie zu organisieren.

Josef König
Chefredakteur