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Christen in der Nationalen Volksarmeevon Oberst Dr. Winfried Heinemann | Öffnung der innerdeutschen
Grenze:
am Checkpoint
Charlie, Berlin,
in der Nacht
9./10.11.1989 | Der Kommunismus allgemein und so auch die kommunistische Führung in der DDR taten sich schwer mit anderen "Religionen". Glauben und kirchliches Leben widersprachen dem weltanschaulichen Totalitätsanspruch des Marxismus-Leninismus. Zwar sicherten die verschiedenen Verfassungen, die sich der ostdeutsche Teilstaat im Laufe seiner vierzigjährigen Existenz gab, formal die Religionsfreiheit zu, aber die Betätigung der Kirchen unterlag gesetzlichen, also einschränkenden, Regelungen.
Als offizielle Doktrin der Staatspartei SED, aber beispielsweise auch des Erziehungsministeriums unter Margot Honecker, galt der Atheismus: die wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnis, dass Gott nicht existiert. Gesellschaftlich äußerte sich das in der selbstverständlichen Annahme, dass es zwar nach wie vor Menschen gebe, die an Gott glauben - die aber seien rückständig, die moderne Forschung habe das Gegenteil erbracht, und irgendwann würden auch die letzten das begriffen haben.
Die DDR-Führung hatte zu den Kirchen gleichwohl ein ambivalentes Verhältnis. Die Großorganisation "Kirche", die einzige der SED nicht untergeordnete Institution in der DDR, blieb ein Fremdkörper innerhalb der "sozialistischen Gesellschaft". Da ein Verbot kirchlicher Aktivitäten aus politischen Gründen nicht möglich war, und man gleichzeitig die Gläubigen für den gesellschaftlichen Aufbau brauchte, blieben die Kirchen in den Augen des Staatssicherheitsdienstes der DDR eine "legale Organisation des Gegners", die es zu überwachen galt. Phasen massiver Unterdrückung wechselten ab mit erstaunlichem Entgegenkommen. Maßgebend dafür war immer auch der Wunsch der DDR-Führung nach internationaler Anerkennung: Eine zu repressive Kirchenpolitik würde das internationale Renommee des zweiten deutschen Staates schädigen. Andererseits galt die Evangelische Kirche in Deutschland immer noch als verbleibendes Symbol deutscher Einheit. Auf katholischer Seite gehörten weite Gebiete der DDR zu westdeutschen Diözesen (Paderborn, Hildesheim, Fulda, Würzburg), so dass die SED-Führung hoffte, der Vatikan werde die Bistumsgrenzen neu definieren und damit die Staatlichkeit der DDR anerkennen.
Wenn man von den Kirchen in der DDR spricht, muss man zunächst sehen, dass dabei vor allem die Kirchen der Reformation gemeint sind. Katholiken hatten auf dem Gebiet der späteren DDR schon vor dem Zweiten Weltkrieg eine kleine Minderheit gebildet, wenn man von den katholischen Enklaven im Eichsfeld und bei den Sorben einmal absieht. Auch die zugewanderten Flüchtlinge aus dem Ermland und vor allem aus Schlesien hatten diese Bilanz nicht wesentlich verändern können. Kirchenpolitik war daher für die DDR-Führung immer vor allem Politik gegenüber der evangelischen Kirche; die katholische Kirche fand in der Wahrnehmung des politischen Systems deutlich weniger Beachtung.
Die Armee und die Kirchen
Die strikte Trennung von Kirche und Staat, hinter der sich die kirchenfeindliche Haltung der SED verschanzte, fand besonderen Ausdruck beim Militär der DDR, also bei der Nationalen Volksarmee (NVA), bei den Grenztruppen oder der Bereitschaftspolizei - alles Formationen, bei denen der junge DDR-Bürger seiner Wehrpflicht Genüge tun konnte. Der Gedanke an eine Militärseelsorge hinter Kasernenmauern wäre absurd gewesen. Zu sehr wurden Kirchenvertreter aller Konfessionen als Agenten des Westens diffamiert, zu streng war die Militärgesellschaft abgeschottet gegen das Zivilleben. Nicht zuletzt sollte der Wehrdienst auch dazu dienen, die jungen Männer im Sinne der DDR und ihrer herrschenden Ideologie zu beeinflussen.
Die katholische Kirche reagierte auf diese Situation, indem sie für junge Wehrpflichtige vor ihrer Einberufung Wochenendseminare anbot, in denen sie auf die Zeit in der Armee vorbereitet wurden. Erklärtes Ziel war es, den jungen Katholiken ein Festhalten am Glauben während dieser Zeit ohne seelsorgliche Begleitung, ohne Gottesdienst und mit massiver ideologischer Beeinflussung ("Rotlichtbestrahlung" im Soldatenmund) zu ermöglichen. Die Bischöfe beauftragten ausgewählte Seelsorger mit dieser Aufgabe, und für die Teilnahme wurde häufig eine Empfehlung des Gemeindepfarrers gefordert, um das Einschleusen von Spitzeln der Stasi zu erschweren. Gleichwohl stand allen Beteiligten vor Augen, dass sie auch bei diesen Veranstaltungen von "Horch und Guck" überwacht wurden, und Teilnehmer berichten, dass deshalb grundsätzlich-oppositionelle Äußerungen gegen den Staat allgemein und die Armee im Besonderen nicht erwünscht waren. Es ging nicht darum, das bestehende Regime zu stürzen, sondern darum, unter seinen Bedingungen als Katholikin bzw. Katholik zu überleben.
| Maueröffnung Berlin, 11.11.1989 | Auf evangelischer Seite gab es auch andere Formen der Betreuung. So berichten Pfarrer aus Standorten, dass sie es Wehrpflichtigen an ihren seltenen Ausgangstagen ermöglichten, in die im Pfarrhaus aufbewahrten Zivilsachen zu schlüpfen, obwohl während des Ausgangs das Tragen der Uniform befohlen war. Auch hier war klar, dass die Staatssicherheit davon wusste - aber in den siebziger und achtziger Jahren griff die Staatsmacht nur ein, wenn sie den Machterhalt nachhaltig gefährdet sah. Andererseits konnte man auch in den achtziger Jahren gelegentlich NVA-Soldaten, sogar die auf drei Jahre verpflichteten Unteroffiziere, in Uniform sonntags in der Kirche sehen.
Religiöse Gespräche in der Kaserne scheinen eher selten gewesen zu sein. Zu dicht war auch hier die Überwachung, zu wenig konnte man sicher sein, dass das, was man dem anderen anvertraute, wirklich vertraulich blieb. Die Einsamkeit muss für viele religiös geprägte Wehrpflichtige eine erhebliche Belastung gewesen sein.
Was für die Wehrpflichtigen galt, galt noch viel mehr für die Berufssoldaten, vor allem die Offiziere. Offizier konnte nur werden, wer Parteimitglied war, und das schloss die Zugehörigkeit zu einer der Kirchen aus. Mehr noch: der Offizier war als Parteimitglied gehalten, auch innerhalb seiner Familie religiöse Betätigung zu verhindern. Ein Offizier, dessen Söhne heimlich die Bibelstunde beim evangelischen Pfarrer besuchten, berichtete später: "Diese Freizeitbeschäftigung war jedoch mit meiner Stellung und Anschauung nicht vereinbar. [...] In einem sachlichen Gespräch machte ich den Jungs begreiflich, dass Kirche und sozialistischer Offizier etwas Gegensätzliches seien." (zitiert nach Matthias Rogg: Armee des Volkes? Militär und Gesellschaft in der DDR, Berlin 2008 [=Militärgeschichte der DDR, 15]).
Friedensbewegung und Kriegsdienstverweigerung
Besonders schwer tat sich die DDR-Führung im Umgang mit der kirchlichen Friedensbewegung. Einerseits unterstützte sie konspirativ und offen die Friedensbewegung in der Bundesrepublik, vor allem deren Kampf gegen die "Nachrüstung" der NATO mit nuklearen Mittelstreckenwaffen. Andererseits hatten die Nähe der DDR zur Bundesrepublik, der intensive Konsum westlicher Medien und die weiterhin enge Verflechtung zwischen den Kirchen in Ost- und Westdeutschland zur Folge, dass die Argumente und Positionen der westdeutschen Friedensbewegung in den sozialistischen Staat im Osten hinüberschwappten. Wenn es im Westen gut und richtig war, das Symbol "Schwerter zu Pflugscharen" auf dem Parka zu tragen - warum sollte dasselbe Symbol (das ja zudem ein Geschenk der Sowjetunion an die Vereinten Nationen darstellte!) in der DDR verboten sein? Entsprechende Gruppen entstanden - wie in der Bundesrepublik ja auch - häufig im kirchlichen Umfeld. Die Leipziger "Friedensgebete" (in der Wende als "Montagsgebete" bekannt geworden) waren eine solche Initiative. Natürlich unterlagen auch Jugendliche, die sich offen zur Friedensbewegung bekannten, der Wehrpflicht - kamen sie allerdings in zu großer Zahl in den Einheiten vor, konnten sie das Ziel der sozialistischen Indoktrination in den Kasernen gefährden. Auch der DDR-Militärführung musste daher daran gelegen sein, diese "Elemente" von der eigentlichen Truppe fernzuhalten.
Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, wie es das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland kennt, gab es in der DDR nicht. Bereits 1964, knapp drei Jahre nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, sah sich die DDR-Führung jedoch durch kirchlichen und internationalen Druck genötigt, einen Ersatzdienst in separaten Baueinheiten für solche Wehrpflichtige einzurichten, die aus Gewissensgründen einen Dienst mit der Waffe ablehnten. Nach Lage der Dinge waren dies weit überwiegend kirchlich gebundene junge Männer. Für die jungen "Bausoldaten" galten im Kern die gleichen Bestimmungen wie für alle anderen Soldaten, schließlich gehörten auch sie ja der Nationalen Volksarmee an. Auch hier gab es keine Seelsorge in der Kaserne, allerdings scheint das Gesprächsklima unter den Wehrpflichtigen offener gewesen zu sein, gerade bei religiösen Themen.
Fazit
Christen erschienen in der DDR als eine "kleine Herde" - und erst recht in deren Streitkräften. In der Kaserne blieb Seelsorge ausgeschlossen, und Ausgang gab es höchst selten. Damit hatte sich das DDR-Regime eigentlich ideale Bedingungen geschaffen, die jungen Männer von der Richtigkeit der neuen, atheistischen und marxistischen Weltanschauung zu überzeugen. Trotzdem sind viele - wohl die meisten - Wehrpflichtigen dieser Beeinflussung gegenüber resistent geblieben, und das gilt auch für diejenigen, die vor ihrer Zeit "bei der Asche" kirchlich gebunden waren. Die Zahl derer, die während des Wehrdienstes ihren Glauben aufgaben, blieb offensichtlich gering. Vielleicht hatte der Heimatpfarrer am Ende doch die besseren Argumente als der Politstellvertreter.
Oberst Dr. Winfried Heinemann,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) in Potsdam.
Leiter der Abteilung Forschung
www.mgfa.deWeitere Bilder | Werbung für
die Jugendweihe
auf einer Litfasssäule
an der
Marienkirche in
Ost-Berlin 1961 |
| | 5. Jahrestag des Baus der Berliner
Mauer, 13.8.1966 |
| | Parade vor dem
Palast der Republik,
Berlin, 1984 |
| | Sprengung der
Versöhnungskirche
östlich der Mauer
an der Bernauer
Straße am
28.1.1985 |
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