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Religionsfreiheit als Menschenrecht ist Ausdruck der Menschenwürde

Günter Nooke, Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt
Kompass: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris genehmigt und verkündet und ist, zusammen mit anderen Dokumenten, eine der wichtigsten Säulen des humanitären Völkerrechts. Wie beurteilen Sie – 60 Jahre nach Paris – die Situation mit Blick auf die Respektierung und Durchsetzung dieser bedeutsamen Erklärung?

Günter Nooke: Es ist gelungen, eine Vielzahl von Rechten, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte genannt sind, weiter zu konkretisieren, allen voran durch die beiden Pakte über Bürgerliche und Politische Rechte sowie über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte von 1966. Dies ist sicher eine bedeutende Leistung der internationalen Diplomatie.

Andererseits müssen wir uns fragen: Inwieweit hat sich dadurch die Lage der einzelnen Menschen tatsächlich verbessert? Hier fällt die Bilanz leider durchwachsen aus, immer noch treten viel zu viele Länder die Menschenrechte mit Füßen. Anders ausgedrückt: Es mangelt nicht an Normen, sondern an deren Durchsetzung.

Sorge bereiten mir außerdem die zunehmenden Versuche, den Gedanken der universellen Geltung der Menschenrechte etwa unter dem Deckmantel kultureller Vielfalt, religiöser Andersartigkeit oder sonstiger besonderer Umstände zu untergraben. Diesen Versuchen müssen wir entschieden entgegentreten. Dazu verpflichtet uns auch Artikel 2 der Allgemeinen Erklärung, der die Geltung der in ihr enthaltenen Rechte für alle Menschen ohne jeden Unterschied festschreibt.

Kompass: Welches sind Ihrer Meinung nach Motive und mögliche Ursachen dafür, dass in Staaten, die noch dazu selbst Mitglied der Vollversammlung der Vereinten Nationen sind, den dort lebenden Menschen die universal gültigen Menschenrechte – faktisch, weniger vielleicht rechtlich – vorenthalten werden?

Günter Nooke: Ich glaube sie fürchten, dass die Gewährung von zu viel Freiheit das eigene Regime gefährden könnte. Dies scheint mir einer der Hauptgründe.

Nehmen Sie das Beispiel der Pressefreiheit, ein Freiheitsrecht, das schlechthin konstitutiv für eine funktionierende Demokratie ist, und zwar eine, die nicht nur auf dem Papier steht. Wir versuchen auf zweierlei Weise, hier Fortschritte zu erzielen. Zum einen indem wir die Regierungen öffentlich und in vertraulichen Gesprächen drängen, mehr Pressefreiheit zuzulassen, und zum anderen, indem wir uns für inhaftierte Journalisten einsetzen. Aber kein Diktator oder autoritärer Staatschef mag Pressefreiheit, denn eine freie Berichterstattung würde zur Pluralität von Meinungen führen, eine Gefahr für jedes undemokratische Regime. Die Bretter, die wir hier bohren, sind deshalb sehr dick.

Kompass: Religionsfreiheit als Menschenrecht ist mit Ausdruck der Menschenwürde. Religionsfreiheit bezieht sich jedoch nicht auf bestimmte Religionen oder Welt-anschauungen, sondern gilt zunächst für jeden einzelnen Menschen, der nach Maßstab und Vorgabe seiner Religion oder Weltanschauung in der Regel in einem Gemeinwesen, also öffentlich lebt und leben möchte. Ist nach dem Verständnis der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte „Glaube, Religion und Weltanschauung“ eine Privatangelegenheit? Oder anders gefragt, wie verhält sich dies nun in Staaten, die sich selbst – beispielsweise als ausdrücklich – „Islamische Republik“ legitimieren?

Günter Nooke: Nein, die Freiheit, sich zu einem Glauben, zu einer Religion oder einer Weltanschauung zu bekennen und diese auszuüben, erstreckt sich auch auf den öffentlichen Raum. So steht es ausdrücklich auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Zivilpakt. Religion ist insofern eben keine reine „Privatsache“.

Sie haben aber Recht: Die Religionsfreiheit ist ein fundamentales Menschenrecht, das sich im Übrigen ganz hervorragend eignet, um die aktuelle Debatte um die Universalität der Menschenrechte anschaulich zu machen. Während insbesondere in der islamischen Welt in diesem Zusammenhang gern von einem kollektiven Recht gesprochen wird, das auch dem Schutz vor Diffamierung der Religion als Ganzes dienen soll, fassen die Staaten des sogenannten „Westens“ die Religionsfreiheit als individuelles Freiheitsrecht auf, das eben auch das Recht enthält, seine Religion frei zu wechseln. So lautet es auch noch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Doch schon im eingangs erwähnten Pakt über Politische und Bürgerliche Rechte von 1966 wird dieses Recht nicht mehr ausdrücklich erwähnt.

Stichwort Islamische Republik: Im Iran wie in vielen anderen islamischen Staaten wird beim Abfall vom Islam die Todesstrafe verhängt. Man muss nicht ausführen, dass dies zu unserem Verständnis von Religionsfreiheit in krassem Widerspruch steht.

Kompass: Mit Blick auf die Zukunft der Menschenrechte: Was muss Ihrer Auffassung nach getan werden, um bei der Durchsetzung der Menschenrechte erfolgreich zu sein? Reicht es Ihrer Meinung nach aus, auf dem Wege der „stillen Diplomatie“ auf die Vorenthaltung der Menschenrechte und ihrer Verletzung und Missachtung hinzuweisen, oder muss nicht entschieden mehr getan werden?

Günter Nooke: Vertrauensvoller Dialog ist dort richtig, wo er Erfolg verspricht, etwa wenn er es dem Gegenüber ermöglicht, gesichtswahrend Veränderungen herbeizuführen. Aber das reicht nicht aus. Diktatorische Regime vertragen mehr Kritik als wir gelegentlich glauben und vor allem als sie selbst behaupten. Wenn jemand sein Land in den Abgrund führt, dann darf man dazu nicht schweigen.

Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, wie wichtig es ist, die Namen von zu Unrecht Inhaftierten immer laut zu nennen, denn diese Öffentlichkeit bietet ihnen einen nicht gering zu schätzenden Schutz vor Willkür und Unrecht. Und sie gibt Ihnen ein Signal, das wir an ihrem Schicksal Anteil haben, was ihnen gerade in schwierigen Zeiten einen wichtigen emotionalen Rückhalt geben kann. Am Ende zählt die eigene Glaubwürdigkeit. Ohne sie kann man keine erfolgreiche Menschenrechtspolitik machen.

Das Interview führte Josef König.