8 
           

Lücken zwischen Theorie und Praxis in der Menschenrechtspolitik

Zustimmung und Kritik zum 8. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik

Prof. Dr. Heinz- Günter Stobbe, Professor für Systematische Theologie und Theologische Friedensforschung im Fach Katholische Theologie an der Universität Siegen
An Menschenrechtserklärungen herrscht mittlerweile kein Mangel mehr. Das muss kein rundum gutes Zeichen sein. Im Rahmen der Bemühungen, sie politisch umzusetzen, kommt dabei dem vertraglich vereinbarten Berichtswesen ein schwer zu überschätzendes, entscheidendes Gewicht zu.

Da bei nüchterner Betrachtung niemand von Regierungen eine übermäßige Leidenschaft dafür erwarten wird, sich selbst und das eigene Land an den Pranger zu stellen, bedarf die regierungsamtliche Bilanzierung der Menschenrechtslage unabdingbar der kritischen Kommentare unabhängiger Instanzen aus dem Raum der Zivilgesellschaft. In diesem Sinne verdient der umfangreiche Bericht, den die Bundesregierung im Juli des laufenden Jahres veröffentlicht hat, sowohl dankbare Anerkennung als auch geschärfte Aufmerksamkeit. Er enthält eine Fülle von Informationen zu den verschiedenen Bereichen der Menschenrechtsarbeit, die auf ihre Richtigkeit und Verlässlichkeit hin zu prüfen die Aufgabe von Experten und Expertinnen aus Organisationen, Institutionen und Bewegungen darstellt, die sich mit bestimmten Themen in besonderer Weise befassen. Keine von ihnen dürfte imstande sein, den Bericht in seiner Gesamtheit gegenzulesen.

Für die katholische Friedensbewegung Pax Christi wie für die Gemeinschaft Katholischer Soldaten stellt die Menschenrechtsproblematik zweifellos das Kernstück ihrer Tätigkeit dar, und sie bewegen sich damit auf dem Boden eines Konsenses, der weit über die Grenzen der römisch-katholischen Kirche hinaus reicht. Gewiss werden sie auf Grund ihrer unterschiedlichen Nähe zum Staat und zur Regierung bei ihrer Lektüre und Kommentierung auch unterschiedliche Akzente setzen, aber sie sollten dennoch in einem grundsätzlich positiven Urteil übereinstimmen können: Deutschland gehört sicher nicht zu notorischen Rechtsbrechern in der internationalen Gemeinschaft. Es tut der kritischen Distanz gewiss keinen Abbruch, sich darüber zu freuen.

Gleichwohl gibt es aus der Sicht von Pax Christi einige neuralgische Punkte. Zu den ersten zählt insbesondere der gesamte Komplex der Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungspolitik, zu den an zweiter Stelle angedeuteten vor allem bestimmte Maßnahmen der Regierung im Kontext der Terrorbekämpfung. Nur ein einziger Hinweis zur Notwendigkeit genaueren Hinsehens sei der Kürze halber angeführt: Der Bericht hält sich auffällig bedeckt in Bezug auf den Report des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe aus dem Jahr 2005, den dieser nach seinem Besuch in Deutschland vorgelegt hatte. Er belässt es dabei, dessen Inhalt pauschal zu charakterisieren und erwähnt abschließend die entsprechende Stellungnahme der Bundesregierung (vgl. S. 126, Abschnitt 2.3). Worauf sich die „Empfehlungen“ des Ausschusses beziehen, bleibt völlig unklar.

Es fällt schwer, das für ein Versehen zu halten. Kritisch zu beurteilen bleibt auch die Vertretbarkeit der deutschen Abschiebepraxis bei Menschen, die in ihren Heimatländern von Folter und unmenschlicher Behandlung bedroht sind. Amnesty International hat sie jüngst im Weltbericht zur Lage der Menschenrechte nachdrücklich bezweifelt, einige Entscheidungen sogar ausdrücklich als widerrechtlich eingestuft. In der Regel zeigen sich Regierungen durch derlei Vorhaltungen wenig beeindruckt, doch zivilgesellschaftliche Beobachter sind es gewohnt, dicke Bretter zu bohren.
Sie wissen aus Erfahrung: Nicht immer ist wirklich taub, wer sich taub stellt.