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Von Bahnhofsvorstehern und Dienststellenleitern

Militärpfarrer Martin Klein, Veitshöchheim
"Der Militärgeistliche ist in seiner Funktion als Dienststellenleiter für die ordnungsgemäße Verwaltungs- und Haushaltsführung seiner Dienststelle verantwortlich.“ (Vortrag Einführungskurs I)

Seit dem 1. November 2008 bin ich "Dienststellenleiter“. Was bei meiner früheren Tätigkeit als Gemeindepfarrer in Augsburg "Pfarramt“ genannt wurde, heißt nun, als Militärpfarrer in der Balthasar-Neumann-Kaserne Veitshöchheim, "Dienststelle“.

Die Worte Dienststelle/Dienststellenleiter beschäftigen mich. Irgendwie drängt sich in mir das Bild von einem Bahnhof auf und in meinen Gedanken entfaltet sich diese Metapher. Ich bin doch Pfarrer, Priester, Seelsorger, ein Mann der Kirche, Theologe, Hirte, Liturge ... und nun: Dienststellenleiter.

Als Leiter einer Dienststelle bewege ich mich in einer mir fremden Welt des Beamtentums, die sich mir noch erschließen muss. Rechte und Pflichten besonderer Art tun sich auf. Deswegen bleibe ich, gerade als Pfarrer, Priester, Seelsorger ... beim Bild des Bahnhofes.

Der Blick aus dem Fenster meiner Dienststelle geht zum Tor der Kaserne. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Laufe ich durch den Standort, so begegne ich Soldaten und Soldatinnen aus der ganzen Bundesrepublik. Beim Mittagessen in der Kantine entwickeln sich Gespräche mit Zivilangestellten über Gott und seine Welt. Es ist eben fast so wie auf einem Bahnhof: Menschen in ständiger Bewegung und Begegnung. Und ich als Pfarrer bin gleichsam in diesem Bahnhof nichts anderes als der Leiter der Bahnhofsmission.

Ich beobachte die Menschen, sehe, wie sich einige abschleppen und mühen mit ihrem Gepäck. Manche haben zuviel dabei und sind dankbar, wenn man sie von der Last befreit. Sie finden Kraft und können aufrecht und selbstständig weitergehen. Wieder andere machen es sich leicht, sie wollen schnell vorankommen, bleiben aber oft auf der Strecke liegen oder laufen ins Leere. Sie sind dankbar, wenn man sie auf wichtige Reiseutensilien hinweist, auf das, was sie scheinbar vergessen oder verloren haben.

Ein Teil der Menschen wiederum weiß gar nicht so recht, wohin die Reise gehen soll. Sie kennen weder das richtige Gleis noch den Zug. Sie werden nicht abgeholt, es steht niemand am Bahnsteig mit einer Blume in der Hand, keine Umarmung, kein "Hallo“, kein "ich hab dich vermisst“ oder "schön, dass du da bist“. Sie werden weder bemerkt noch erwartet. Sie sind scheinbar unsichtbar. Diese Menschen danken es einem, wenn man ein Stück des Weges mitgeht, da sich Richtung und Ziel oft beim Mitgehen aufschließen. Durch Aufmerksamkeit bekommen sie Ansehen, sie fassen Mut und finden nicht nur den Glauben an sich selbst, sondern auch an ihre Mitmenschen.

Auch ich als der Neue stand mit meinem Koffer auf diesem Bahnhof und bin umgestiegen. Vieles war fremd, ungewöhnlich und neu. Nicht wissend wohin die Reise geht, habe ich mich Menschen anvertraut, die diesen Weg schon gegangen sind. Da war mein Vorgänger an der Dienststelle. Er hat mir meine Unsicherheiten genommen und mir Mut gemacht. Frauen und Männer, für die ich nun da sein darf, haben mich freundlich aufgenommen und ihre Hilfe angeboten. Sie gaben mir ihr Vertrauen und die Gewissheit, dass ich auch Fehler machen darf.

"Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, hat der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber gesagt. Ich mache die Erfahrung: Unser Leben wird lebendig, wenn wir Begegnung zulassen. In den Begegnungen mit den Menschen erfüllt sich die Aufgabe eines jeden Christen: nämlich nächstenlieb zu sein, sich für den anderen zu interessieren, sich für ihn zu engagieren, fremde Meinungen zu tolerieren, um somit seinen eigenen Glauben zu manifestieren.

An diesem Punkt angekommen merke ich: Es macht keinen Unterschied ob Pfarramt oder Dienststelle, ob Gemeindepfarrer oder Dienststellenleiter in der Kaserne. Es geht immer um den Menschen. Und wenn es um den Menschen geht, geht es auch um Gott. Gott möchte für uns Partei ergreifen. Er will in unserem Innersten lesen können, wie es uns geht, welche Gedanken, Sorgen und Freuden wir haben. Er will uns heilen. So wird auch eine Dienststelle ein Ort der wirklichen Begegnung und Gotteserfahrung sein.

Militärpfarrer
Martin Klein, Veitshöchheim