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Das Böse | Privatdozent
Dr. Volker Stümke,
Dozent an der
Führungsakademie
der Bundeswehr
in Hamburg Foto: privat | "Böse" ist ein absolutes Wertwort. Es beschreibt keinen Sachverhalt, sondern spricht ein moralisches Urteil aus, näherhin eine negative, ablehnende Wertung - wie auch die Wörter "schlecht" und "falsch". Im Unterschied zu ihnen ist aber die Abwertung nicht relativ, also auf etwas Bestimmtes bezogen und auch darauf beschränkt, sondern sie gilt absolut. Man kann sich schlecht benehmen oder einen Auftrag falsch erfüllen, aber damit ist man nicht böse. Das Wort "böse" gilt eben ohne Einschränkung, das so Bezeichnete ist in jedem Fall böse und kann auch nicht entschuldigt werden. Daher sollte man ein ungezogenes Kind nicht böse nennen. Wohl aber ist zu fragen, ob bestimmte Handlungen (wie der Holocaust) oder auch deren Täter als böse bezeichnet werden dürfen.
Erfahrungen des Bösen
Diese Frage richtet sich zum einen auf unser Erkennen: Können wir von uns aus das Absolute erfassen und mit unseren Worten darüber verfügen? Zum anderen richtet sich die gestellte Frage auf die Wirklichkeit: Begegnet uns in unserer begrenzten Welt etwas, das absolut böse ist? Die Bibel bejaht die zweite Frage, indem sie uns in zwei Horizonte einweist: Für das Danielbuch ist das Böse als eine gegen Gott und sein Volk gerichtete Macht wirksam; es sind politische Herrscher, die in plastischen Bildern mit monströsen Tieren verglichen werden (Dan 7). Für Paulus hingegen ist es eine innere Kraft im Menschen, die ihn gegen bessere Einsicht und guten Willen zum bösen Tun verleitet: "Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich" (Röm 7,19).
In beiden Fällen erscheint das Böse als eine Macht, die stärker ist als Menschen, der vielmehr Daniel und Paulus weitgehend hilflos gegenüberstehen. Vom Bösen in mir wie in der Welt müssen wir erlöst werden - und zwar durch Gott als Richter, der das Böse endgültig vernichten wird (Daniel) und durch seinen Sohn Jesus Christus, der die Sünde überwunden hat (Paulus). Diese Einsicht hindert nicht unsere Versuche, das Böse einzudämmen - im politischen Bereich durch die Obrigkeit (Röm 13), im persönlichen Bereich durch den gelebten Glauben. Aber sie markiert die Begrenztheit unseres Handelns. Wer diese Grenze missachtet, steht sogar in der Gefahr, als Tyrann oder Selbstgerechter das Böse zu unterstützen.
Angesichts dieser Erfahrungen des Bösen als einer (äußerlich und innerlich wirkenden) Macht und angesichts der absoluten Wertung, die im Wort steckt, spricht die Bibel bisweilen vom Bösen als Person (der Teufel) und beantwortet so die erste Frage. Besonders markant redet das Hiobbuch vom Teufel, der mit Gottes Erlaubnis den frommen Hiob quälen darf. Allerdings ist der Teufel für Hiob selbst keine greifbare Gestalt; er denkt nicht über gefallene Engel oder Nebenbuhler Gottes nach, sondern hadert mit Gott, dessen Gerechtigkeit er nicht mehr erkennen kann, sie sogar anzweifelt. Daher sollten auch wir nicht über den Teufel spekulieren. Sie macht deutlich, dass manche Taten wirklich böse sind, dass sie zwar von Menschen ausgehen, aber über persönliche Schuld und Missetaten hinausgehen und dass das Böse nicht vom Menschen überwunden werden kann.
Erklärungen des Bösen?
In unserer Geistesgeschichte gibt es hilfreiche Gedanken, das Böse zu bestimmen. So betonte Augustinus: Das Böse ist keinesfalls eine schöpferische Macht neben Gott, sondern nur als Zerstörung der Schöpfung wirksam. Noch weiter ging Leibniz, der das Böse als "Rückseite" der Endlichkeit und Freiheit des Menschen interpretierte und damit den perfekten Schöpfergott entschuldigen wollte. Allerdings stoßen solche Argumente an eine Grenze, weil auch sie keine vollständige Erklärung liefern. Wir haben das Böse nach wie vor nicht im Griff. Hannah Arendt hat dementsprechend das Böse mit einem Pilz verglichen: Es hat keine Wurzeln, doch ist es überall zu finden.
Auch die Bibel bietet keine endgültige Erklärung. Aber sie hält fest, dass Gott gegen das Böse steht und es im Jüngsten Gericht endgültig besiegen wird. Im Vaterunser beten Christen daher: "Erlöse uns von dem Bösen".
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