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Liebe Leserinnen und Leser,

Erinnert werden darf an die Tatsache, dass das deutsche Volk zu keinem Zeitpunkt selbst und unmittelbar über das Grundgesetz entschieden hat.
am 8. Mai 1949, vor 60 Jahren, verabschiedete der Parlamentarische Rat das Grundgesetz. In Umsetzung der Frankfurter Dokumente der westlichen Alliierten tagten zuvor, im August 1948, die von den westdeutschen Ministerpräsidenten berufenen 33 Politiker zur Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfes auf der Insel Herrenchiemsee.

Zu den Vorschlägen, die später Eingang in das Grundgesetz fanden, gehörten: eine starke Bundesregierung, ein eher repräsentativ wirkendes Staatsoberhaupt, der Ausschluss von Volksabstimmungen auf Bundesebene und die später so genannte „Ewigkeitsklausel“, die besagt, dass bestimmte Verfassungsprinzipien auf ewig einer Verfassungsänderung entzogen sein sollen und in Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes Eingang fand.

Damit schuf der Konvent auf der Insel im Chiemsee eine Grundlage für den Parlamentarischen Rat, der am 1. September 1948 in Bonn zusammentrat. Die Landtage der westdeutschen Länder – mit Ausnahme des bayerischen Landtags, der eine stärkere föderale Ordnung forderte – stimmten dem Grundgesetz zu. Am 12. Mai erfolgte die Zustimmung der Westmächte durch die Militärgouverneure. Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz verkündet. In Rekordzeit fand eine grundlegende Weichenstellung in der Phase des sich abzeichnenden Kalten Krieges statt.

Von deutschen Streitkräften und Soldaten war zum damaligen Zeitpunkt nirgendwo die Rede, denn drei Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation vom 8./9. Mai 1945 in Berlin-Karlshorst war dies im zerstörten Nachkriegsdeutschland undenkbar und mit Sicherheit auch nicht gewollt.

Mit einer Vielzahl von sehr unterschiedlichen Veranstaltungen der Verfassungsorgane, der Bundesländer in Kooperation mit den jeweiligen Landeszentralen für politische Bildung, auf öffentlichen Plätzen, in Universitäten und Stiftungen, wird nun während des gesamten Jahres 2009 daran erinnert, dass mit der Verkündung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland die verfassungsrechtlichen Grundlagen für einen freiheitlichen, parlamentarisch repräsentativen und demokratischen Rechts- und Sozialstaat gelegt wurden.

Zunächst jedoch nur für den westlichen Teil. Der östliche Teil, die spätere Deutsche Demokratische Republik, musste einen anderen Weg einschlagen. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland war zunächst als provisorische Lösung gedacht, und in Berlin (West) sollte in regelmäßigen Abständen der Deutsche Bundestag seine Sitzungswochen abhalten, um damit auch symbolisch die Zugehörigkeit der geteilten Stadt zu verdeutlichen.

Das Provisorium hielt sich über eine lange Phase in der geteilten Nation. Perestroika und Glasnost Mitte der 80er Jahre in der ehemaligen UdSSR waren wohl mit Grund dafür, dass sich die Ereignisse in den darauf folgenden Jahren überschlugen und schließlich am 9. November 1989 zur Öffnung der Mauer in Berlin und der innerdeutschen Grenze insgesamt führten.

60 Jahre Grundgesetz, 20 Jahre Mauerfall und Grenzöffnung stehen somit im Fokus des öffentlichen Geschehens und bestimmen schon seit Beginn dieses Jahres die Programme, Serien und Leitartikel in der Medienlandschaft. Erinnert werden darf jedoch an die Tatsache, dass sich das deutsche Volk kraft seiner verfassunggebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben, also zu keinem Zeitpunkt selbst und unmittelbar darüber entschieden hat. Das mag ein Mangel sein und kann als Argument dafür gewählt werden, um eine wenig emotional ausgeprägte Identifikation der Bürgerinnen und Bürger für das Grundgesetz zu begründen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass sich ein gewünschter Verfassungspatriotismus nicht unbedingt durch eine wie auch immer gefühlte Bindung erreichen lässt, sondern eher dann, wenn es durch kluge Politik gelingt, zwischen dem Anspruch des Grundgesetzes und den Wirklichkeiten des täglichen Lebens keine Widersprüche entstehen zu lassen.

Dies jedoch ist eine fortlaufende politische Aufgabe und Herausforderung, die mit der fehlenden direkten Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zum Grundgesetz in keinem Zusammenhang steht.

Josef König,
Chefredakteur