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Freundschaft

Jörg Lüer, Referent für den Arbeitsbereich Frieden der Deutschen Kommission Justitia et Pax
© Jupax Berlin
Die sprachliche Verwendung des Begriffs Freundschaft ist schillernd, wie folgende kleine Aufzählung zeigt: Völkerfreundschaft und Deutsch-Sowjetische Freundschaft, Schulfreund, Geschäftsfreunde, Jugendfreundin, Brieffreundschaft, Freundschaftsband und Freundschaftsbund, Freundschaftsschwur, Freundschaftsspiel. Noch stärker unterstrichen wird diese Vielfalt durch den Umstand, dass sich die Verwendung des Freundschaftsbegriffs je nach kulturellem und sprachlichem Kontext bisweilen stark unterscheidet. Der idealtypische Friese wird den Begriff zurückhaltender verwenden als der nicht minder idealtypische Rheinländer. Beide haben je in ihrer Perspektive recht.

Gesellschaftliche und individuelle Bedeutung

Angesichts dieser Vielfalt sowie der lebenspraktischen Bedeutung, die Freundschaften zukommt, nimmt es nicht wunder, dass das Phänomen der Freundschaft als einer besonderen positiven Zugewandtheit von Menschen die Philosophie seit langem beschäftigt. Dabei schwankt die Bewertung und Zuschreibung des Phänomens zwischen zwei grundsätzlichen Polen. Begreift z. B. Aristoteles Freundschaft als eine der fundamentalen Voraussetzungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die gesellschaftliche Ordnung, also als ein wesenhaft „politisches“ Phänomen, so wird auf der anderen Seite – am stärksten ausgeprägt in der Romantik – Freundschaft als Verbindung zweier Seelen, ergo als ein die gesellschaftlichen Zusammenhänge und Zwänge transzendierendes, individuelles Phänomen begriffen.

Tugendhafte Beziehung zwischen Gleichen

Je nachdem von welchem Pol man sich dem Thema Freundschaft nähert, kommt es zu differierenden Bewertungen. Aristoteles versucht durch eine doppelte Unterscheidungsstruktur Ordnung in die Phänomene zu bringen. Auf der einen Seite unterscheidet er zwischen Nutzen-, Lust- und Tugendfreundschaft, also nach dem Inhalt der Beziehung, während er auf der anderen Seite mit gutem Gespür für die soziale Signatur von Beziehungen zwischen Freundschaften von Gleichen und Freundschaften von Ungleichen differenziert. Die höchste Form der Freundschaft – möglich nur unter Gleichen – ist nach Aristoteles die Tugendfreundschaft. Die Beziehung ist nicht mehr in reiner Nützlichkeit begründet, sondern weist als Form gelingenden Lebens über sich hinaus. In dem Verzicht auf vordergründigen Utilitarismus scheint das Motiv der Selbstlosigkeit auf.

Verschmelzung verwandter Seelen

Die Romantik setzt bei dem Ungenügen der sozialen Beziehungen in Bezug auf das existenzielle Bedürfnis des Menschen nach Sinn und Erlösung an. Der Höhepunkt der Freundschaft ist die Verschmelzung der Seelen, die Selbstfindung und Selbsterkenntnis in der Begegnung mit dem anderen. Wobei die grundsätzliche Gleichheit der Seelen, die die realen gesellschaftlichen Gegensätze zu überschreiten vermag, in den Vordergrund tritt. Die Betonung liegt weniger auf der gesellschaftlichen Bedeutung der Beziehung, als vielmehr auf dem existenziellen Vollzug geteilter Innerlichkeit, verstanden als wahres Menschsein. Andere Formen von Freundschaft erscheinen vor diesem Hintergrund als weniger wertvoll (wenn nicht sogar falsch), d. h. nicht als Freundschaft im eigentlichen Sinne. Dem romantischen Freundschaftsbegriff gilt angesichts der Möglichkeit erotischer Verzweckung der Beziehung die platonische Freundschaft als das Höchste. In christlicher Perspektive liegt jeder echten Freundschaft – verstanden als die ehrliche gegenseitige Zuwendung, in der der je andere nicht zum Mittel wird, sondern sein eigener Zweck bleibt – Liebe im Sinne von Agape zu Grunde.

In der Praxis des Alltags hat man es selten mit reinen Formen zu tun. Nutzen, Lust und Liebe sind in der Regel miteinander verwoben. Zwischen den beschriebenen Polen entfaltet sich die ganze verwirrende Vielfalt des Phänomens Freundschaft und damit der Ambivalenz menschlicher Existenz, das der polnische Aphoristiker Stanislaw Jerzy Lec auf den ironischen Punkt brachte: „Freunde sind Menschen, die einem schaden, ohne selber Nutzen davon zu haben.“

Jörg Lüer