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Afghanistan braucht Frieden

Gastkommentar von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch

Erzbischof Dr. Robert Zollitsch traf am 14. Januar die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Dr. Angela Merkel in Berlin.
© KNA-Bild
Seit einigen Monaten findet der Afghanistan-Einsatz in der deutschen Öffentlichkeit neue Beachtung. Es ist zu Bewusstsein gekommen, dass auch die Bundeswehr immer stärker an Kampfhandlungen beteiligt ist. Das Thema Afghanistan ist nunmehr auch in Deutschland aus dem Halbschatten heraus- und ins grelle Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit eingetreten.

Tatsächlich ist es höchste Zeit, dass wir in unserem Land eine breite Debatte über die Perspektiven und Möglichkeiten unserer Friedens- und Sicherheitspolitik führen. Wir haben uns allzu lange nur mit Einzelfragen befasst. Einer grundlegenden Diskussion über Ziele und strategische Perspektiven sind Gesellschaft und Politik ausgewichen.

Für die Kirche stellt sich jetzt die Aufgabe, besonders die ethischen Gesichtspunkte zum Tragen zu bringen. Für die katholische Kirche gilt dabei, dass sie das Konzept des „gerechten Friedens“ in den Mittelpunkt der Friedensethik stellt. Nicht die (immer auch notwendige) Klärung der Legitimität von vielleicht noch hinnehmbarer Anwendung militärischer Mittel ist deren Zentrum. Vielmehr versucht sie, jene Handlungsweisen zu bestimmen, die eine Überwindung von Gewalt ermöglichen und den Frieden unterstützen. In diesem Zusammenhang kann militärischem Handeln unter gewissen Voraussetzungen eine Gewalt eindämmende und damit für eine gewisse Zeit notwendige Rolle zufallen.

Seit der großen Friedensdebatte der 1980er Jahre hat die Kirche ihre gewaltkritische Ethik fortentwickelt, in der die biblische Friedensvision und ihre Forderung nach Gewaltüberwindung und Gewaltlosigkeit in einer realistischen Weise politisch zur Geltung kommen. Die Titel der von der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlichten Dokumente sind programmatisch: „Gerechtigkeit schafft Frieden“ (1983) sowie „Gerechter Friede“ (2000).

Was kann dies für Afghanistan bedeuten? Der Blick zurück zeigt uns: 1997 hatten die Taliban das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen und bis zu neunzig Prozent des Staatsgebietes unter ihre Kontrolle gebracht. Dem setzten die USA nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 ein Ende, gestützt auf eine Resolution der Vereinten Nationen. Deutschland trat von Anfang an für Schritte zur politischen Stabilisierung des Landes ein.

Schritte zur Demokratie, die Unterstützung zur Bildung einer legitimen und handlungsfähigen Regierung, Sicherheit für die Bevölkerung: Das verlangt vielschichtige Hilfe, zu der zivile Aufbauhelfer ebenso gehören wie finanzielle Zuwendungen und polizeiliche und militärische Absicherung. Deutschland hat in der Verantwortung der Regierung von Bundeskanzler Schröder im Rahmen eines von den UN legitimierten friedenserzwingenden Einsatzes Soldaten gestellt. Ihr Ziel ist die Unterstützung von innerer Sicherheit, des Wiederaufbaus und der Herstellung legitimer demokratischer Verhältnisse. Daneben werden in Afghanistan islamistisch-terroristische Kräfte und Aufständische bekämpft. An diesem Einsatz ist die Bundeswehr mit bis zu 100 Soldaten ihrer KSK-Spezialkräfte beteiligt.


© Bundeswehr / Kunduz
Heute müssen wir eine bittere Bilanz ziehen: In weiten Teilen Afghanistans herrschen kriegsähnliche Zustände. Viele Maßnahmen haben nicht zu den gewünschten Erfolgen geführt. Es sind manche gravierende Fehler gemacht worden. Eine stabile Demokratie in Afghanistan liegt in weiter Ferne. Islamistische Kräfte haben an Boden gewonnen, auch im Nachbarland Pakistan. All dies zwingt zu einer neuen Bewertung der Situation und zu neuen Entscheidungen. Der Afghanistan-Einsatz verlangt eine echte Perspektive. So wie bisher kann er eigentlich nicht fortgesetzt werden. Dafür haben die Bürger ein sensibles Gespür. Neue Entscheidungen sind auch aus dem Blickwinkel einer christlichen Ethik unausweichlich, die auf einen gerechten Frieden setzt.

Der Debatte in Deutschland hat lange der Mut gefehlt, sich den entscheidenden Fragen zu stellen. Welche Maßnahmen sind nötig, um die angestrebte Stabilisierung des Landes sowie den verlässlichen Schutz der afghanischen Bevölkerung zu erreichen und zu gewährleisten? Sind wir bereit, die damit verbundenen Lasten zu tragen? Was würde passieren, wenn die Afghanistan-Schutztruppe (ISAF) jetzt abzöge? Wäre dies der Beginn einer Rückkehr zu den Verhältnissen von 1997 und 2001? Was würde dies für das nuklear bewaffnete Nachbarland Pakistan, das von innerer Unruhe zutiefst erschüttert ist, und damit für die internationale Sicherheit bedeuten? Kann die bisherige Politik das Ziel erreichen, Terrorzellen zu vernichten und der Wiedererrichtung einer staatlichen Basis für den internationalen islamistischen Terrorismus zu wehren? Kann und soll es Aufgabe der internationalen Gemeinschaft sein, auch mit militärischen Mitteln Demokratie und Menschenrechte in einem Land wie Afghanistan zum Durchbruch zu verhelfen?

Diese Fragen müssen auf den Tisch der öffentlichen Diskussion. Ich habe viel Verständnis für alle, die nach der Zukunft eines Einsatzes fragen, der auf wenig Erfolge schauen kann. Eine christliche Verantwortungsethik aber verlangt Sorgfalt bei der Diskussion und der Meinungsbildung. Wenn wir Teil der Lösung werden wollen, dann müssen wir auch verstehen lernen, inwieweit wir schon Teil des Problems geworden sind. Dabei gilt es, der Versuchung der allzu einfachen Lösungsvorschläge zu widerstehen. Nur so kann letztlich auch ein Konsens über die Konturen der Friedens- und Sicherheitspolitik erreicht werden, der von weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit mitgetragen und den gravierenden ethischen Fragen gerecht wird.

Die katholische Kirche bringt in diese Diskussion eine ebenso realistische wie gewaltkritische Perspektive ein. Von ihr her ist eine Politik der Eindämmung und fortschreitenden Überwindung der Gewalt gefordert. Mittel- und langfristig dienen wir auf diese Weise am ehesten dem afghanischen Volk und auch der Sicherheit der internationalen Gemeinschaft.

Robert Zollitsch ist Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und Erzbischof von Freiburg.

Dieser Gastbeitrag ist zuerst erschienen am 15. Januar 2010 in der Frankfurter Rundschau.