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Offene Fragenvon Reinhold Robbe | © Deutscher Bundestag / Anke Jacob | Zu den bedrückenden Seiten meines Amtes gehört ganz sicher die Tatsache, dass ich jährlich bislang etwa 15, 2009 sogar 24 „Besondere Vorkommnisse“ zur Prüfung vorgelegt bekam, die die Selbsttötung eines Soldaten zum Inhalt hatten. In jedem Einzelfall erfolgte bereits eine sorgfältige Untersuchung durch den zuständigen Staatsanwalt.
In den wenigsten Fällen gibt es Abschiedsbriefe. Meist jedoch waren es offenbar Beziehungsprobleme, die zum Suizid führten. In einigen Ausnahmefällen lassen sich auch dienstliche Bezüge zum Freitod nicht ausschließen. Unabhängig von der Frage der Beweisbarkeit von Behauptungen und Vermutungen - beispielsweise mit Blick auf Mobbing durch Vorgesetzte oder Kameraden - ist es für die hinterbliebenen Angehörigen nur schwer zu akzeptieren, wenn offene Fragen zurückbleiben, weil Sachverhalte letzten Endes nicht ganz geklärt werden konnten. In derartigen Fällen biete ich den Angehörigen meine Hilfe an, indem ich versuche, in erster Linie Trost zu spenden. Zudem bemühe ich mich aber auch darum, Antworten auf die Fragen zu finden, die von den Ehepartnern, Eltern oder anderen Verwandten des verstorbenen Soldaten an mich gerichtet werden.
Vor einiger Zeit erreichte mich wieder ein „Besonderes Vorkommnis“. Ein Oberfeldwebel war durch Selbstmord im Einsatz ums Leben gekommen. Auf meine Nachfrage hin, welchem Angehörigen ich kondolieren könne, stellte sich heraus, dass der Oberfeldwebel nicht – wie sonst üblich – ein Elternteil oder die Ehefrau als Kontaktperson gegenüber seiner Stammeinheit angegeben hatte, sondern den Kompaniefeldwebel. Zudem erfuhr ich von den Kameraden des Oberfeldwebels, die Bundeswehr sei seine „Familie“ gewesen. Auch in diesem Fall gab es keinen Abschiedsbrief, so dass man nur vermuten kann, welche Beweggründe es gegeben haben könnte, die diesen jungen Mann in die Katastrophe führten.
Am meisten jedoch gab mir der Hinweis zu denken, die Bundeswehr sei seine „Familie“ gewesen. Wie einsam muss ein Mensch sein, der so etwas sagt? Wie verlassen muss sich der Soldat vorgekommen sein, als er den Entschluss fasste, freiwillig aus dem Leben zu scheiden? Welche unbeschreiblichen Enttäuschungen hat dieser junge Mensch durchleben und durchleiden müssen, bevor er keinen anderen Ausweg mehr wusste als den Tod?
Viele Fragen, auf die ich keine Antworten gefunden habe. Dieses traurige Beispiel hat mir einmal mehr vor Augen geführt, wie wichtig es ist, die „Mühseligen und Beladenen“ in unserem engeren Lebensumfeld rechtzeitig zu erkennen und niemals unbeachtet und allein zu lassen.
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