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Lexikon der EthikLexikon der Ethik: Freiheit
"Über keine Idee weiß man es so allgemein, dass sie unbestimmt, vieldeutig und der größten Missverständnisse fähig und ihnen deswegen wirklich unterworfen ist als [über] die Idee der Freiheit, und keine ist mit so wenigem Bewusstsein geläufig." Diese 1830 publizierte Bemerkung des Philosophen Hegel (Enzyklopädie: § 482), könnte von heute sein: Nach vielen weiteren gedankenschweren Seiten über die Freiheit und noch schwerer wiegenden Versuchen, in ihrem Namen zu handeln - beansprucht und beunruhigt das Thema mehr denn je unser menschliches Selbstverständnis.
Freiheit - ein Beziehungsbegriff
Das Wort "frei" bezeichnet keine einfache Eigenschaft. Gefragt ist (mindestens) eine dreistellige Relation: Wer ist bzw. wird frei wovon wodurch? Freiheit hat sonach, formal betrachtet, einen negativen und einen positiven Aspekt: Freisein von ... (Unabhängigkeit) und Freisein zu ...(Bindung). Beide Aspekte gehören zusammen, ihr Verhältnis definiert sowohl die Handlungs- als auch die Willensfreiheit. Die Fähigkeit eines Individuums oder eines sozialen Gebildes, Gewolltes zu realisieren, ist umso größer, je besser es gelingt, Hindernisse naturhafter oder sozialer Art zu überwinden und die eigenen Handlungs- bzw. Gestaltungs-ressourcen klug einzusetzen. Und im Blick nach innen stellt sich die Frage, ob bzw. wie ein Mensch mittels vernünftiger Gründe (Ziele, Regeln) ein selbstbestimmtes Verhältnis zu seinen natürlichen Antrieben, Wünschen etc. gewinnen kann, ihnen also nicht einfach ausgeliefert ist.
Zur Geschichte des Freiheitsgedankens
Zwei Gewichtsverlagerungen kennzeichnen die Entwicklung im europäischen Raum: zum einen von Fragen der äußeren Freiheit im Gemeinwesen hin zur Frage nach der dem Menschen wesentlichen inneren Freiheit, zum anderen vom Primat der Ordnung, die Freiheit vorgängig orientiert (Antike und Mittelalter), hin zum Primat der Freiheit, die Ordnungen schafft (Neuzeit und Moderne). Bei Griechen, Römern u.a. war "frei" ursprünglich eine Rechtsbestimmung, die den zum eigenen Volk gehörenden Mann vom fremdbürtigen Sklaven unterscheidet. Mit dem Prinzip der Gleichheit aller freien Bürger vor dem Gesetz in der griechischen Polis (Stadtstaat) wird dann schon bald die klassische Aufgabe des Rechts umrissen, die Vereinbarkeit der Freiheit(en) aller Rechtsgenossen zu gewährleisten. Eine andere Dynamik setzt (im gleichen kulturellen Horizont) die Entgegensetzung von "Gesetz" und "Natur" in Gang: Menschliche Gesetze korrumpieren oder zerstören die Freiheit, wenn sie das "der Natur nach" Zuträgliche verfehlen. Nur wer das "naturgemäß" Beste erkennt und sich daran orientiert, ist wahrhaft frei. In den neuzeitlichen Freiheitsutopien und im modernen Menschenrechtsethos werden solche naturrechtliche Bezüge nun zwar nicht irrelevant, aber der (objektive?) Gehalt sowie die Verbindlichkeit dieses Maßes erscheinen zunehmend fraglich. Im jüdischen bzw. christlichen Kontext ist der in seiner Schöpfung präsente, dem Menschen zugewandte Gott maß-gebend. Mit Ihm, der einst Israel aus Ägypten befreit und sich in Jesus dem erlösungsbedürftigen Menschen geschenkt hat, kann die Aufgabe menschlicher Selbstbestimmung gelingen. Im Johannesevangelium (8,31f.) bringt Christus es so auf den Punkt: "Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien." Wissenschaft contra Willensfreiheit? Aktuell befeuert besonders die Hirnforschung den Zweifel an der Freiheit des Willens und damit auch am Sinn altvertrauter Vorstellungen von Schuld und Verantwortung. Der vermeintliche Gegensatz zwischen strenger Kausalität und Willensfreiheit verdankt sich jedoch einer Vermengung nicht aufeinander zurückführbarer Betrachtungsweisen. Die mit Erwägungs- und Entscheidungsprozessen unlösbar verknüpfte Freiheitserfahrung unterbricht natürlich keine Abläufe im Gehirn. Ebenso erweist aber auch die Tatsache, dass Willensbildung und Entscheidungsfindung das Gehirn brauchen, Freiheit nicht als realitätswidrige Vorstellung. Unser bewusstes Leben ist durch zwei gleichursprüngliche Grundstellungen im Selbst- und Weltverhältnis bestimmt: die Perspektive subjektiver Freiheitserfahrung ("Freiheitsbrille") und die wissenschaftlich objektvierende Beobachterperspektive ("Kausalitätsbrille"). Über eine übergreifende Perspektive, ein übergreifendes Begriffsystem verfügen wir nicht. So darf hier ein Satz wiederholt werden, in dem der Bewusstseinsexperte Peter Bieri einen Beitrag zum gleichen Thema (Spiegel 2/2005: 125) prägnant zusammenfasst: "Wir brauchen kein neues Menschenbild, wir müssen das alte nur richtig verstehen."
Klaus Ebeling
Projektleiter Ethik
Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr in Strausberg
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